Torsten Ziegner im Porträt Torsten Ziegner im Porträt: "Mister 100 Prozent" hat den HFC wachgerüttelt
Halle (Saale) - Sie ist schon faszinierend, diese Einmütigkeit. Auf die Frage: Wie tickt Torsten Ziegner? folgt immer wieder eine Formulierung: „Für ihn gibt es nur einhundert Prozent.“ Bernd Schneider, bester Kumpel und ehemaliger Fußball-Nationalspieler (81 Länderspiele, Vizeweltmeister 2002), sagt diesen Satz.
Ralf Heskamp, Sportchef des Halleschen FC, wandelt ihn: „Er verlangt immer einhundert Prozent.“ Die Profis des Drittligisten sagen das sowieso. Sie spüren diesen unbändigen Ehrgeiz ihres Übungsleiters schließlich täglich im Training.
„Mister 100 Prozent“ also ist es, der Halles Fußball in dieser Saison wachgerüttelt hat. Der Klub-Punkterekord ist längst geknackt. Zum letzten Heimspiel der Saison gegen Eintracht Braunschweig kamen noch einmal mehr als 10.000 Fans in den Erdgas Sportpark und feierten das Team.
Für HFC-Trainer Torsten Ziegner ist das Glas immer halbvoll
Inzwischen ist klar, dass es zur Sensation nicht ganz gereicht hat. Die Relegation zur zweiten Bundesliga war schon zwei Spieltage vor Saisonschluss vier Punkte und zahlreiche Tore Differenz entfernt. „Es sieht so aus, als ob es nicht reicht“, sagte Ziegner vor dem Spiel. Das grämt ihn. Aber Ziegner wäre nicht Ziegner, wenn er nicht auf die Restchance hinweisen würde.
Für ihn ist ein Glas immer halbvoll. Und: „Ich bin kein guter Verlierer“, gibt der 41-Jährige zu. „Nicht einmal meine Kinder lasse ich bei Spielen mal eben so gewinnen.“ Die Tochter ist 16 Jahre alt, sein Sohn zwölf. Selbst als sie jünger waren, wurden sie nicht einfach mal so durchgewinkt, bloß um ihnen eine Freude zu machen.
Bernd Schneider, der mit Hobby-Angler Ziegner so manche freie Stunde verbringt, plaudert: „Darts, Badminton, Kartenspiele, Tischtennis, ja sogar Schwedenschach - immer will Torsten gewinnen. Und als kleinen Anreiz geht es dann auch mal um zwei, drei Euro“, sagt er lachend. „Aber bei allem Ehrgeiz ist er immer Mensch und auf dem Boden geblieben - und er hat viel Humor“, erzählt der alte Freund.
Torsten Ziegner: „Ich habe mich durchs Abitur schlawinert“
Nur in der Schule früher in Jena, hielt sich der Eifer von Torsten Ziegner - rein was das Lernen betraf - in Grenzen. „Im Grundsatz war ich ein guter Schüler - aber nicht sonderlich fleißig. Ich habe mich durchs Abitur schlawinert und mit einigen Slaloms das Ziel erreicht“, sagt er. Und: „Für die Lehrer war ich bestimmt kein einfacher Schüler. Wenn ich glaubte, im Recht zu sein, dann wollte ich das auch durchsetzen.“
Das ist bis heute so geblieben. „Er geht seinen Weg, und hat keine Angst vor unpopulären Entscheidungen“, sagt Sportchef Heskamp - mit hörbarer Hochachtung. Leistung zählt - nicht Renommee. Wer von den Profis im Training einhundert Prozent und keinen Deut weniger gibt, der spielt. Es ist nur recht für Ziegner, das, was er selbst vorgibt, von seinen Spielern einzufordern. „Er verlangt unheimlich viel“, sagt Heskamp.
Fußball hatte für Ziegner immer oberste Priorität. Er war Kapitän in Zeiss-Jugendmannschaften zu seiner Zeit an der Sportschule in Jena, wo er schon mit 18 Jahren bei den Männern spielte - inklusive Aufstieg 1995. An seiner Seite auch in deutschen U-Auswahlteams: Robert Enke.
Torsten Ziegner über Robert Enke: „Wir waren Freunde und richtige Lausbuben“
Plötzlich wird der manchmal ruppig wirkende Ziegner weich. Er selbst hat das Thema auf seinen toten Freund gebracht. Enke nahm sich im November 2009 das Leben, einen Tag nach Ziegners 32. Geburtstag. Der damalige Torwart von Hannover 96 bekam seine Depressionen nicht mehr in den Griff und hatte sich vor einen Zug geworfen.
„Das war ein Schock, der mich tief getroffen hat. Wir haben schließlich viele Jahre an der Sportschule in Jena die Bank geteilt. Wir waren Freunde und richtige Lausbuben“, erzählt Ziegner. Im Sommer 1996 ging Enke nach Mönchengladbach zur Borussia. Immer mit dem Ziel, bald die Nummer eins beim Bundesliga-Klub zu sein. Enke schaffte es sogar bis in die Nationalmannschaft (acht Spiele). Doch die Dämonen verfolgten ihn. „Ich wusste um seine Probleme. Nur nicht, wie schlimm sie waren“, so Ziegner.
Heute, findet er, ist die Gesellschaft sensibilisierter für das Thema Depression. „Aber es ist im Fußball keines für die Öffentlichkeit“, sagt Ziegner. „Wenn ein Spieler zu mir käme und über solche Probleme reden möchte - sehr gern. Aber ich bin kein Facharzt“, so Ziegner. Danach sagt er: „Wir leben in einer Leistungsgesellschaft. Mit dem Druck muss jeder für sich klarkommen.“ Ziegner will das Thema gern beenden.
Warum es der Spieler Torsten Ziegner nie in die Bundesliga geschafft hat
Schwenk. Warum hat er es eigentlich nicht als Fußballer in die Bundesliga geschafft? „Ich ging nach dem Zweitliga-Abstieg von Jena 1998 lieber zum FSV Zwickau - damals in die dritte Liga. Weil dort Dixie Dörner, ehemals mein Coach in der deutschen U16, Trainer war. Da wusste ich: Ich habe gute Chancen zu spielen. Vielleicht hätte ich mir mehr zutrauen sollen. Vielleicht hätte es ja für die Bundesliga gereicht. Doch dazu braucht man auch Glück“, sagt Ziegner. „Aber“, setzt er hinzu, „früher, im Alter zwischen 18 und 22 Jahren, hatte ich auch nicht wirklich die Selbstdisziplin, um Erstliga-Profi zu sein.“
Nein, er sei nicht ausufernd durch die Diskoszene an den Kernbergen gestreift. „Ganz normal, wie jeder Jugendliche.“ Vielmehr: „Ich habe nur trainiert und gespielt und dabei wenig auf meinen Körper geachtet. Vor- und Nachbereitung interessierten mich nicht sonderlich. Da war ich aus heutiger Sicht nicht professionell genug.“
Auch deshalb schmerzen heute die Knie. Was ihn zum Verzicht zwingt. Mal ab und an ein Oldiespiel ist drin. Beim Training mit den Jungspunden in seiner Mannschaft würde er gern schon noch öfter mitmischen. Das Kribbeln in den Füßen wird er nicht los.
Torsten Ziegner mochte den Halleschen FC früher nicht sonderlich
Und überhaupt: Still zuschauen kann er schlecht. Ziegner wird laut und knurrig, wenn ihm etwas gegen den Strich geht. Nicht nur Schiedsrichter wissen das. Ziegner kann am Spielfeld den Berserker geben. Als letzte Saison der HFC an einem fürchterlichen Wintertag 2017 in Zwickau gastierte, ließ er den damaligen Halle-Trainer Rico Schmitt und die „überheblichen“ Spieler spüren, dass er „Arroganz nicht ausstehen“ kann. Es kam zu schroffen Wortgefechten. „Spieler meiner Mannschaften müssen Ehrlichkeit, Teamspirit und Loyalität mitbringen“, sagt er heute ruhig.
Eine solche Mannschaft mit diesen Charakterzügen hat er sich letzten Sommer zusammengestellt. Dabei mochte er den Halleschen FC früher nicht sonderlich - naturgemäß geht es Jenaern so. Die Klubs sind Rivalen.
„Nächster Schritt“, hat er den Wechsel aus Westsachsen an die Saale trotzdem genannt. Obwohl der Klub damals finanziell darniederlag und kaum noch Spieler unter Vertrag hatte. Ein Wagnis. Der HFC galt als abstiegsgefährdet.
Torsten Ziegner blockte in der Saison Zweitliga-Anfragen ab
Jetzt herrscht Euphorie. Auch wenn es mit der Aufstiegs-Sensation nicht geklappt hat: Ziegner hat Halles Fußball Beine gemacht. Und weil seine Mannschaft phasenweise wie eine Dampframme mit Düsenantrieb durch die Liga donnerte, wurde Ziegner woanders wahrgenommen. Zweitligisten meldeten ihr Interesse an. Ziegner winkte ab. Aber der Ehrgeizige will natürlich einmal in der zweiten Liga trainieren. Aber eben mit dem HFC.
Sein Vertrag läuft nächste Saison ab. Im Sommer möchte der Klub mit ihm vorzeitig verlängern. Präsident Jens Rauschenbach sagt, warum: „Zu Torsten Ziegner fällt mir eine zeitlose Aussage von Augustinus Aurelius aus dem fünften Jahrhundert ein: ,In dir muss brennen, was du in anderen entzünden willst.’ Bei unserem Trainer brennt es lichterloh.“
Und dann weniger poetisch: „Er ist zielstrebig, ehrgeizig und geradeaus. Um zum Ziel zu kommen, geht er keiner Auseinandersetzung aus dem Weg. Er kämpft für seine Sache.“ Immer mit einhundert Prozent. (mz)