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Tod von Robert Enke Tod von Robert Enke: Torsten Ziegner spricht über den Selbstmord seines Freundes

Von Christoph Karpe und Christoph Lesk 09.11.2019, 11:02
2006: Aufstieg in die zweite Liga. Robert Enke war  extra in Jena, um mit Torsten Ziegner (l.) zu feiern.
2006: Aufstieg in die zweite Liga. Robert Enke war  extra in Jena, um mit Torsten Ziegner (l.) zu feiern. Imago/Koch

Halle (Saale)/Hannover - Dieser Sonnabend könnte für Torsten Ziegner ein wirklich schöner Tag werden. Schließlich hat der Trainer des Halleschen FC Geburtstag. Nun gut, es ist der 42., also nichts besonderes. Versüßen könnte ihm den Ehrentag jedoch seine Mannschaft. Ein Sieg im Heimspiel gegen 1860 München käme einem tollen Geschenk gleich und wäre auch für den Verein das große Finale einer aufregenden Woche, in deren Zentrum die Vertragsverlängerung mit dem Trainerteam gestanden hatte (Update: Der HFC verlor mit 0:1). Abends wird Ziegner feiern, mit der Familie, womöglich auch ein paar Freunden. Daheim in Jena und mit einem Level an Ausgelassenheit, das vermutlich abhängig vom Spielergebnis in der Drittliga-Partie sein dürfte. Die Prognose über den ziegnerschen Gemütszustand am Folgetag fällt dagegen schwer.

Dieser 10. November hat seit zehn Jahren etwas bleiernes. 2009 stürzte sich Robert Enke in der Nacht vor einen Zug. Gepeinigt von Depressionen hatte der Torwart von Hannover 96, der auch acht Mal für die DFB-Elf aufgelaufen war, keinen anderen Ausweg gesehen.

In jenem Moment erschien ihm das Leben sinnlos, noch sinnloser als in den Monaten, ja Jahren zuvor in denen er schon - unbemerkt von der Öffentlichkeit - unter der Krankheit gelitten hatte. Einer, dem Enkes Tod besonders nahe ging - und auch immer noch geht, das ist Ziegner.

Robert Enke und Torsten Ziegner als Lausbuben in Jenas Nachwuchs-Akademie

Enke und der drei Monate jüngere Ziegner, das waren die Lausbuben aus der Nachwuchs-Akademie von Carl Zeiss Jena. Viele Jahre lang saßen sie täglich nebeneinander. Bis sich Robert Enke 1996 die Chance zur ganz großen Karriere auftat: Borussia Mönchengladbach holte ihn. Dann ging es zu Benfica Lissabon, zum großen FC Barcelona - wo Enke nicht glücklich wurde. 2004 kehrte er in die Bundesliga zurück, kam zu Hannover.

Ziegner war da gerade wieder zurück in Jena. Aber der Kontakt zum alten Kumpel war nie abgerissen. Und Torsten Ziegner „wusste um seine Probleme. Nur nicht, wie schlimm sie waren.“ Das hatte er vor einem halben Jahr schon in der MZ erzählt.

Nun jährt sich der Todestag. Ziegner gesteht: „Ich denke jedes Jahr um die Zeit an ihn. Das hat weniger mit einer Gedenkminute zu tun. Ich denke an die Zeiten, die wir erlebt haben“, sagt er.

Tod von Robert Enke: Ziegner bricht mitten im Spiel in Tränen aus

Als die schockierende Nachricht damals kam, als die Eilmeldung über den TV-Bildschirm flimmerte, wollte sie Ziegner nicht wahrhaben, glaubte an einen Irrtum. Die Hoffnung verflog schnell. Wie sehr Torsten Ziegner der Tod des Freundes mitgenommen hatte, zeigte sich im darauf folgenden Drittliga-Spiel der Jenaer in Heidenheim.

Ziegner bereitete ein Jenaer Tor vor - dann brach es aus ihm heraus. Der sonst so harte Kerl weinte bitterlich. Heute sagt er: „Es steht fest, dass die Zeit die Wunden heilt. Das ist wahr. Stand heute, zehn Jahre nach seinem Tod, ist es so, dass ich es nicht vergessen werde. Weder den Moment, in dem es passiert ist, noch die Zeit davor. Aber es tut nicht mehr ganz so sehr weh.“

Dann schaut Torsten Ziegner, der noch Kontakt zu Enkes Witwe Teresa hat, auf das Hier und Jetzt. Inwieweit ist die Gesellschaft für das Thema Depression im Sport nun sensibilisiert? „Ich bin zu 100 Prozent davon überzeugt, dass sich etwas getan hat. Es ist noch nicht so, dass es kein Tabu mehr ist. Aber es ist um einiges besser geworden, als es mal war“, sagt Torsten Ziegner.

Torsten Ziegner sieht Defizite im Umgang mit Depressionen

„Es gibt genügend Beispiele dafür, dass Sportler und auch andere Prominente sich zu dieser Krankheit geäußert und bekannt haben.“ Aber: „Es bleibt dabei, dass es auch da noch genügend Luft nach oben gibt, um es noch gesellschaftsfähiger zu machen, dass man sich für diese Krankheit nicht zu schämen braucht oder deshalb verstecken muss.“

In der breiten Gesellschaft gibt es also hoffnungsvolle Zeichen. Beim Fußball sieht Ziegner dagegen kaum einen Wandel. „Bei den Spielern hat sich nichts geändert. Es ist nicht so, dass es früher mehr oder weniger Gespräche waren“, sagt er.

„Ich pflege zu meinen Spielern zwar ein sehr vertrauensvolles Verhältnis und es gibt genügend Situationen, in denen Spieler mit Themen auf mich zukommen. Aber man darf nicht vergessen, dass es einen Unterschied gibt zwischen Unzufriedenheit, weil es aktuell nicht läuft oder man wenig spielt, und der Krankheit Depression.“

Gedenkminute für Robert Enke auf allen Fußballplätzen geplant

Diese sei als Thema immer noch „im Fußball keines für die Öffentlichkeit“, sagt Ziegner. Und eines gelte auch für das Profigeschäft: „Wir leben in einer Leistungsgesellschaft. Mit dem Druck muss jeder für sich klarkommen.“ Aber wenn jemand Probleme spüre, solle er sich Hilfe suchen.

Psychische Störungen, die unter anderem durch Traurigkeit, Interesselosigkeit und geringes Selbstwertgefühl gekennzeichnet sein können. Depressionen können über längere Zeit oder wiederkehrend auftreten. Sie treten oft in einem jungen Alter ein und werden medikamentös behandelt.

Fälle im familiären Umfeld erhöhen das Risiko. Auch traumatische Vorfälle haben negative Auswirkungen. Der Beginn kann mit Auslösern wie chronischer Überlastung, Überforderung, zwischenmenschlichen Konflikten oder Verlusterlebnissen einhergehen. Ersthilfe bietet die Telefonseelsorge. Diese bekommt man kostenlos unter 0800-1110111 oder 0800-1110222.

Laut einer Studie waren 2018 8,2 Prozent der Bevölkerung in Deutschland - etwa 5,3 Millionen Menschen - an Depressionen erkrankt. Eine Umfrage der Sporthilfe aus dem Jahr 2013 mit 1 150 deutschen Sportlern hatte ergeben, dass etwa ein Drittel an psychischen Erkrankungen leide. Demnach waren 9,3 Prozent an Depressionen erkrankt, 9,6 Prozent hatten Bulemie und 11,6 Prozent ein Burn-out-Syndrom.

Kurz vor seinem Tod wollte Robert Enke, an den auf allen Fußballplätzen des Landes an diesem Wochenende mit einer Gedenkminute erinnert werden soll, dann doch in eine Klinik gehen. Der Termin stand fest, in letzter Minute machte er einen Rückzieher.

Eine „Tragödie“, sagte Teresa Enke dem SID: „Hätte er die Therapie gemacht, wäre er vielleicht zurückgekommen.“ Dann hätte Torsten Ziegner seinen Geburtstag vielleicht mit dem alten Kumpel feiern können.

(mz)

2006: Aufstieg in die zweite Liga. Robert Enke war extra in Jena, um mit Torsten Ziegner (l.) zu feiern.
2006: Aufstieg in die zweite Liga. Robert Enke war extra in Jena, um mit Torsten Ziegner (l.) zu feiern.
Imago Koch
Nach seiner Torvorbereitung ging Ziegners Gruß gen Himmel.
Nach seiner Torvorbereitung ging Ziegners Gruß gen Himmel.
Imago
Die ganze Trauer brach auf dem Platz bei Ziegner durch.
Die ganze Trauer brach auf dem Platz bei Ziegner durch.
IMago