1. MZ.de
  2. >
  3. Sport
  4. >
  5. RB Leipzig
  6. >
  7. Interview mit RB-Vorsänger Sebastian: Interview mit RB-Vorsänger Sebastian: "Beim Aufstieg rufe ich Rangnick zur Fankurve"

Interview mit RB-Vorsänger Sebastian Interview mit RB-Vorsänger Sebastian: "Beim Aufstieg rufe ich Rangnick zur Fankurve"

Von Ullrich Kroemer 25.03.2016, 11:26
Stimme der RB-Fanszene: Rasenballsport-Capo Sebastian beim ersten Aufstiegsspiel gegen die Sportfreunde Lotte 2013 
Stimme der RB-Fanszene: Rasenballsport-Capo Sebastian beim ersten Aufstiegsspiel gegen die Sportfreunde Lotte 2013  imago sportfotodienst

Leipzig - Sebastian gibt den Takt bei RB Leipzig an. Der 34-Jährige mit der gewaltigen Stimme ist einer der Vorsänger bei RB Leipzig. In dem gerade erschienen Buch „RB Leipzig – Aufstieg ohne Grenzen” schildert der Rasenballsport-Capo aus seiner Sicht Entwicklung und Selbstverständnis der RBL-Fanszene, übt auch deutliche Kritik an Entscheidungen von Sportdirektor Ralf Rangnick und verrät, was er sich von den RBL-Anhängern noch erhofft.

Hier lesen Sie einen Auszug des Gesprächs, das eines von vier Teilen des Kapitels über die Fanszene beim Red-Bull-Klub ist.

Sebastian, wie würdest du den Charakter der RB-Fanszene beschreiben?

Sebastian: Wir folgen nicht dem Fanmainstream. Wir sind darauf bedacht, dass wir unsere Mannschaft unterstützen und die Stadt Leipzig betonen. Deswegen fahre ich auch Hunderte Kilometer durchs Land. Abwertungen und Diskriminierung anderer Fanszenen sind nicht unser Hauptaugenmerk. Deswegen wird es bei uns im Stadion auch keine gegen andere Fans gerichteten Gesänge geben.

Wie hat sich diese Fokussierung auf Leipzig entwickelt?

Sebastian: Das ist aus unserem Selbstverständnis heraus entstanden. Wir können zeigen, dass Leipzig kein weißer Fleck mehr auf der Fußballlandkarte ist. Leipzig ist in aller Munde, nur im Fußball war die Stadt lange Jahre nicht interessant. Das hat sich jetzt geändert. Ich will zeigen: Ich komme aus Leipzig, und Leipzig ist geil. Als aktiver Fan von Rasenballsport will ich im Stadion zeigen, dass wir da sind.

Wie stark hat sich der Verein bei der Entwicklung der Fanszene eingemischt?

Sebastian: Gar nicht. Vorgaben des Vereins, wie wir reagieren oder handeln sollen, gibt es nicht. Das würde auch gar nicht funktionieren. Klar, sind die Verantwortlichen froh, dass wir den Verein nach vorn bringen. Aber eine Fanszene kann nur wachsen und gedeihen, wenn sie dabei nicht gemaßregelt wird. Es wäre auch reichlich arrogant von einem Verein, wenn er meint, seine Fanszene bestimmen zu können.

Aber Choreografien müssen beispielsweise abgesegnet werden.

Sebastian: Es dürfen keine gewaltverherrlichenden oder diskriminierenden Inhalte gezeigt werden. Aber das ist für mich ebenfalls selbstverständlich, das käme für uns eh nicht infrage. Einmischungen bei Fangesängen oder ähnlichem jedoch gibt es überhaupt nicht. Wir dürfen uns auch kritisch äußern.

Der Verein verbietet politische Statements von der Fanszene im Stadion.

Sebastian: Unsere generellen politischen Einstellungen äußern wir ja sehr wohl, Banner gegen Rassismus und Diskriminierung sind im Stadion vertreten. Da haben wir ein klares Grundverständnis. Aber wir wollen konkreten politischen Gruppierungen keine Plattform im Stadion bieten.

Wie funktioniert die Abstimmung mit dem Verein?

Sebastian: Organisierte Fanklubs und Interessensgemeinschaften haben sich im Fanverband zusammengeschlossen, der mit dem Verein im Dialog ist. Ein Beispiel: Als der Verein die Eintrittspreise 2014 deutlich erhöhen wollte, haben wir als Fanverband protestiert und mit dem Verein darüber verhandelt. Daraufhin sind die Verantwortlichen wieder von den Kartenpreisen abgewichen. Wir haben also als Fans durchaus ein Mitbestimmungsrecht. Unsere Meinung ist dem Verein durchaus wichtig. Obwohl nicht jeder bei uns stimmberechtigtes Mitglied werden kann, hat die Fanszene dennoch Mitspracherecht.

Was der Vorsänger zu Kritik an seinem Verein sagt

Was hältst du von der Vereinsstruktur mit nur 17 stimmberechtigten Mitgliedern?

Sebastian: Ganz ehrlich: Selbst wenn man mir die Möglichkeit böte, Vereinsmitglied zu werden, würde ich es nicht machen wollen. Ich habe überhaupt keine Ahnung von diesem Geschäft. Dann maße ich mir auch nicht an, darüber mitbestimmen zu wollen. Das traue ich mir gar nicht zu. Ich finde es gut so wie es ist, und ich kenne auch keinen aktiven Fan von uns, der unbedingt stimmberechtigtes Mitglied werden will.

Kannst du nachvollziehen, dass sich andere Fan- und Ultraszenen oder Organisationen wie „Nein zu RB“ an der Struktur stören?

Sebastian: Klar, kann ich nachvollziehen, dass es für den ein oder anderen wichtig ist, als Mitglied in seinem Verein mitzubestimmen. Aber für mich persönlich ist das total uninteressant. Mir ist wichtig, dass wir als Fanszene trotzdem einen Einfluss haben.

Ihr nehmt als Fanszene auch eine teilweise kritische Haltung zum sportlichen Geschehen ein. Welche Punkte stören dich?

Sebastian: Das berühmteste Beispiel ist der Transfer von Marcel Sabitzer, der von Rasenballsport Leipzig gekauft und direkt nach Salzburg weiterverliehen wurde, um seine Vertragsklausel zu umgehen. Wirtschaftlich und sportlich macht das Sinn, moralisch finde ich das absolut verwerflich, um nicht zu sagen: scheiße! Da greife ich mir an den Kopf und kann auch verstehen, dass uns vorgeworfen wird, nur in anderen Gewässern zu fischen und das Beste abzugreifen.

Was noch?

Sebastian: Ein aktuelleres Beispiel ist die Aussage von Ralf Rangnick, als er meinte, dass der Verein ja schön blöd wäre, sich nach einem neuen Trainer umzuschauen. Kurze Zeit später war Alexander Zorniger nicht mehr hier. Da frage ich mich: Ralf, was ist mit dir nicht richtig?

Was der Vorsänger über Ralf Rangnick denkt

Wie siehst du Ralf Rangnick?

Sebastian: Ich habe ihn noch nicht kennengelernt. Aus meiner Fanperspektive betrachtet, finde ihn fachlich äußerst kompetent, aber seine soziale Kompetenz leidet darunter und fehlt ihm manchmal. Ab und an schüttelt man angesichts der Entscheidungen schon mit dem Kopf. Der sportliche Erfolg gibt Ralf Rangnick Recht. Dennoch frage ich mich, ob er nicht zu viel in zu kurzer Zeit will.

Alexander Zorniger wurde bisweilen nach starken Spielen vom Fanblock gefeiert. Bei Rangnick war das bisher nicht der Fall.

Sebastian: Alex war fannäher. Rangnick wirkt in sich gekehrter und distanzierter gegenüber uns Fans. Ihm haftet einfach ein Streberimage an. Es gibt dennoch einige unter den aktiven Fans, die ihn sehr schätzen. Aber von mir wird sein Name bei der Aufstellung sicher nicht gerufen. Aber wenn wir aufsteigen sollten, dann werde ich mich auch dazu bereit erklären, ihn mal zur Fankurve zu rufen (lacht).

Wie gefestigt ist eure aktive Fanszene inzwischen? Wie viele „echte“ Fans sind unter den Zuschauern in Sektor B tatsächlich und wie viele wollen nur günstig ins Stadion kommen?

Sebastian: Diese Leute findet man eher in Block D auf der gegenüberliegenden Seite unseres Fanblocks. Mein Verständnis von einem Fanblock ist eine aktive Unterstützung der Mannschaft. Dafür muss man in Kauf nehmen, dass die Sicht durch Fahnen behindert wird, dass es laut ist. Anfangs standen die aktiven Fans in Block 28 in der Mitte des Sektors, wo ich heute auf dem Podest stehe. Von dort aus ist die Schar der aktiven Supporter immer weiter in die Blöcke 27 und 29 gedrungen. Inzwischen machen auch in den äußersten Blöcken 25 und 31 immer mehr Leute mit. Natürlich stehen nicht alle Fanklubs in Sektor B. Die, die in Ruhe Fußball gucken wollen, haben sich inzwischen auf andere Stadionbereiche verteilt. Das ist eine interessante Entwicklung. Läuft, würde ich sagen!

Die Kurve ist derzeit weitgehend gewaltfrei. Wie wird die generelle Entwicklung deiner Meinung nach weiter verlaufen?

Sebastian: Vielleicht wird es auch mal einen Vorfall geben, der Medieninteresse hervorruft. Aber generell denke ich, dass unsere Kurve friedlich bleibt. Die meisten haben keine Lust auf Zustände, wie wir sie früher in Leipzig hatten, als sich Fans Straßenschlachten mit der Polizei und untereinander geliefert haben. Wir haben einfach keinen Bock auf Gewalt. Ich selbst bin übrigens auch tiefenentspannt, was andere Vereine hier in der Region angeht, wünsche auch Dynamo, Aue oder Chemnitz den Aufstieg in die zweite Liga.

Was hältst du bei der Entwicklung der RB-Fanszene in der Zukunft für wichtig?

Sebastian: Einige haben den Support noch nicht so verinnerlicht. Viele sind während des Spiels mehr mit Biertrinken, Rauchen und Labern beschäftigt. Das ist für mich persönlich im Fanblock ein No-Go. Da wünsche ich mir noch mehr Unterstützung, da müssen wir als Kurve ein noch intensiveres Selbstverständnis entwickeln. Aber es ist ganz normal, dass das noch wachsen muss. Bei anderen Vereinen haben sich Fanszenen auch nicht so schnell entwickelt. Das vergessen viele.

Gibt es einen Traum, den du mit RB hast?

Sebastian: Ich wünsche mir ein extrem emotionales Spiel, bei dem das ganze Stadion bebt und zum Hexenkessel wird. Vielleicht wird das ja in einer möglichen Relegation oder den entscheidenden Spielen um den Aufstieg in die Bundesliga Realität. (mz)

RB Leipzig polarisiert: Manche sehen in Rasenballsport den Untergang aller Fußballtraditionen. Andere hoffen darauf, dass die Leipziger die Langeweile um Dauermeister Bayern München beenden können. Und in Leipzig freuen sich viele, endlich wieder hochklassigen Fußball zu sehen. MZ-Autor Ullrich Kroemer präsentiert mit „Aufstieg ohne Grenzen” die erste Vereinsgeschichte: von der Gründungsphase über die sportlich wechselhaften Jahre in der Regionalliga bis zum bevorstehenden Aufstieg in die Bundesliga. Auch durch zahlreiche Interviews entsteht ein facettenreiches Vereinsporträt mit allen spannenden, darunter auch kritischen Themen rund um den Klub. Bei der MZ lesen Sie in den kommenden Tagen einige Auszüge aus dem Buch.