Duell in Dortmund BVB gegen RBL: Fußball im Zentrum des Leipzig-Hasses
Leipzig/Dortmund - Ulf Walther hat die Szenen, die sich am Nachmittag des 4. Februar rund um das Dortmunder Stadion abgespielt haben, noch immer vor Augen. Eben hatte der Fan von RB Leipzig noch gemeinsam mit Tausenden anderen Anhängern – insgesamt waren es etwa 7 500 im Sonderzug und den vielen Reisebussen – die Wallfahrt in die Fußball-Kathedrale gefeiert.
Wenig später bei der Ankunft am S-Bahnhof wurden sie bespuckt, „übelst bepöbelt“ und beworfen. Am Stadion eskalierte die Situation dann. „Es wurde mit allem auf uns geworfen, was fliegen kann“, sagt Walther. Steine, Flaschen, Dosen, Farbbeutel, Raketen, Mülleimer.
Die Polizei schützte die An- und Abreise mit viel zu wenig Beamten. Von den 150 bis 237 anwesenden Polizisten – da unterscheiden sich die Angaben – waren die meisten falsch postiert.
Bei der Besprechung von An- und Abreise der Fans sei die Polizei gar nicht dagewesen, heißt es von Leipziger Fanarbeitern. 168 Strafverfahren eröffnete die Polizei hinterher insgesamt, 66 Täter wurden identifiziert. Wie „Schlachtvieh“ seien sie sich vorgekommen hatten die Bornaer Bullen, Walthers Fanclub, damals in einem offenen Brief an BVB-Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke geschrieben. Dass „nur“ ein Dutzend Leipziger im Krankenhaus behandelt werden musste, bezeichnen viele, die dabei gewesen sind, als Wunder.
Anfahrt als Fest
Walther hat aus dieser Auswärtsfahrt seine Konsequenzen gezogen. Auf die Reise zum RB-Gastspiel beim BVB an diesem Samstag verzichtet der 38-Jährige – „aus Prinzip“.
Die Bornaer Bullen sind für ihre stimmungsvollen Auswärtsfahrten bekannt. Walther, der in der Medienbranche arbeitet, sagt: „Fußball soll Spaß machen, schon die Fahrten sollen Feste sein. Aber auf der Fahrt nach Dortmund könnte ich nicht feiern.“
So hat er konsequent entschieden, nie wieder dieses Stadion zu betreten. „Dortmund bekommt von mir kein Geld für eine Eintrittskarte.“ Wie Walther denken nicht wenige Fans von RB Leipzig. Die Zahl der Auswärtsfahrer lag damals bei 7 500, jetzt bei etwa 3 500.
BVB gegen RBL: Dortmunds Bürgermeister lädt Leipziger Fans nach Randale ein
Dass Dortmunds Bürgermeister Ullrich Sierau - ein gebürtiger Hallenser - einige RB-Fans, die zu Schaden kamen, nun nach Dortmund eingeladen hat, findet Walther ein gutes Signal. Zehn Leipziger folgen der Einladung. Nur: „Es kommt meiner Meinung nach vom Falschen. Es wäre die Aufgabe des BVB, vor diesem Spiel nochmals darauf einzugehen und sich zu entschuldigen.“
Doch die Dortmunder Verantwortlichen blieben seltsam zurückhaltend vor dieser Partie. Interviewanfragen der MZ an Watzke und einen der Fanbeauftragten lehnte der BVB „aus terminlichen Gründen“ ab. Zeitungen in NRW sagte Watzke: „Grundsätzlich glaube ich, dass alle gelernt haben aus der Situation. Insofern bin ich verhalten optimistisch, dass wir das ordentlich über die Bühne kriegen.“
Vielleicht sei es bereits ein Erfolg, sagt RB-Fan Walther bitter, dass Watzke nicht wie früher gegen RBL gestichelt habe. Etwas deutlicher war Daniel Lörcher, leitender BVB-Fanbeauftragter, im Vorfeld geworden. Im Buch „Das Spiel mit den anderen“ sagt Lörcher: „Bei den Attacken gegen Leipziger Fans ging es vor allem um Gewalt und Enthemmung. Da wurde deutlich, dass Borussia Dortmund in Teilen der Fanszene ein Gewaltproblem hat. Natürlich haben wir darauf reagiert, haben uns intensiv über Maßnahmen ausgetauscht und werden solche Spiele in Zukunft ganz anders vorbereiten.“
Watzke & Co. hatten nach der Gewalteruption mit Fanvertretern diskutiert, offenbar ohne einen wirklichen Konsens zu finden. Stattdessen setzte der BVB auf Härte. „Der Verein hat die Fanszene in einem noch nie dagewesenem Ausmaß abgestraft“, sagt Thilo Danielsmeyer.
Der 59-Jährige vom Fanprojekt Dortmund ist der wohl profundeste Kenner der Dortmunder Ultrakultur. Seit 25 Jahren ist der Sozialarbeiter für die aktive Fanklientel des BVB da. Mitten im mit schwarz-gelben Devotionalien vollgestopften Fanladen sagt er zu den Übergriffen: „Das war asozial, Vollchaoten und Trittbrettfahrer haben sich unmöglich benommen – nicht nur durch physische, sondern auch verbale Gewalt rund um das gesamte Spiel.“
BVB gegen RBL: Unterschiede zwischen den Randalen im Dortmunder Stadion und Bannern gegen die Leipziger
Doch es ist ihm wichtig, zwischen den Randalen vor dem Stadion und dem Protest im Stadion mit Bannern gegen RB zu differenzieren. „Die Ultrafans, die den Protest im Stadion organisiert und vorgetragen haben, waren nicht an den Ausschreitungen beteiligt“, betont er. „Die haben überhaupt kein Interesse daran, Gewalt gegen RB-Fans auszuüben oder Frauen und Kinder anzupöbeln. Die wollen ihrem Protest Ausdruck verleihen.“
Und auch die inzwischen verbotene und aufgelöste Hooligan-Organisation „0231 Riot“ sei nicht beteiligt gewesen. „Genau die waren es nicht, auch wenn das hier viele gern gesehen hätten.“ Einige Mitglieder der besonders gewalttätigen und teils rechtsgerichteten Gruppe hätten zwar dabeigestanden. „Aber die haben auf echte Gegner gewartet.“
Und die Reaktion und Reflexion der Fans? „In den Fällen, in denen Grenzen überschritten wurden, hat sich intern auch die Fanszene deutlich distanziert“, sagt Danielsmeyer. „Das fand keiner gut, auch die nicht, die am Samstag wieder protestieren.“
Trotz der Eskalation im vergangenen Jahr hat das Fanbündnis Südtribüne auch diesmal wieder zu einem Protestmarsch gegen RB aufgerufen – etwa 2 000 Fans werden erwartet, Start vor dem Fanladen. Dass friedlicher Protest gegen RB Leipzig – das aufgrund seiner Vereinsstruktur und Gründungsgeschichte aus Ultrasicht genügend Angriffsflächen bietet – auch künftig möglich sein muss, steht außer Frage.
Doch in der Einladung drehen die Initiatoren die Opferrolle um. Vom „sogenannten Skandalspiel“ und „Jetzt erst recht“ ist die Rede. Kein einziges Wort des Bedauerns oder des Aufrufs zur Gewaltfreiheit. „Ultras distanzieren sich nicht von Gewalt. Das ist zwar nicht unbedingt ihr Stilmittel, aber sie schließen sie auch niemals aus“, sagt Danielsmeyer. „Dazu sind die nicht zu bewegen.“ Daran war auch eine gemeinsame Erklärung der Fanszene im Frühjahr gescheitert.
Weil der Deutsche Fußball-Bund (DFB) wegen letztlich vier strafrelevanter Plakate 25 000 Fans auf der Südtribüne für ein Spiel aussperrte, fühlen sich die Ultras zu Unrecht abgestraft. „Es gab viele, die sich von den Idioten deutlich abgegrenzt haben. Aber als die Kollektivstrafe kam, hieß es nicht mehr: Das war scheiße von unseren eigenen Fans, sondern nur noch ,Scheiß DFB’. Das war aus unserer Sicht schade“, sagt Danielsmeyer. Weiterer Dialog sei so nicht mehr möglich gewesen. „Anstatt die Vorfälle weiter aufzuarbeiten, können die sich jetzt durchaus in einer Opferrolle sehen.“
BVB gegen RBL: Darum ist der Hass gegen Leipzig in Dortmund so stark
Weshalb aber ist gerade in Dortmund der Hass gegen RB so stark? Es gebe viele Dinge, die sich in der Gesellschaft geändert hätten, sagt Danielsmeyer. „Da ist der Fußball gerade hier bei uns im Ruhrgebiet die einzige Konstante, die geblieben ist. Dortmund und Schalke waren immer da“, erklärt er. „Wenn plötzlich ein neuer Klub daherkommt, der Geld hat und den sie nicht kennen, fühlen sie sich bedroht.“
Wie korrupte Funktionäre oder immer weiter steigende Ablösesummen und Eintrittspreise betrachteten die Ultras auch das „Konstrukt RB“ als ein Teil eines Puzzles, das die Verkommenheit des Fußballs zeige. Wenn nun der vermeintlich traditionelle Fußball, den die meisten Menschen im Ruhrpott noch immer in Dortmund und Schalke hineinprojizieren, auch noch wegbräche – „Was soll dann noch Bestand haben?“, laute die Frage der Menschen, sagt Danielsmeyer. „Deswegen ist die Bewegung hier besonders stark.“ Die Ansichten der Ultras teilten immer mehr auch normale Fans.
Zu einer Atmosphäre, in der Gästefans auswärts zumindest respektiert werden, trägt das freilich ebenso wenig bei wie die defensive Haltung von Watzke & Co. Nicht umsonst sollen diesmal 1 000 Polizisten die Leipziger von den Parkplätzen zum Gästeblock begleiten – möglicherweise in einem Polizeikessel. Ob es friedlich bleibt? Für Ulf Walther und die Bornaer Bullen tritt die sportliche Bedeutung des Spiels in den Hintergrund. „Kommt wohlbehalten wieder zurück!“, geben sie allen Mitgereisten mit auf den Weg. (mz)