Marvin Compper im Interview Marvin Compper: RB Leipzig und Hoffenheim sind nicht vergleichbar

Leipzig - Marvin Compper wartet schon im Medienarbeitsraum der Akademie von RB Leipzig. Eindruck: Der Routinier kann es kaum erwarten, endlich wieder in der Bundesliga auf dem Platz zu stehen; das halbstündige Gespräch mit der MZ kommt da zur Einstimmung gerade recht.
Die Fragen über die Vergleiche zwischen RBL und seinen Ex-Klub Hoffenheim, potenzielle Probleme der jungen Leipziger Mannschaft oder notwendige Transfers beantwortet Compper gewandt, kompetent und reflektiert. Einen wie ihn kann man sich später gut als Sportdirektor vorstellen. Am Sonntag in Hoffenheim (17.30 Uhr) jedoch ist Compper zunächst als möglichst fitter Stabilisator der Abwehr gefragt.
Herr Compper, am Sonntag startet RB Leipzig bei Ihrem Ex-Klub Hoffenheim in die erste Bundesligasaison. Sind Sie fit und vorbereitet?
Marvin Compper: Ich bin voll im Training. Sonst wäre ich beim Pokalspiel auch nicht eingewechselt worden. Die Spielminuten in Dresden haben mir trotz der Niederlage sehr gut getan. Jetzt gilt es, darauf im Training aufzubauen, sodass ich bis zum Auftakt in Hoffenheim eine echte Alternative bin.
Rechnen Sie schon mit einem Startelfeinsatz?
Compper: Ich rechne momentan mit gar nix (lacht). Ich konzentriere mich auf die Trainingswoche. Am Ende werden wir sehen, ob es schon reicht, um von Beginn an zu spielen oder nicht. Wir arbeiten jeden Tag daran; selbst an freien Tagen schiebe ich Extraschichten, um den gereizten muskulären Bereich zu stärken. Das ist einfach notwendig.
Wie haben Sie Ihre persönliche Leistung und den Auftritt der Mannschaft in Dresden wahrgenommen?
Compper: Es war insofern schwer ins Spiel zu kommen, als dass wir eine Minute nach meiner Einwechslung den Ausgleich kassieren. Danach ging es einfach darum, das Spiel wieder auf unsere Seite zu ziehen, wieder Kontrolle zu bekommen. Insgesamt waren wir dem 3:2 in der Verlängerung näher als Dresden. Aber das bringt im Nachhinein auch nichts, wir haben das Spiel aus der Hand gegeben. Daraus müssen wir lernen und unsere Fehler abstellen oder wenigstens minimieren.
Ihr Trainer Ralph Hasenhüttl hat die fehlende Cleverness nach der 2:0-Halbzeit-Führung bemängelt. Sie haben die Erfahrung. Wie kann man diesen Reifeprozess beschleunigen?
Compper: Beschleunigen? Die Entwicklung muss natürlich vonstatten gehen. Dafür sind Negativerlebnisse unerlässlich. Du musst auch mal auf die Schnauze fallen und danach wieder aufstehen. Wir sind eine junge Mannschaft. Es wird noch das eine oder andere Mal in diesem Jahr passieren, dass solche Misserfolge auftreten. Das Entscheidende ist, wie wir darauf reagieren. Fehler dürfen ein Mal vorkommen, maximal zwei Mal. Aber beim dritten Mal darf das nicht nochmal passieren – darauf kommt es bei diesen Lernprozessen an.
Was muss in der Bundesliga besser laufen als beim Spiel in Dresden?
Compper: Wir müssen mitnehmen, dass wir den Gegner in der ersten Viertelstunde nach der Halbzeit nicht zurück ins Spiel kommen lassen dürfen. Entscheidend dabei ist, dass die Konsequenz in unserem, letzten Drittel stimmt und wir in solchen Spielen keine Geschenke verteilen. Wenn wir uns künftig wieder eine 2:0-Führung herausspielen, dann sollten wir versuchen, die Null zu halten, was nicht heißt, dass wir dann aufhören, nach vorn zu spielen.
Sie sind der mit Abstand erfahrenste Spieler im Team. Haben Ihre jungen Kollegen Sie schon über die Bundesliga ausgefragt?
Compper: Nicht wirklich. Auch wenn viele noch nicht in der Bundesliga gespielt haben, haben wir doch viele Spieler im Kader, die im Ausland auf Erstliga-Niveau, Champions League oder wie die Österreicher und Emil Forsberg bei der Europameisterschaft gespielt haben. Von daher brauchen die Jungs keine Tipps von mir, wie sie in der Bundesliga auftreten müssen. Es wird wichtig sein, dass sich jeder Spieler mit jeder Einsatzminute weiterentwickelt und dieses Niveau annimmt.
Ralf Rangnick hat mal gesagt, Erfahrung sei überbewertet. Wie sehen Sie das als erfahrener Spieler? Ist Erfahrung tatsächlich überbewertet?
Compper: Das kommt darauf an. Wenn man denkt, dass Erfahrung an sich ausreicht, dann ist das ein Trugschluss. Wenn du denkst, dass du mit Erfahrung alles regeln kannst, hast du schon den ersten Fehler begangen. Ich denke, dass die Fitness heute über alles geht. Intensität und Sprinthäufigkeit sind enorm gestiegen, da muss man gesund und fit sein. Wenn man all das mitbringt, ist Erfahrung sicher ein Plus, das einem hilft, ein Mosaiksteinchen.
Seite 2: Marvin Compper über seine Rückkehr nach Hoffenheim
Sie haben seit Ihrem letzten Erstligaeinsatz im Dezember 2012 keinen Erstligaeinsatz mehr bestritten. Wie sehr freuen Sie sich auf die Rückkehr?
Compper: Ich freue mich riesig. Ich werde viele Menschen, Orte, Stadien und Gegner wiedersehen, die ich bereits kenne. Aber alles mit meinem neuen Team, mit RB. Das wird ungemein spannend.
Wie heiß sind Sie nach über dreieinhalb Jahren Bundesliga-Abstinenz auf dieses Spiel?
Compper: Ich spiele immer nach dem Motto: heißes Herz, aber kühler Kopf. Es wird in Hoffenheim atmosphärisch vielleicht nicht ganz so heiß hergehen wie in Dresden, aber es wird wichtig sein, dass wir uns an unseren Matchplan halten und nicht überdrehen.
Was empfinden Sie bei dem Gedanken, zum ersten Mal an Ihre frühere Wirkungsstätte nach Hoffenheim zurückzukehren?
Compper: Das wird emotional gesehen ein sehr besonderes Spiel für mich. Ich habe mich dort noch nie in der Gästekabine umgezogen.
Sie wurden nach erfolgreichen Jahren im Winter 2012/13 als Kapitän entmachtet und weggeschickt. Haben Sie noch eine Rechnung mit Hoffenheim offen?
Compper: Mein unrühmlicher Abschied hing eng mit den damals handelnden Personen zusammen (u.a. Ex-TSG-Manager Andreas Müller, Anm.d.Red.). Kurz nachdem ich gegangen bin, mussten auch sie den Verein verlassen. Mit dem Klub an sich hatte ich nie Probleme. Im Gegenteil: In Hoffenheim hatte ich die bislang schönste und erfolgreichste Zeit meiner Karriere. Deswegen freue ich mich auf die Leute, die von damals noch übrig geblieben sind. Das ist im Team nur noch Sebastian Rudy, aber im Trainer- und Betreuerstab auch einige andere.
Ist die Rückkehr im Gespräch mit den zahlreichen weiteren Leipziger Hoffenheim-Veteranen im Team und im Betreuerstab ein Thema?
Compper: Absolut, wir sind alle mit den Menschen dort gut verblieben, freuen uns alle zurückzukehren und alte Freunde wiederzutreffen. Nichtsdestotrotz fahren wir da nicht hin, um ein Kaffeekränzchen abzuhalten, sondern um zu gewinnen. Vor und nach dem Spiel können wir uns gern in den Armen liegen, aber während der 90 Minuten zählt nur der Sieg.
Kann man eigentlich RB Leipzig und die TSG Hoffenheim tatsächlich miteinander vergleichen?
Compper: Nicht wirklich. Ralf Rangnick, Dominik Kaiser und ich waren auch dort aktiv. Dazu kommen noch einige aus dem Trainer- und Betreuerstab, die in beiden Klubs gearbeitet haben. Natürlich hat Ralf Rangnick in Hoffenheim eine ähnliche Philosophie wie hier verfolgt. Aber deswegen kann man die TSG Hoffenheim per sé nicht mit RB Leipzig vergleichen. Hoffenheim ist ein kleiner Verein, der in einer Provinz beheimatet ist. Wir sind hier in einer der größten ostdeutschen Städte zuhause. Den Unterschied spürt man schon in den Stadien.
Und die Finanzierung durch Mäzene?
Compper: Wenn man alles nur auf das Sponsoring, den Geldgeber reduzieren will, ähneln sich die Vereine vielleicht. Aber dann muss man auch einige andere Klubs mit dazuzählen.
Wie beurteilen Sie die aktuelle Entwicklung in Hoffenheim
Compper: Die langfristige Entwicklung des Vereins war in den vergangenen Jahren ins Schlingern geraten. Aber ich denke, dass mit dem neuen Trainer Julian Nagelsmann in Hoffenheim wieder etwas Erfolgreiches entstehen kann, wenn man ihn machen lässt. Aus der Ferne betrachtet, halte ich große Stücke auf ihn.
Ist eine solche Überraschung heute noch möglich, wie Sie sie nach dem Aufstieg in Hoffenheim geschafft haben, als die TSG als Herbstmeister vorübergehend an die Bundesligaspitze stürmte?
Compper: Schwer zu sagen, dann müsste wirklich alles passen. Es ist eher unwahrscheinlich, aber wenn man mal so einen Lauf hat, warum nicht? Man müsste wieder eine solchen Serie haben, mit der man über vier, fünf Monate hinweg die anderen Klubs gleichzeitig derart überrascht und so konstant seine Leistung abruft, dass man es immer wieder schafft, die Spiele für sich zu entscheiden. Allerdings hat sich der Fußball in den letzten Jahren auch noch einmal maßgeblich verändert.
Nehmen Sie von dieser Serie noch etwas für die erste Bundesligasaison von RB Leipzig mit?
Compper: Das ist zu weit weg und nicht wirklich vergleichbar – ich bleibe dabei. RB haben die anderen Mannschaften deutlich mehr auf dem Schirm, als das damals mit Hoffenheim der Fall war. Auch das Spielsystem ist nicht mehr so überraschend, das Scouting der Gegner auf intensiverem Level.
Sie haben nach dem Trainingslager gesagt, dass Sie sich noch Verstärkung in der Abwehr wünschen. Damit holen Sie sich die eigene Konkurrenz ins Haus.
Compper: Konkurrenz belebt das Geschäft. Ich habe das in Florenz erlebt, wo wir einen sehr breiten Kader hatten. Da sind wir in der Europa League im Vergleich zur Liga manchmal mit neun neuen Spielern aufgelaufen und haben dennoch 3:0 gewonnen. So bleibt jeder bei 120 Prozent der Konzentration, lässt nie nach, weil er weiß, er wird sonst ersetzt. Das stärkt die Stammspieler und spornt sie an. Auch uns würde es nicht schaden, auf jeder Position eine reelle Zweikampfsituation zu haben, sodass sich niemand seiner Sache zu sicher ist.
Vermissen Sie Breite und Tiefe des Kaders?
Compper: Ich bin weit davon entfernt, etwas zu fordern. Das ist auch nicht mein Kompetenzfeld. Aber es ist sicherlich nicht verkehrt, vier etatmäßige Innenverteidiger zu haben. Dann kann Stefan Ilsanker wieder ins defensive Mittelfeld rücken, und dann ist diese Position wieder mit vier Spielern besetzt.
Offensichtlich ist das gerade nicht so einfach für RB Leipzig.
Compper: Das liegt auch am Filter, der angesetzt wird. RB Leipzig wird keinen Schnellschuss abgeben, neue Spieler müssen in die Suchmaske passen. Da möchte man sichergehen, dass auch gute Entscheidungen getroffen werden, die für den Verein auch in Zukunft die richtigen bleiben. Im Fußball werden oftmals eh zu viele kurzfristige Entscheidungen getroffen, die teils bereut werden und nicht rentabel für den Verein sind. Das versucht RB Leipzig anders zu machen. (mz)