MZ-Gespräch MZ-Gespräch : Champions-League-Finale: Das Größte überhaupt

Leipzig - Die Mitteldeutsche Zeitung bittet drei Schiedsrichter, die gerade den Gipfel ihrer Karrieren erreicht haben, zum Abendessen. Der Jurist Felix Brych (41) leitete am Pfingstwochenende das Fußball-Champions-League-Finale zwischen Real Madrid und Juventus Turin; seine Handball-Referee-Kollegen Lars Geipel (42), stellvertretender Chefredakteur der Mitteldeutschen Zeitung, und Marcus Helbig (45), Teamleiter bei der Agentur für Arbeit pfiffen das diesjährigen Champions-League-Endspiel der Handballer.
Ullrich Kroemer und Christian Elsaeßer sprachen mit den Unparteiischen. Es gab interessante Einblicke über das Erlebnis großer Endspiele, Psychologie und Selbstverständnis des Schiedsrichter-Sports sowie Umgang mit Fehlern und Akzeptanz bei Spielern.
Meine Herren, Sie haben die auf Klubebene wichtigsten Spiele des Jahres in Ihren Sportarten geleitet. Wie wirkt ein solches Erlebnis bei Ihnen nach?
Felix Brych: Das beste Gefühl für mich als Schiedsrichter ist, wenn die Mannschaften das Spiel entschieden haben und nicht ich. Das war nach dem Champions-League-Finale in Cardiff ein tolles Gefühl, das immer noch anhält. Deswegen werde ich bis zum Start der kommenden Saison auch keine Spiele mehr leiten. Wir bringen viele Opfer für unsere Tätigkeit, und da möchte ich eine solche Phase einfach genießen und auskosten. Wir Schiedsrichter können nichts gewinnen, wir bekommen keinen Pokal. Aber wir können ein Finale sorgenfrei über die Bühne bringen. Das ist für uns wie ein Pokal.
Lars Geipel: Die 20 Minuten nach Abpfiff, als Marcus und ich auf der Auswechselbank saßen, uns die Lasershow in der Halle angesehen haben und die Sängerin Mel C aufgetreten ist, waren für uns emotional unfassbar aufwühlend. Das kann man sich nicht vorstellen. Davon werden wir unser ganzes Leben zehren. Ich habe vor Freude und Erleichterung geweint, weil die ganze Abspannung abgefallen ist. Wir bezahlen für die Schiedsrichterei mit unserem sozialen Leben: Darunter leiden auch Familie und Freunde, Geburtstagseinladungen erhalten wir kaum noch, weil wir eh nie zusagen können. Aber genau für diese 20 Minuten hat sich all der Aufwand gelohnt. Diesem Gefühl jagt man hinterher.
Macht es eigentlich Spaß, ein „Königsklassen“-Endspiel zu leiten?
Felix Brych: Während des Spiels macht es nicht so richtig Spaß. Erst dann, wenn es gut gelaufen ist und der ganze Druck abfällt. Einmal das Champions-League-Finale zu leiten, war das große Ziel meiner Karriere. Wahrscheinlich war es mein größtes Spiel – eine Zäsur. Das habe ich danach mit meinen Kollegen und 20 Freunden und Familie in einem Hotel gefeiert. Aber es war neben Stolz und Freude auch Verantwortungsbewusstsein dabei, Anspannung, Neugierde, ganz viele Gefühle.
Marcus Helbig: Was die Atmosphäre angeht, ist das Champions-League-Finale auch für uns Handball-Schiedsrichter das größte Spiel unseres Lebens – und dann auch noch vor heimischem Publikum. Wir haben zum Beispiel noch nie so viel Applaus bekommen wie in Köln.
Sie können nur Finals pfeifen, wenn keine deutschen Mannschaften dabei sind. Träumt man davon, dass das eintritt?
Felix Brych: Ich habe mir das nicht gewünscht. Uns ist bewusst, dass wir als Schiedsrichter nur Randfiguren sind. Aber als die deutschen Teams im Viertelfinale ausgeschieden waren, habe ich mich schon darüber gefreut, dass ich die einmalige Chance bekommen könnte, dieses Finale zu pfeifen. Das ist doch nur menschlich, genau dafür sind wir schließlich Schiedsrichter geworden.
Wie haben Sie erfahren, dass Sie das Finale pfeifen dürfen?
Felix Brych: Der finale Anruf von Fifa- und Uefa-Schiedsrichterchef Pierluigi Collina kam etwa vier Wochen vor dem Finale. Als die Geschichte am Vorabend des Bundesliga-Spiels zwischen Dortmund und Hoffenheim immer konkreter wurde, war es nicht mehr möglich, das auszublenden. Wir haben beim gemeinsamen Abendessen nur über das Finale gesprochen. Dann lief die Partie am Tag darauf komplett an uns vorbei, wir hatten einen rabenschwarzen Tag. Aber wir haben gelernt: Man muss immer nur die nächste Aufgabe annehmen.
Lässt sich die Schiedsrichter-Tätigkeit in Handball und Fußball eigentlich vergleichen?
Lars Geipel: Was Schiedsrichter-interne Dinge angeht - Mechanismen, Abläufe und Verhaltensmuster - lässt sich das vergleichen. Der große Unterschied ist der mediale Druck. Wenn ich mir die Bild-Zeitung anschaue und da steht nach dem Dortmund-Hoffenheim-Spiel: „ZerBRYCHt Hoffenheims Traum von der Königsklasse?“, dann muss das gigantisch sein, was auf einen einprasselt.
Wie arbeiten Sie das auf, wenn Sie mal in einem Spiel richtig danebengelegen haben?
Felix Brych: Zunächst müssen wir Referees starke Typen sein, die Fehler selbst verarbeiten müssen. Das ist nicht immer leicht. Nach schlechten Spielen wie in Dortmund bin ich normalerweise eine Zeit lang schlecht drauf. Wichtig ist da ein stabiles privates Umfeld und ein gutes Team. In Dortmund waren wir alle schlecht, da konnten wir uns alle gegenseitig in den Arm nehmen. Aber jeder geht mit Niederlagen anders um: Der eine macht es mit sich persönlich aus, der andere zieht Dritte hinzu. Seit dem versuchten Selbstmord von Babak Rafati haben wir eine super psychologische Betreuung durch den DFB. Einer unser Psychologen ist zum Beispiel ein ehemaliger Kanute, der spannende Vergleiche zu anderen Sportarten ziehen kann.
Lars Geipel: Wir fahren nach Spielen meist gemeinsam mit dem Auto zurück. Da ist nach schlechten Leistungen auch mal schlechte Stimmung. Ein Vorteil ist aber, dass wird das gemeinsam verarbeiten können, indem wir einzelne Situationen durchsprechen.
Wie gehen Sie mit Zoff im Team um, Herr Brych?
Felix Brych: Ich bin der primus inter pares (Erster unter Gleichen, Anm. d. Red.). Wenn mein Gespann Fehler macht, muss ich es in der Öffentlichkeit ausbaden. Also muss ich die Zügel in der Hand halten, das letzte Wort haben, wenn es hart auf hart kommt.
Inwiefern spielt es eine Rolle, dass Ihnen in den wichtigen Spielen so exponierte Persönlichkeiten wie Cristiano Ronaldo oder Nikola Karabatic gegenüberstehen?
Felix Brych: In Cardiff waren alle 22 Akteure exponiert. Aber ich versuche immer, alle gleich zu behandeln. Name oder Marktwert eines Spielers spielen überhaupt keine Rolle. Natürlich kennt man sich über die Jahre und macht gemeinsame Erfahrungen.
Siezen oder duzen Sie die Spieler eigentlich?
Felix Brych: Wir duzen uns. Es kommt einfach besser an. Über die Jahre entsteht bisweilen auch eine gewisse Nähe zu einigen Spielern. Einige habe ich schon in der Jugend gepfiffen. Die pfeife ich dann zum 30. oder 40. Mal und wir freuen uns, wenn wir uns sehen. Aber es ist auch meine Aufgabe als Schiri, dass ich neutral bleibe und mit Nähe und Distanz gut zurecht komme. Sonst kann ich meinen Job nicht ausüben.
Marcus Helbig: Klar, man ist dem einen näher als dem anderen. Aber wichtig ist, dass du alle gleich behandelst. Unser Credo ist: Auf dem Feld hast du keine Freunde. Die Spieler reagieren auch ganz anders als davor oder danach.
Felix Brych: Deswegen wirkt es auf dem Platz manchmal so, als sei die Akzeptanz von uns Schiris durch die Spieler nicht besonders groß. Aber das sind emotionale Ausnahmesituationen. Wenn wir uns etwa am Flughafen treffen oder in der Öffentlichkeit, spürt man, dass sie wissen, was wir machen. Dann reden wir normal, selbst wenn es drei Wochen zuvor eine unangenehme Entscheidung gegeben hat. Wir sind Sportler. Die Spieler wissen, dass wir genau wie sie auch mal Fehler machen.
Marcus Helbig: So baut man sich auch Akzeptanz auf. Man muss selbstkritisch sein und Fehler zugeben können. Wir sprechen nach Abpfiff mit den Spielern, teilweise kommen sie sogar zu uns in die Kabine und fragen wegen bestimmter Szenen nach.
Felix Brych: Bei uns auch. Die Spieler haken nach, wollen auch mal ihre Perspektive erklären.
Wie hat sich die Akzeptanz im Laufe der Karriere entwickelt?
Lars Geipel: Das braucht viel, viel Zeit. Wichtig ist die Kommunikation mit Spielern und Trainern. Man muss Feeling entwickeln.
Felix Brych: Deswegen kommt ein Champions-League-Finale ja auch nicht am Anfang einer Karriere, sondern am Ende. Wir Schiedsrichter leben von unserer Reputation. Die hat man nicht nach 20 Bundesliga-Spielen. Man muss auch mal Niederlagen eingesteckt haben und unter Druck geraten sein, um zu beweisen, ob man dem gewachsen ist. Die Spieler müssen über Jahre Vertrauen entwickelt haben. Wir haben auch vor fünf Jahren schon gut gepfiffen. Aber wir hatten noch nicht die nötige Reife, um ein solches Finale zu leiten.
Sie haben neben der Schiedsrichterei eine Teilzeitstelle als Jurist beim Bayrischen Fußballverband. Fühlen Sie sich als Profi-Schiedsrichter?
Felix Brych: Ja. Ich wollte zwar meinen Beruf als Jurist nie ganz aufgeben, aber im Kopf bin ich Profi. Ich habe mein gesamtes Leben darauf ausgerichtet, habe auf vieles verzichtet. Ich habe früher bei einer Bank gearbeitet und gemerkt, dass ich das zeitlich nicht mehr schaffe. Man muss als Referee immer bereit sein, fit, auf Abruf. Ich muss meine Trainingszeiten einhalten, trainiere jeden Tag zwei, drei Stunden. Sonst schaffe ich die Anforderungen nicht. Das Spiel ist so schnell geworden, die Spieler so leistungsfähig. Wir kommen nur hinterher, wenn wir topfit sind. Wir sind Athleten, laufen bis zwölf Kilometer pro Spiel.
Werden Schiedsrichter künftig Profis sein müssen?
Lars Geipel: Ich wäre ungern Profi. Dazu macht mir mein Job viel zu viel Spaß. Aber perspektivisch brauchen wir auch im Handball Schiedsrichter, die damit einen großen Teil ihres Einkommens verdienen. Die Sportart ist in den vergangenen zehn Jahren viel intensiver, dynamischer geworden. Da müssen sich die Schiedsrichter anpassen, unfassbar viel mehr Zeit für taktische Vor- und Nachbereitung, Training, Physiotherapie und das Reisen investieren. Das kann man eigentlich nicht nebenbei machen.
Felix Brych: Junge Referees, die jetzt in die hochklassige Schiedsrichterei hineinwachsen, werden alles auf eine Karte setzen müssen. Das ist die Zukunft.
Man findet ganz wenig Informationen über den privaten Felix Brych. Ist das Selbstschutz oder Vorgabe?
Felix Brych: Ich habe mich dazu entschieden, mein Privatleben aus der Öffentlichkeit herauszuhalten, weil man dadurch angreifbar wird. Als Schiedsrichter sollte man versuchen, möglichst wenig Angriffsfläche zu bieten. Deswegen habe ich mich auch dazu entschieden, wenig Interviews zu geben. Das Champions-League-Finale war jetzt etwas Besonderes für mich persönlich und die deutschen Schiedsrichter, da kann man auch mal drüber sprechen.
Lars Geipel: Ich finde generell, dass wir als Spitzenschiedsrichter auch die Pflicht haben, für Interviews zur Verfügung zu stehen. Wir haben schließlich gegenüber dem Nachwuchs eine Vorbildfunktion. Aber Privates ist privat. Da bin ich auch rigoros.
Werden Sie eigentlich auf der Straße erkannt?
Felix Brych: Es nimmt zu, gerade rund um Spieltage. Aber zu über 90 Prozent sind die Kontakte positiv, respektvoll und sehr interessiert. Viele Leute schauen auch etwas ungläubig, wenn sie bemerken, dass Schiedsrichter ja auch aus Fleisch und Blut sind.
Lars Geipel: Bei uns ist es eher selten, dass wir auf der Straße erkannt werden. Aber über soziale Netzwerke treten die Handballfans mit uns in Kontakt. Das hat auch Schattenseiten. Nach dem EM-Halbfinale zwischen Kroatien und Gastgeber Dänemark, das die Kroaten mit zwei Toren verloren haben, habe ich in kurzer Zeit Tausende Facebook-Kommentare bekommen. Ich wurde auf das Übelste beschimpft.
Felix Brych: Ich bin in den sozialen Netzwerken überhaupt nicht aktiv. Es gibt einige Fake-Profile von uns Schiedsrichtern, aber das bin nicht ich. Da hat der DFB auch mal eingegriffen, dann wurden einige gelöscht. Ich habe mich zu Beginn meiner Karriere auch mit der Gefahr auseinandergesetzt, die unser Job birgt. Jedes Spiel ist ein gewisses Risiko. In jedem Match lauern Gefahren. Das macht nicht immer nur Spaß. Gerade das Champions-League-Finale zu pfeifen, ist auch ein Risiko.
Lars Geipel: Es muss einem bewusst sein, dass ein schlechtes Spiel das letzte gewesen sein kann. Wir haben hoch veranlagte Schiedsrichtergespanne erlebt, die bei einer WM ein paar unglückliche, undiplomatische Entscheidungen getroffen haben, und nie wieder international berücksichtigt wurden. Es geht in den wichtigen Spielen ums Überleben. Darum, auch beim nächsten großen Turnier dabei sein zu können. Ein Spiel, ein Fehler kann über eine Karriere entscheiden.
Sie haben bei Olympia, WM, EM gepfiffen und das Champions League-Finale. Was fehlt noch in der Karriere?
Felix Brych: Es fehlt nichts mehr. Aber es macht mir noch großen Spaß, es gibt keinen Grund, vorzeitig aufzuhören. Nächstes Jahr ist die WM, und das ist das Ziel.
Marcus Helbig: Sehen wir ähnlich. Nächstes Jahr ist EM, und das ist unser Ziel.