Leipzigs Fankurve RB Leipzig: L.E. United - Fanforscher warnt vor Radikalisierung
Halle (Saale)/Leipzig - Gewalt von Fußballfans gehört bei vielen Vereinen fast zur Folklore. Im Umfeld des jungen Clubs RB Leipzig tauchen nun auch erstmals Männer auf, die Gewalt gegenüber offenbar nicht abgeneigt sind. Über diese Entwicklung sprach Martin Henkel mit dem Fanforscher Harald Lange. Er ist Inhaber des Lehrstuhls für Sportwissenschaft an der Universität Würzburg.
Professor Lange, stellen Sie sich vor, Sie begegnen vor einem Fußballspiel einer Gruppe von Männern, die behaupten, man müsse sich vor Fan-Gewalt mit Gegengewalt schützen. Was würden Sie denken?
Harald Lange: Ich würde hellhörig werden. Gewalt mit Gegengewalt zu beantworten, setzt voraus, dass man Gewalt per se für ein probates Mittel hält und auch schätzt. Weil ich es zudem mit Fußballfans zu tun hätte, würde ich vermuten, ich stünde mit einer Gruppe zusammen, die sich womöglich nicht ausschließlich vor Gewalt schützen möchte.
Trügen diese Männer schwarze Anglerhüte - was würde Ihnen das sagen?
Harald Lange: Ich würde annehmen, sie wollen nicht zum Angeln gehen. Die Hüte kennt man aus der gewaltbereiten Szene. Sieht gut aus, wirkt martialisch, macht Angst. Wenn 100 solcher Schwarzmützen mit großer Klappe und großen Muskeln durch Köln oder Dortmund laufen und an einer Stelle ist keine Polizei zu sehen, dann können sie davon ausgehen, dass es zu einer riesigen Schlägerei kommt.
Was sagt ihnen der Aufdruck L.E. United?
Harald Lange: Leipzig United - das steht für Leipzig. Hier geht es um regionalen Stolz. Der Aufdruck sagt: Uns alle vereint der Stolz auf unsere Stadt, die Region. Damit wären dann Fans von RB, Chemie und Lok Leipzig gleichermaßen angesprochen.
L.E. United ist eine nicht offizielle Gruppe von RB-Fans. Ihre Mitglieder tragen schwarze Anglerhüte und erklären ihre Gründung mit dem Schutz von Fans, vor allem bei Auswärtsfahrten. Wörtlich mit der Aussage: „Wenn uns jemand an die Wäsche will, und keine Polizei ist in der Nähe, schützen wir uns.“ Was halten Sie davon?
Harald Lange: Auf den ersten Blick scheint das eine Reaktion auf die Ausschreitungen in Dortmund zu sein. Aber die Hüte, der Auftritt und die Argumente geben mir Anlass zu vermuten, dass es sich bei L.E. United um eine gewaltaffine Leipziger Fangruppierung handelt.
Ein Sprecher der Gruppe sagte kürzlich, viele RB-Fans seien neu im Fußball, daher wüssten sie nicht, wie sie sich auswärts zu verhalten haben.
Harald Lange: Der Schutz-Gedanke ist verführerisch, denn er hat eine auf den ersten Blick nachvollziehbare Logik: Wir werden angegriffen, vor allem Frauen, Kinder und Ältere, und wir beschützen die. Das Problem ist nur, nach Dortmund ist der Schutz der RB-Fans derart verschärft worden, dass da eigentlich nicht mehr viel passieren kann. Zudem: Menschen zu schützen obliegt dem Staat und seinen Beamten. Und schließlich, und das ist die problematische Kernaussage, heißt das: Wir sind zu Gewalt bereit.
Kürzlich haben die Mitglieder einen Kodex gegen Gewalt unterschrieben.
Harald Lange: Dann aber wäre die Gruppe überflüssig.
Aktuell ist eine Auflösung eher kein Thema.
Harald Lange: Das verwundert mich nicht. Alle oben aufgezählten Indizien sprechen für die Entstehung einer gewaltbereiten Gruppe im RB-Umfeld. Da ist ein Fußballclub aus Leipzig beziehungsweise Sachsen, und egal wo dessen Fans hinkommen, kriegen sie auf die Mütze. Sie werden angepöbelt oder gar verprügelt wie in Dortmund. Das empfindet das kollektive Bewusstsein als Demütigung. Das will es so nicht hinnehmen. Und das ruft dann Leute auf den Plan, die dagegen halten wollen.
Nach den Ausschreitungen gegen Fans von RB Leipzig beim Auswärtsspiel in Dortmund hat sich in der Messestadt eine lose Gruppe formiert, die zum Kennzeichen schwarze Anglermützen mit der Aufschrift L.E. United trägt.
In der Leipziger Fanszene hat die Gründung der Gruppe, die kein offizieller RB-Fanclub ist, für Unruhe und heftigen Disput gesorgt. Nicht zuletzt nach Rangeleien im RB-Fanblock sind zahlreiche Fans von RB aufgeschreckt.
Man geht momentan von 20 bis 30 Mitgliedern aus.
Harald Lange: Das ist für Gründungen dieser Art normal. Die Frage, die sich jetzt stellt, ist: Wie viele Leute zieht so etwas an? Die Argumente haben auf jeden Fall Potenzial, eine große Kraft zu entfalten. Nach der Art: Das geht so nicht! Gut, dass es euch gibt! Schlagt jetzt mal zurück! Wie ich das Feld einschätze, hat diese Gruppe sehr gute Möglichkeiten, Zulauf zu bekommen und ihr Potenzial auszureizen.
RB Leipzig hat die Hoffnung, dass sich die Anfeindungen gegen den Verein und seine Fans weitgehend erledigt haben.
Harald Lange: Bislang konnte er davon auch ausgehen. Nach den Ausschreitungen in Dortmund ging ein Sturm der Entrüstung und der Solidarisierung durchs Land. Gegen RB zu sein, war plötzlich nicht mehr opportun. Dieser neue Umgang ist eigentlich die Versicherung, dass RB-Fans in den nächsten Jahren auswärts kaum etwas befürchten müssen. Zumal die Fans beim ersten Heimspiel danach deutlich gemacht haben, dass sie weiterhin auf Friedfertigkeit setzen. Eine Geste, die zum Markenzeichen geworden ist. Das war originell, fast schon einzigartig im deutschen Fußball.
L.E. United erklärt seine Existenz auch mit möglichen Krawallen bei Auswärtsspielen in der Champions League.
Harald Lange: Krawalle gegen RB-Fans in Mailand, London, Barcelona, Paris? Die Problematik zum Konstrukt „RB Leipzig“ ist im Ausland noch gar nicht auf breiter Front angekommen.
Was zeigt sich für Sie in solchen Argumenten?
Harald Lange: Da sagt eine Gruppe: Wir lassen uns nicht gefallen, dass man uns verunglimpft, angreift und verprügelt beziehungsweise verletzt. Wir werden uns künftig wehren, wenn es Nottut. Aber das sagt die Gruppe nicht nur nach innen, sie sagt es vor allem nach außen. Ihre Gründung ist eine gewollte Machtdemonstration. Und was passiert da jetzt? Jetzt hören das gewaltbereite Gruppen aus anderen Bundesligastädten. Die werden das richtig Klasse finden, dass es in Leipzig plötzlich eine selbstbewusste Gruppe gibt. Jetzt gibt es einen handfesten Anlass, sich mit Leipziger Fans zu prügeln.
Eine sich selbst erfüllende Prophezeiung?
Harald Lange: Die Botschaft „Wir schlagen zurück!“ ist an potenzielle Mitglieder und an potenzielle Prügelgegner gleichermaßen gerichtet. Dass die das mit Freude aufnehmen werden, versteht sich von selbst. So entsteht Gewalteskalation unter Fans. Und sie können davon ausgehen, Menschen mit schwarzen Anglerhüten, auf denen L.E. United steht, werden bei den nächsten Spielen gezielt gesucht werden. Wenn sich die Spirale normal dreht, dann wird das bis Mitte der Saison ein großes Thema werden.
Vorausgesetzt, die Gruppe hält sich im Umfeld der Kurve.
Harald Lange: Das ist die Frage. Sie kann das nur, wenn sie Angebote schafft, die viele anziehend finden beziehungsweise nachfragen. Nach Dortmund sehe ich dafür einen Nährboden. Entscheidend wird sein, ob es in und um Leipzig eine gewaltbereite Jugend gibt, wie man das etwa aus dem Umfeld von Dynamo Dresden kennt. Falls nicht, könnte die Gruppe schnell verschwinden. Dass sie das von alleine tut, würde ich für den Moment aber bezweifeln. Wenn eine Gruppe wie L.E. United wirklich an Friedfertigkeit interessiert wäre, hätte sie den Faden der absoluten Gewaltfreiheit, der vergangene Saison so populär gestrickt wurde, schon aufgegriffen und nach außen kommuniziert.
Welchen Einfluss hat die Fanszene?
Harald Lange: Ist sie geschlossen in ihren Ansichten, dann könnte sie die Gruppe schnell wieder einfangen. Wie es den Anschein hat, ist die Fankurve aber ziemlich gespalten. Und dass ist für gewaltbereite Gruppen immer die beste Ausgangslage. Es gibt bereits erste Stigmata, von wegen rechts oder Nazis. Die Gruppenmitglieder können also die Rolle der Missverstandenen spielen und darüber Gleichgesinnte rekrutieren.
Fan-Gruppen aus dem linksliberalen Lager betonen, die Mitglieder von L.E. United entstammten dem rechtskonservativen Lager. L.E. United erklärt, die Gruppe sei unpolitisch.
Harald Lange: Das ist eine für Fußballfans typische Reaktion. Das sagt man vor allem dann, wenn man die politische Botschaft einer anderen Gruppe nicht teilt. Und schon ist man mittendrin in dem, was die Fanszenen auch schon immer prägt: nämlich eine gesellschaftspolitische Rangelei. Dass es Ansichten und Gegenansichten gibt, ist völlig normal. Nur, keine von beiden ist unpolitisch.
Entwickelt sich der Leipziger Block also doch zu einer normalen Stadionkurve?
Harald Lange: Wenn der Disput nicht verschwindet, dann ja. Denn diese Auseinandersetzung ist das ureigene Thema in den Kurven: Wem gehört der Fußball? Wer hat das Sagen? Wer hat die Deutungshoheit? Wer macht auf sich aufmerksam? Wer ist der wahre Fan? (mz)