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Olympia-Boykott 1984 Olympia-Boykott 1984: Waldemar Cierpinski weinte vor dem Fernseher

30.03.2020, 10:45
Waldemar Cierpinski stürmt 1980 als Erster ins Stadion von Moskau.
Waldemar Cierpinski stürmt 1980 als Erster ins Stadion von Moskau. imago/WEREK

Frankfurt (Main) - Bei Waldemar Cierpinski flossen die Tränen, als 1984 Olympia begann und er zuhause im Wohnzimmer saß. „Am ersten Tag der Spiele in Los Angeles lief der Frauen-Marathon. Als ich diese Bilder sah, da musste ich den Fernseher ausmachen - und habe geheult. Das musste einfach raus“, sagt der heute 69 Jahre alte Hallenser.

Heike Drechsler schaute damals im Sportinternat in Jena Westfernsehen. „Das war natürlich verboten, deshalb musste immer einer Wache halten.“ Marathonläufer Cierpinski und Weitspringerin Drechsler wären heute vielleicht sogar dreifache Olympiasieger - wenn die Boykotte nicht dazwischen gekommen wären.

Olympia-Boykott 1980: Kalter Krieg als Auslöser

Geplatzte Olympia-Träume von Gold-Kandidaten - die gab es 1980 auch in der Bundesrepublik. Wie zum Beispiel bei Heiner Brand, 1978 mit der Handball-Nationalmannschaft Weltmeister. Oder bei Zehnkämpfer Guido Kratschmer. Der Mainzer hatte 1976 in Montreal Silber gewonnen, 1980 war er in der Form seines Lebens. Und dann erfuhr er auf dem Weg zum Meeting nach Götzis, dass die Sportler aus der BRD nicht in Moskau teilnehmen.

„Ich war am Tiefpunkt, aber sportlich absolut auf der Höhe“, sagt der 67-Jährige. Im Juli nahm Kratschmer daher all seine Kräfte zusammen: In Bernhausen schaffte er mit 8.649 Punkten einen Weltrekord. „Ich wollte zeigen, dass ich Gold gewinnen hätte können.“ Bis heute nagt die Enttäuschung der verpassten Spiele an Kratschmer. In der Verschiebung von Olympia in Tokio sieht er „eine kleine Parallele. Diesmal sind alle betroffen. Aber es gibt ja die Aussicht auf 2021“.

Die Supermächte des Kalten Krieges boykottierten 1980 und 1984 gegenseitig die Spiele im Land des Gegners. Die USA weigerten sich, 1980 Sportler nach Moskau zu schicken. Grund war die sowjetische Invasion in Afghanistan. Erst die Bundesrepublik und vier Jahre später die DDR hingen mit drin.

Waldemar Cierpinski: Olympia-Boykott der DDR 1984 beendet seine Karriere

Für Cierpinski, der 1976 und 1980 Marathon-Gold erobert hatte, brach ebenfalls in einem Mai eine Welt zusammen. „Manfred Ewald (DDR-Sportchef Anm. d. Red.) ist damals nach Kienbaum ins Trainingslager gekommen und hat vor allen Sportlern den Boykott verkündet. Ich bin - als Kapitän der Marathonläufer - als Einziger aufgestanden und habe gesagt: Herr Ewald, ich habe mich im Training mit über 40.000 Kilometern auf Los Angeles vorbereitet, und ich werde keinesfalls an irgendeinem Ersatzwettkampf teilnehmen“, sagt er. Cierpinskis Karriere war damit praktisch beendet. 1988 in Seoul wäre er schon 38 Jahre alt gewesen.

Auch für Marita Koch, bis heute Weltrekordlerin über 400 Meter, platzte der Traum abrupt. Bei der WM 1983 in Helsinki war die Rostockerin mit dreimal Gold und einmal Silber noch die erfolgreichste Athletin. Dann kam der Schock.

„Nach der tollen WM 1983 sollte 1984 eigentlich unser Jahr werden - das war dann nix: puff, peng und weg“, sagt die heute 63-Jährige. „Mit einem Schlag war die Motivation weg, alles, wofür man vier Jahre lang gerackert hat.“ Das werde den Athleten jetzt nicht anders gehen. Koch: „Nur heute kann man niemandem die Schuld geben.“

Heike Drechsler holte noch zwei Mal Gold für Deutschland

Im Gegensatz zur Cierpinski bedeutete für Heike Drechsler der Boykott nicht das Ende. Sie sagte sich 1984: „Ich bin noch jung, ich habe die Zukunft vor mir. Aber vier Jahre warten - das war damals trotzdem fürchterlich.“ Die Thüringerin war damals schon mit 18 Weltmeisterin - unter ihrem Mädchennamen Daute. Sie ahnte nicht, dass sie 1992 und 2000 für das geeinte Deutschland Olympia-Gold holen würde.

Heute tut ihr Malaika Mihambo leid, die nach ihrem WM-Triumph 2019 in der Sandgrube von Doha Weltmeisterin wurde - und als Titelfavoritin für Tokio galt. Ob nämlich die Form bis 2021 so konservierbar ist, das muss sich erst noch zeigen. (dpa)

Marathon-Legende Waldemar Cierpinski 2018 in Halle.
Marathon-Legende Waldemar Cierpinski 2018 in Halle.
E. Schulz