Fankultur bei RB Leipzig RB Leipzig-Fans begeistern mit Anti-Gewalt-Botschaft beim HSV-Spiel

Leipzig - Wie relevant RB Leipzigs 0:3-Pleite gegen den Hamburger SV für den weiteren Saisonverlauf ist, wird sich in den kommenden Wochen noch zeigen. Die Bedeutung dessen, was sich vor der Partie auf den Rängen ereignete, ist hingegen bereits jetzt nicht hoch genug einzuschätzen: nicht nur für die Leipziger Fanszene, sondern für die Fußball-Fankultur hierzulande generell.
Als die Mannschaften den Rasen betraten, wurden im gesamten Stadion – nicht nur in den Fanblöcken – über 100 Transparente enthüllt. Vor der Fankurve prangte als vereinigendes Motto für diesen Spieltag ein riesiges Banner mit der Aufschrift „Fußball für alle statt menschenverachtender Krawalle”.
Fanforscher Pilz: "Richtige und wichtige Botschaft”
Die Reaktion der Leipziger Anhänger auf die Randale von Dortmund geriet zu einem friedlichen, gewaltfreien, durchaus auch ironischen Gegenprotest, zu einer Demonstration für eine diskriminierungsfreie Fankultur.
Gunter A. Pilz, Soziologe und Experte für Fanszenen, bezeichnet die vielen Dutzend Plakate im Gespräch mit der MZ als „richtige und wichtige Botschaft”. Dass eine gesamte Fanszene in allen Teilen des Stadions für einen respektvollen Umgang miteinander eintritt, bezeichnet er als „ein Novum” im deutschen Fußball. Der Hannoveraner Professor hofft nun, dass die Aktion Strahlkraft auf andere Standorte hat.
„Ich wünschte mir, dass die Ultras auch in anderen Fankurven mit ähnlichen Aktionen signalisieren, dass sie das, was in Dortmund passiert ist, nicht tolerieren und sich solidarisch mit den Leipzigern zeigen.” Das, so Pilz, würde zeigen, „dass dieses Ereignis in Dortmund die gesamte Ultraszene wachgerüttelt hat”.
Ralf Rangnick: "Das ist auch ein Signal an den Rest Deutschlands"
Auch RB-Sportdirektor Ralf Rangnick nahm sich trotz der herben Niederlage direkt nach dem Spiel ausführlich Zeit, die Geschehnisse auf den Rängen zu bewerten. „Das ist auch ein Signal an den Rest Deutschlands, wie wir gegnerische Fans begrüßen, dass bei uns eine hohe Willkommenskultur herrscht”, sagte der 58-Jährige. Ähnlich wie in Leipzig wünscht sich Rangnick geschlosseneres Auftreten gegen Gewalt im Fußball und mehr Zivilcourage in den Stadien.
„Man kann sich nur wünschen, dass die vielen vernünftigen, anständigen Fußballfans mal reflektiert darüber nachdenken und versuchen, ihren Beitrag dazu zu leisten, dass in ihren Stadien eine begeisternde, leidenschaftliche, aber gewaltfreiere Atmosphäre herrscht.” Die teils durchaus berechtigte Kritik an RBL freilich muss auch weiterhin möglich sein, aber fair geäußert werden.
Harald Lange: "Das ist auch eine Chance für die Leipziger Fans"
Dass gerade die Fanszene von RB Leipzig als die mit Abstand jüngste im deutschen Profifußball und vielerorts belächelte nun beispielgebend vorangeht, ist durchaus paradox. Während sich selbst die Fans von Kultklub St. Pauli wie am Wochenende im Spiel gegen Dynamo Dresden geschehen derb im Ton vergreifen und das Gewaltproblem in Teilen der BVB-Fanszene immer offensichtlicher wird, geht von der Leipziger Anhängerschaft trotz der fehlenden Tradition – oder gerade deswegen – bereits im ersten Bundesligajahr des Klubs eine gesellschaftliche Kraft aus, die nach dem fehlgeleiteten Dortmunder Protest auch über die Stadiontore hinaus bundesweit wahrgenommen wird.
„Dadurch, dass gerade von den Dortmundern Gewalt ausging, die für sich reklamieren, die Bewahrer der einzig wahren Fankultur zu sein, ist viel in Bewegung geraten. Das ist auch eine Chance für die Leipziger Fans”, sagt der Fanforscher Harald Lange, Direktor des Institutes für Fankultur.
Dass sich gerade in Leipzig, das einst symbolisch für Krawalle im Fußball stand, eine friedliche Fanszene etablierte, ist kein Zufall. Die RB-Fanpioniere hatten genug von Randalen und lebten und pflegten ganz bewusst von Beginn an eine diskriminierungsfreie Fankultur.
Ralf Rangnick will friedliche Atmosphäre bewahren
In dem Buch „Aufstieg ohne Grenzen” sagt Leipzigs Fanbeauftragter Enrico Hommel: „Die Gründerfans, die von Anfang an dabei sind, haben sich auf die Fahnen geschrieben, dass wir gewaltfrei bleiben, Rassismus und Homophobie nicht in unserer Kurve haben wollen. Wir wollen Vorzeigefans in Deutschland sein, um zu zeigen, dass man seinen Verein auch unterstützen kann, ohne gegnerische Fans zu diffamieren oder zu überfallen.”
Wissenschaftler Pilz erklärt: „Der Schwung, den RB Leipzig in die gesamte Stadt gebracht hat, bringt eine Euphorie mit sich, bei der für Gewalt, Hass und Diskriminierung kein Platz ist.”
Doch auch Sportdirektor Rangnick ist klar, „dass wir hier nicht im Elfenbeinturm leben und in zehn Jahren noch alles automatisch so ist wie aktuell.” Vielmehr müssten „alle miteinander – die Fans, die diese Atmosphäre repräsentieren, ebenso wie die Klubführung – darauf aufpassen, dass es so friedlich bleibt”.