Interview mit Heribert Bruchhagen Heribert Bruchhagen über RB Leipzig, 50+1 und die Bundesliga

Leipzig - Vor dem Bundesliga-Topspiel zwischen RB Leipzig und dem FC Schalke am Samstagabend herrscht geschäftiges Treiben am Sky-Truck. Die Mannschaft des Pay-TV-Kanals bereitet sich auf die Partie vor. Für das Gespräch mit der MZ unterbricht Heribert Bruchhagen für zwei Zigarettenlängen seinen neuen Job. Nach knapp 30 Jahren als Funktionär für Schalke, den HSV, Arminia Bielefeld und Eintracht Frankfurt hat der 68-Jährige zu Beginn dieser Saison die Seiten gewechselt und ist nun TV-Experte.
Herr Bruchhagen, Sie haben vor der Saison gesagt, Leipzig werde es „ganz, ganz schwer” haben und haben die Leipziger eher in der Nähe der Abstiegsränge gesehen. Sind Sie überrascht?
Heribert Bruchhagen: Ich bin total überrascht. Ich hatte so argumentiert, weil wir waren in der vergangenen mit Eintracht Frankfurt 16. in der Bundesliga waren; Nürnberg war Dritter in der 2. Liga. In der Relegation lagen hinsichtlich der Qualität Welten zwischen uns und Nürnberg. Daraus ableitend, habe ich gesagt: Man kann nur vor dem Unterschied zwischen 1. und 2. Liga warnen und muss davon ausgehen, dass ein Aufsteiger auch mal fünf Spiele hintereinander verliert. Da habe ich mich halt geirrt. Übrigens war mir Ralf Rangnick nicht böse deswegen. Im Gegenteil: Er hat das ernst genommen.
Was beeindruckt Sie aktuell am meisten an Spitzenreiter Leipzig?
Bruchhagen: Die Schnelligkeit und Frische des Spiels. Ich habe schon während der Partie in Leverkusen beim Stand von 1:2 gesagt, dass RB das Spiel noch drehen wird. Die Mannschaft vermittelt einfach immer die Bereitschaft dazu. Das war sehr überzeugend. Und Spieler wie Emil Forsberg haben einfach große Qualität.
Und im Umfeld?
Bruchhagen: Das Hauptproblem für Leipzigs Konkurrenten ist die Qualität von Ralf Rangnick. Er macht seine Arbeit in allen Facetten einfach hervorragend. RB hat den etablierten Klubs eine Lektion erteilt, etwa hinsichtlich der Personalpolitik mit so jungen, talentierten Spielern. Natürlich konnten und können andere Aufsteiger auch nicht solche Summen investieren.
"Unsere Aufgabe war es darauf zu achten, dass es Rasenballsport Leipzig und nicht um Red Bull Leipzig in die Bundesliga kommt"
Sie hatten es im Frühjahr 2014 als Mitglied der Lizenzierungskommission mit in der Hand, ob RB Leipzig überhaupt im deutschen Fußball mitspielen darf. War Ihnen in dem Moment klar, dass Sie einen künftigen Meisterschaftskandidaten lizenziert haben?
Bruchhagen: Nein, niemals. Ich habe immer gedacht, dass Leipzig zwar in die Bundesliga aufsteigen und dann sicherlich fester Bestandteil der ersten Liga sein wird. Aber dass sie sich in diesen Sphären bewegen, habe ich nicht für möglich gehalten.
In der Lizenzierungskommission sitzen viele Vertreter von Traditionsvereinen. Wie war damals die Stimmung gegenüber RB?
Bruchhagen: Der Tenor war schon, dass der Osten einen Bundesligisten brauche und Leipzig unter anderem mit dem WM-Stadion tolle Voraussetzungen habe. Es war keinem unsympathisch, dass Leipzig in die Bundesliga kam. Aber unsere Aufgabe war es eben darauf zu achten, dass es sich bei dem künftigen Bundesligisten um Rasenballsport Leipzig und nicht um Red Bull Leipzig handelt – nicht nur, was den Namen angeht.
RBL und DFL haben sich im Mai 2014 nach wiederholten Nachforderungen auf einem Kompromiss geeinigt. Gab es ursprünglich härtere Auflagen und Bedingungen?
Bruchhagen: Nein. Oliver Mintzlaff hat da sehr gekonnt und überzeugend argumentiert. Der Verein ist höchst professionell, im Kleinen wie im Großen und hat das mit dem Bau des Leistungszentrums etc. sehr klug gemacht. Und die Dinge, die wir gefordert haben, sind auch umgesetzt worden. Leipzig hat die Auflagen und Bedingungen alle erfüllt. Unter anderem wurden ja das Wappen und die Klubstruktur geändert. Eine Nicht-Lizenzerung war damals von keinem angedacht.
"Mit Leipzig kann die Bundesliga gut leben"
Beobachter kritisierten damals, dass es eher kosmetische Veränderungen gab, die Auflagen nur ein Feigenblatt waren. Hat die DFL aufgrund der schwammigen, juristischen Situation als zahnloser Tiger agieren müssen?
Bruchhagen: Das sehe ich nicht so. Es ist nun mal Gegenstand der Diskussion, dass hier ein Verein am Reißbrett in die Bundesliga geplant wurde. Das ist Fakt. Aber da können wir froh sein, dass es sich um Leipzig handelt. Stellen Sie sich mal vor, das hätte irgendein weiterer Provinzverein gemacht. So kann die Bundesliga gut damit leben, dass das Stadion hier in einer ostdeutschen Metropole regelmäßig voll ist. Das ist ja alles im Sinne der Bundesliga.
Muss die Liga also froh sein, dass das im Sport nachhaltig agierende Unternehmen Red Bull auf die Idee gekommen ist, in der 5. Liga einzusteigen, und kein Scheich?
Bruchhagen: Na sagen wir es mal so: Herr Mateschitz (RBL-Investor, Anm.d.Red.) hebt sich ja wohltuend von vielen anderen im Fußballgeschäft ab. Im Kicker lese ich nichts von ihm, er hält sich angenehm im Hintergrund. Man hat wahrlich nicht den Eindruck, als würde er hier die Mannschaft aufstellen.
"Die nächsten Jahre werden zeigen, ob wir unsere Ausnahmestellung mit 50+1 halten können"
Dennoch wurde auch durch RB Leipzig die 50+1-Regelung im deutschen Fußball ausgehöhlt. Hat die Regel noch eine Zukunft?
Bruchhagen: Ich war schon im Vorstand der DFL, als die 50+1-Regel damals von Wolfgang Holzhäuser und Wilfried Straub implementiert wurde. Zum damaligen Zeitpunkt haben wir dieses Gedankengut der 50+1-Regel vollständig getragen. Wir waren überzeugt, dass das dem Fußball gut tun würde. Und in der Tat hat die Regel dazu beigetragen, dass die Bundesliga noch immer eine seriöse und durchdachte Veranstaltung ist. Doch inzwischen haben sich natürlich in den großen Ligen um Deutschland herum die Dinge entwickelt. Die nächsten Jahre werden zeigen, ob wir unsere Ausnahmestellung mit 50+1 halten können.
Das klingt nicht gerade optimistisch für die 50+1.
Bruchhagen: Es ist aus den Äußerungen der Verantwortlichen herauszulesen und zu –hören, dass da Bewegung hineingekommen ist. Aber mehr möchte ich dazu nicht sagen, ich bin nicht mehr Vorstand der DFL, sondern journalistischer Rookie im ersten Lehrjahr (lacht).
Geben Sie eine neue Prognose für RBL zum weiteren Saisonverlauf ab?
Bruchhagen: Leipzig ist jetzt fester Bestandteil der Bundesliga, und natürlich ist die jetzige Ausgangslage ein klares Indiz dafür, dass sie ein Kandidat für den internationalen Fußball sind. Aber ich glaube nicht, dass sie in diesem Jahr ihre Ausnahmeposition werden halten können. Internationale Ränge ja, aber für Platz eins, da fehlt mir der Glaube. Dass RB Leipzig Meister wird, halte ich für unrealistisch.