Peter Neururer im Interview Peter Neururer über RB Leipzig, Willi Orban und Hass im Fußball und Dynamo Dresden

Leipzig/Gelsenkirchen - Seit 1984 steht Peter Neururer an der Seitenlinie, den VfL Bochum führte er einst in den UEFA-Cup, als TV-Experte ist er für klare Meinungen und deutliche Aussagen bekannt. Auch im MZ-Interview nahm der Kulttrainer kein Blatt vor den Mund.
Herr Neururer, Sie haben als Trainer und Sport1-Experte schon viele hitzige Kulissen gesehen. Wie ordnen Sie die hasserfüllte Stimmung in der Kaiserslauterer Westkurve beim Gastspiel von RB Leipzig am Montag ein?
Peter Neururer: Leider ist so etwas auch in der Vergangenheit immer mal wieder vorgekommen. Aber leider hat kein Mensch daraus gelernt. Damit meine ich nicht nur die Plakate gegen Willi Orban, sondern auch in Bezug auf Ralf Rangnick („Burn, Ralfi! Burnout”, Anm.d.Red.). Da wurde eindeutig eine Grenze überschritten, in deren Nähe man nicht mal geraten darf. Wir erinnern uns alle an den tragischen Tod von Robert Enke, den ich bei Hannover 96 selbst trainieren durfte. Kurzfristig schien es damals so, als würde die Menschheit anfangen nachzudenken. Aber einige Perverse lassen sich selbst von solchen Vorkommnissen nicht belehren. Es ist traurig, dass es so etwas in unserer Fußballgesellschaft gibt.
Ist das auf dem Betzenberg das Werk einiger weniger gewesen oder doch von einem Großteil der Westkurve getragen?
Neururer: Leider werden es immer mehr – ganz unabhängig vom 1. FC Kaiserslautern. Ich finde die überzogenen Diskussionen um Spieler, die den Verein verlassen wollen und dann als Verräter bezeichnet werden, unsäglich. Jeder andere Arbeitnehmer würde doch auch seinen Arbeitgeber wechseln, wenn er woanders deutlich mehr Geld, Qualität und Aufstiegschancen geboten bekäme. Darüber würde sich kein Mensch aufregen. Nur im Fußball wird derjenige beschimpft und beleidigt. Unglaublich!
Wie kann man solche Auswüchse eindämmen? Sind nicht auch die Vereine viel stärker gefragt, im Vorfeld gegenzusteuern, Flagge zu zeigen gegen solche Fans?
Neururer: Ich finde es schade, dass der Großteil der Menschen, die mit solch feindseligem Verhalten nichts zu tun haben, sich nicht äußert. Das ist falsch verstandene Diplomatie.
Glauben Sie, dass sich der Fußball in zu extreme Richtungen entwickelt hat – die Polarisierung zwischen Marketingklubs auf der einen und übersteigertem, falsch verstandenem Traditionalismus auf der anderen Seite?
Neururer: Mit Tradition allein hat das nichts zu tun. Dieser Hass basiert vor allem auf dem Faktor Neid. Neid muss man sich erarbeiten – durch großartige Leistungen und/oder durch übermäßig viel Geld. Ich finde es auch toll, bei einem Traditionsverein zu arbeiten, weil um diese Klubs herum unglaublich viele Geschichten entstanden sind und immer wieder entstehen. Aber: Es gibt auch andere Vereine wie zum Beispiel RB Leipzig, die es zu respektieren gilt.
Sie selbst haben als Trainer des VfL Bochum 2014 gesagt: „Was Red-Bull-Inhaber Didi Mateschitz und Sportdirektor Ralf Rangnick da machen, machen sie sehr gut. Nur was gemacht wird, finde ich zum Kotzen." Hat sich Ihre Haltung gegenüber RBL diesbezüglich geändert?
Neururer: Nein, das wurde nur isoliert dargestellt. Ich habe das zwar so gesagt, aber eingebettet in den Kontext, dass es nicht sein dürfte, dass etwa Spieler zwischen zwei Klubs eines Geldgebers hin und her verschoben werden. Aber ich habe immer betont: Das ist nicht das Problem von Leipzig. Wenn die Statuten so etwas erlauben, sind doch die Statuten verkehrt. Das kann man denjenigen, die das dann ausnutzen, nicht vorwerfen. In Leipzig wird überragende Arbeit gemacht – gar keine Frage. Das ist natürlich nur möglich mit viel Geld, aber dafür muss sich keiner entschuldigen. RB Leipzig macht doch viele gute Sachen mit dem Geld: Sie bringen die erste Liga zurück in den Osten. RB hat das Interesse für den hochklassigen Fußball im Osten wieder erweckt. Das ist eine tolle Sache.
Stören Sie noch andere Dinge bei RB Leipzig als die Transferbewegungen im Red-Bull-Universum? Wie etwa die geringe Mitbestimmung der Fans oder der Startvorteil, den RB durch die Millionen aus Salzburg hatte?
Neururer: Nein. Die Mitglieder-Mitbestimmung in Leipzig interessiert mich insofern nicht, als dass mich das Thema persönlich nicht tangiert. Was ich von außen sehe ist, dass RB eine Entwicklung sportlicher Art genommen hat, bei der man sieht, dass da Profis arbeiten. Das Geld von Dietrich Mateschitz wird einfach vernünftig und Erfolg bringend eingesetzt.
Was Neururer den "Roten Bullen" in der ersten Liga zutraut
Glauben Sie, dass für RB Leipzig auf dem Weg in die erste Liga noch etwas anbrennt?
Neururer: Das Ding ist zwar rechnerisch noch nicht durch. Aber so blöd kann man gar nicht sein, das in zwei Heimspielen gegen Bielefeld und Karlsruhe noch zu verspielen. Da brauchen wir nicht über theoretische Konstellationen zu sprechen. Das wird Leipzig eintüten, weil die Qualität da ist und das Team somit verdientermaßen aufsteigt. Da ist alles so gelaufen, wie man sich das vor Saisonbeginn vorgestellt hat. Für mich war bereits von Anfang an nur die Frage, wer neben Leipzig noch aufsteigt.
Hätten Sie erwartet, dass RB angesichts der Qualität problemloser durch die Saison marschiert?
Neururer: Niederlagen wie die gegen Sandhausen sind Fauxpas’, die jeder Mannschaft mal passieren. Das Ziel war einzig und allein der Aufstieg. Das wird RB erreichen – völlig egal, ob als Erster oder Zweiter. Punkt.
Welche Chancen räumen Sie dem 1. FC Nürnberg in der Relegation ein?
Neururer: Die Kluft zwischen dem Tabellenkeller der ersten Liga und der Spitzengruppe der zweiten Liga ist sicherlich groß – keine Frage. Aber in zwei Spielen schrumpft diese Kluft zu einem geringen Spalt. Da ist alles möglich. Auch ohne den Relegationsgegner zu kennen, traue ich den Nürnbergern durchaus zu, gegen den Drittletzten der Bundesliga zu bestehen und den Aufstieg zu schaffen.
Welche Zukunft prophezeien Sie RB Leipzig in der Bundesliga?
Neururer: Leipzig wird nichts, aber auch gar nichts mit dem Abstieg zu tun haben. Selbst die Mannschaft, die jetzt da ist, würde in der Bundesliga besser klarkommen, als in der zweiten Liga.
Warum?
Neururer: In der ersten Liga wird einfach auf höherem Niveau Fußball gespielt.
Und mittelfristig?
Neururer: Da warten wir mal ab, was im ersten Jahr sportlich passiert, welche Neuzugänge sie holen, welche Gelder durch Red Bull freigemacht werden können und welche neuen Gelder der Klub akquiriert.
Wie bewerten Sie die Trainerfindung mit dem Absage-Wirrwarr um Markus Weinzierl und den Abwerbungsversuchen von Ralph Hasenhüttl beim FC Ingolstadt?
Neururer: Die Herangehensweise an eine Trainersuche ist jedem Klub selbst überlassen. Aber grundsätzlich finde ich eine Suche, die in der Öffentlichkeit ausgetragen wird, grauenhaft. Dass über Kandidaten gesprochen wird, die nicht verpflichtet werden, ist unverschämt. Das öffentlich zu kommentieren, gehört sich einfach nicht.
Was Neururer über einen Job als Trainer im Osten denkt
Beleben neben dem Aufstieg von RB Leipzig auch die Aufstiege von Dynamo Dresden und Erzgebirge Aue in die zweite Liga den Ostfußball?
Neururer: Das muss man differenziert sehen. Rein sportlich – und jetzt reden wir von Tradition – freut es mich riesig, wenn ein Verein wie Dynamo Dresden wieder zurückkommt. Wenn ich aber das Verhalten einiger Totalchaoten etwa beim Aufstiegsspiel in Magdeburg sehe, habe ich die Befürchtung, dass wir wieder Dinge sehen müssen, die wir – egal in welcher Liga – im Fußball nicht mehr haben wollen: Chaoten, die den Fußball kaputt machen. Publikum und Stimmung in Dresden sind genauso fantastisch wie Stadion und Verein. Aber leider gibt es auch dort viel zu viele Menschen, die in kein Fußballstadion dieser Welt gehören und die das Gesamt-Erscheinungsbild des Vereins belasten.
Und in Aue?
Neururer: In Aue ist das ganz anders. In Aue bin ich, egal, ob als TV-Experte oder als Trainer mit meinen Teams, immer unglaublich freundlich empfangen worden. Da herrscht eine Fankultur, die in ihrer Dimension mit Dresden natürlich nicht vergleichbar ist, aber die sehr angenehm und gastfreundlich ist. Ich freue mich, dass es Aue nach dem misslichen Abstieg wieder schaffen wird, in die zweite Liga zurückzukehren.
Sie selbst waren nie Trainer eines ostdeutschen Vereins. Können Sie sich vorstellen, einen Ostklub zu übernehmen?
Neururer: Wenn die Mannschaft Perspektive hat, auf jeden Fall. Warum auch nicht? Ich könnte mir das gut vorstellen.
Peter Neururer begann seine Trainerkarriere 1984 beim TuS Haltern und hat seither insgesamt 16 Klubs betreut. Zuletzt arbeitete Neururer bis Ende 2014 beim VfL Bochum. Aktuell ist der gebürtige Marler TV-Experte bei Sport1. An diesem Dienstag feierte er seinen 61. Geburtstag.