Paul Biedermann Paul Biedermann: Olympia-Abschied ohne Medaille

Rio de Janeiro - Die Party daheim war gut besucht. Rund 25 Menschen - Freunde und Verwandte - hatten sich im Elternhaus von Paul Biedermann in Halle eingefunden, um tief in der deutschen Nacht diesen Auftritt live zu verfolgen. Besondere Momente erfordern besondere Feierlichkeiten - 200 Meter Freistil, das letzte große Einzelrennen einer großen Karriere. Und dem Vernehmen herrschte nach dem Anschlag, nach Platz sechs für den Weltrekordler von der Saale Enttäuschung, nicht aber Depression. Warum auch?
Paul Biedermann kam in der späten Montagnacht mit geröteten Wangen in die Interviewzone des Olympic Aquatics Stadium. Er sah aus wie einer, der gerade eine Höchstleistung vollbracht hatte. Und er sah wie einer aus, der bemüht war, jetzt, in diesem bedeutenden Moment seiner Karriere auf den letzten Schritten nicht die Selbstkontrolle zu verlieren. Nicht in aller Öffentlichkeit vor den Augen der Journalisten und den Linsen der Kameras.
Biedermann: "Ich habe alles gegeben"
Gut möglich, dass der 30-Jährige in den Katakomben der Arena still geweint haben mag. Dass er die Kapuze seines Trainingsparkas über den Kopf gezogen und vor sich hin gestarrt hat. Aber wer zeigt schon gerne vor allen Menschen, was einen wirklich trifft? „Ich habe alles gegeben. Das war das, was ich mir vorgenommen habe“, sagte Biedermann leise. Seine Augen wirkten dunkel, leer. „Das war alles, was ich jetzt gerade zu leisten imstande war. Ja, schade.“
Schade, weil es nicht unbedingt ein sehr schnelles, sondern ein taktisches Finale in der Königsdisziplin der Beckenschwimmer gewesen ist. Die Siegerzeit des Chinesen Sun Yang von 1:44,64 Minuten wäre für Biedermann wohl unerreichbar gewesen, aber dahinter landeten der Südafrikaner Chad le Clos in 1:45,20 und Conor Dwyer in 1:45,23 auf den Medaillenrängen. „Zwei Zehntel schneller als bei den deutschen Meisterschaften, und wir hätten eine Medaille“, hatte Biedermann nach dem Rennen zu Frank Embacher gesagt, der ihn seit knapp 15 Jahren trainiert. Stattdessen war er vier Zehntel langsamer als bei den deutschen Meisterschaften im Mai in Berlin.
Embacher: "Uns fehlte die berühmte Schippe"
Auch Embacher bemühte sich im Gewusel der Interviewzone, seine Enttäuschung zu verstecken, souverän zu bleiben. Aber dass es auch für ihn schwierig war, so kurz nach dem emotionalen Finale die Gedanken zu ordnen, war offenkundig: „Ich glaube, die Chance war gegeben, dass wir eine Medaille hätten machen können“, sagte er. „Uns fehlte die berühmte Schippe, die da draufgemusst hätte.“
Biedermann hatte Vorlauf und Halbfinale an seinem 30. Geburtstag sicher und kontrolliert hinter sich gebracht. Mit der viertschnellsten Zeit hatte er sich im Finale für Bahn sechs empfohlen. Mittendrin in den Wellen, also. Wie immer spritzte er sich vor dem Start ein paar Hände voll Beckenwasser auf den Brustkorb. Wie immer schlug er sich mit seiner Faust auf das Herz. Seine Reaktionszeit war die schlechteste im Feld, die ersten beiden Bahnen ging er langsam an, zur Hälfte des Rennens lag er auf Platz sieben. Am Ende schlug er in 1:45,84 Minuten an.
„Seinen großen Traum, die Medaille, kann er jetzt nicht in Empfang nehmen“, sagte Embacher. Nach Platz fünf bei den Spielen in Peking und Platz fünf bei Olympia in London verließ Biedermann das olympische Becken in Rio als Unvollendeter. „Es war keine gute Zeit“, konstatierte er. „Ich habe einfach alles gegeben, wie gesagt.“
Weltrekorde noch immer gültig
18 Jahre Leistungssport gehen zu Ende, Biedermann schwamm noch die 4 x 200 Meter Staffel (nach Redaktionsschluss dieser Ausgabe). Schwimmen ist sein Leben gewesen. Schon vor Rio hatte er gesagt, es sei eine schöne Zeit gewesen im Leistungssport, aber er freue sich jetzt auch auf die Zeit danach.
Paul Biedermann hatte im Becken seine großen Momente. 2009 bei der WM in Rom, als er über 200 und 400 Meter Freistil zwei Weltrekorde aufstellte. Sie sind bis heute gültig, er tritt als Schnellster aller Zeiten ab. Biedermanns Popularität stieg in den Tagen von Rom, obwohl der sechsmalige Europameister immer einer war, der nicht auf den lustigsten Tweet, den schillerndsten Auftritt, den markigsten Spruch aus gewesen ist. Er führte das Schwimmteam damals beim Papstbesuch an. Nach dem Rücktritt von Britta Steffen, mit der er kurz nach der WM in Rom zusammenkam, ist Biedermann das Gesicht des deutschen Schwimmsports gewesen: immer verbindlich, immer fair, bei Olympia kontinuierlich im Finale.
Vor seinem letzten großen Wettkampf in Rio hatte er gesagt, dass es traurig für den Schwimmsport sei, wenn Athleten, die schon mal beim Doping erwischt worden sind, wieder ins olympische Becken springen dürften. Er hatte nicht explizit Sun Yang gemeint. Aber der Chinese war 2014 positiv auf die Stimulanz Trimetazidin getestet und später dafür auch gesperrt worden.
Was er denn zu dem Sieger zu sagen habe, den andere Schwimmer an diesem Abend wegen seiner Dopingvergangenheit scharf angegriffen haben, wurde Biedermann in den Katakomben gefragt, kurz bevor er um die Ecke biegen und allein mit seiner Enttäuschung sein durfte. Biedermann zuckte mit den Schultern. Dann sagte er: „Es ist ja nicht der Athlet schuld, sondern das System.“
Aus dem tritt Biedermann in Rio würdig aus.
