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"Jobrotation" angekündigt HFC: Stadt Halle bestätigt Neuausrichtung des Fanprojekts

Von Martin Henkel 28.03.2017, 18:57
Vor dem Spiel gegen Fortuna Köln initiierten HFC-Fans eine Aktion zum Verbleib des Fanprojektleiters Steffen Kluge.
Vor dem Spiel gegen Fortuna Köln initiierten HFC-Fans eine Aktion zum Verbleib des Fanprojektleiters Steffen Kluge. imago sportfotodienst

Halle (Saale) - Nachrichten aus dem Rathaus: Oliver Paulsen, der für das Fanprojekt zuständige Koordinator der Stadt Halle, hat sich auf Anfrage der Mitteldeutschen Zeitung zu Sachstand und Lage der Causa Steffen Kluge geäußert. Sachstand der Causa Kluge ist die avisierte Absetzung des Sozialpädagogen vom Posten des Fanprojektleiters. Die Lage ist übersichtlich. Hier und da ist man vor allem entsetzt.

Paulsen also. Anfang der Woche hat der Vertraute des Oberbürgermeisters Bernd Wiegand (parteilos) erstmals die Frage zu sich vorgelassen, warum der bei der Stadt angestellte Kluge versetzt werden soll. Ist ja schließlich nicht irgendeine Entscheidung. Kluge macht den Job schon seit 2006, mit anerkannter Bravour und leuchtendem Erfolg, wie der Deutsche Fußballbund (DFB) vor zwei Jahren befand. Er verlieh Kluge und seinem Team die Julius-Hirsch-Medaille für herausragende Fanarbeit. Wieso also muss der Leiter des Streetwork Fanprojekts gehen? Paulsen ließ ausrichten: „Zu Personalangelegenheiten gibt die Stadt keine Auskunft.“

Protest der Fankurve: Kluge bleibt!

So kann man das handhaben. Vorausgesetzt, man behandelt die Versetzung des Fanprojektleiters wie die Neubesetzung der Rathaus-Rezeption. Kluges Arbeit aber reicht weit in den öffentlichen Raum hinein, sie betrifft vor allem die Gegenden rund um den Halleschen FC und seine Fans, weshalb zu befürchten steht, dass Paulsens Antwort wirken könnte wie Spiritus.

Schon jetzt kokelt es an so mancher Stelle. Sonnabend beim Heimspiel des HFC gegen Fortuna Köln (0:0) etwa äußerte sich erstmals auch die Fankurve zum Fall. Wie es Brauch ist mit Banner und Spruchband. Auf dem größten gleich hinter dem Tor stand: „Kluge bleibt!“

Das war keine Bitte, sondern ein Diktum. Und schon eine Konfrontationsstufe höher angesiedelt, als der offene Brief, den Wiegand vor knapp zwei Wochen erhalten hatte. Verfasst hatten ihn die Dachverbände der aktiven Fans, HFC-Fankurvenrat, HFC-Fanszene e.V. und Saalefront-Ultras kurz nach der ersten Nachricht, dass Kluge ersetzt werden soll. Er ist ein Beleg verschrifteten Entsetzens.

Kluge sei ein in der Szene geachteter Vermittler zwischen Fans, Verein und Sicherheitsbehörden, heißt es darin. „Welchen Grund“ also habe „die Absetzung... ? Warum gewachsene Vertrauensverhältnisse zerstören?“ Die Verfasser bitten den OB um ein Gespräch und befürchten ein düsteres Szenario. Kluges Ablösung, so die Autoren, werde die bislang „sehr ausgewogene Balance ... zwischen Verein, Fans und Sicherheitsinstitutionen massiv stören und auf längere Sicht destabilisieren.“

Der OB hat sich zu dem Schreiben bis dato nicht geäußert. Paulsen lässt ausrichten: „Zu offenen Briefen nimmt die Stadt keine Stellung.“ Eine Antwort vergleichbaren Inhaltes gab es auch auf die Frage nach den Folgen der Fanverbandsadresse. Donnerstagabend rückte die hallesche Polizei aus und bestückte zehn Betretungsverbote für HFC-Fans mit Ausschnitten aus dem Brief. Carsten Böhme, erweiterter Vorstand beim Fanszene e.V. und bis vor zwei Jahren Vorsitzender, wundert sich. „Die Polizei hat unseren Hinweis auf die Möglichkeit, dass Kluges Absetzung das allgemein ruhige Umfeld destabilisieren könnte, zum Anlass genommen, um zu sagen: Gefahr in Verzug, die Lage ist instabil.“ Der Brief diente demnach womöglich als Blaupause für die Gefahrenprognose, dass der Kluge-Fall zu krachenden Protesten gegen die Stadt und ihre Vertreter führen könnte.

„Die haben unseren Brief missverstanden“, sagt Böhme. Bewusst? Die letzten Betretungsverbote hat es vor vielen Jahren gegeben. Und immer nur dann, wenn eine HFC-Partie über die Maßen brenzlig zu werden schien. Magdeburg, Rostock, Dresden – solche Spiele. Aber Fortuna Köln?

Das nährt den Argwohn. In der Fanszene schießt der Verdacht ins Kraut, die Aktion sei womöglich gar nicht im Polizeipräsidium entschieden worden. In den vergangenen Monaten hat sich der Eindruck verdichtet, dass der OB gern mehr in die Belange des städtischen Profiklubs und seiner Fanszene eingreifen möchte. Wiegand hatte jüngst gemosert, das Image des HFC sei dürftig, das Marketing mau, die Zielformulierungen für die kommenden Jahre schwammig.

Vielleicht strahlt ja der nachbarliche Bundesligist RB Leipzig in die Bürgermeisterstube – vor allem dessen Konzept einer gewaltfreien und familienfreundlichen Stadionkultur. Als Herbst vergangenes Jahr der Magdeburger Fan Hannes S. nach einer Begegnung mit Anhängern des HFC aus dem Zug sprang und sich dabei tödlich verletzte, lud Wiegand Kluge zu einem Gespräch über Gewalt und Fußball ein. Der erfahrene Fanprojektleiter sagte, vieles habe man erreicht, die Gewalt sei zurückgegangen. Manches aber bliebe Utopie. Kluge konstatierte: „Ein komplett gewaltfreier Fußball ist Träumerei.“ Wiegand wollte das nicht so stehen lassen. Und konterte: „Ein gewaltfreies Stadion hat oberste Priorität.“

Seither streifen Mutmaßungen durch die Stadt, dem OB sei Kluge nicht Visionär genug. Warum die Versetzungsankündigung allerdings erst vier Monate später erfolgte, bleibt rathäusliches Geheimnis. Gut möglich aber, dass die Neubesetzung des Postens gar nicht mal so einfach ist. Die Stadt machte auf Anfrage der MZ erstmals Angaben darüber, dass sie überhaupt geplant sei. Bis hierhin hatte man auch in dieser Frage geschwiegen und eine Absetzung Kluges zuerst bestritten. „Um die langjährige Projektarbeit neu auszurichten, bereitet die Stadt im Fanprojekt eine Jobrotation vor“, hieß es. Dies erfolge „in Abstimmung mit der Polizei, auch hier wird die Arbeit der szenekundigen Beamten neu organisiert“.

Irritation beim Ministerium

Nur, kann das Rathaus überhaupt allein bestimmen? 40 Prozent der Gelder für die Fanarbeit fließen aus der Stadtkasse, zehn Prozent kommen vom Landes-Ministerium für Arbeit, Soziales und Integration und 50 Prozent vom DFB. Das Ministerium hat auf Anfrage der MZ bestätigt, dass auch für 2017 die Stadt Halle einen Antrag auf 27 000 Euro eingereicht hat. Schon bewilligt? „Nein“, heißt es aus Magdeburg. Dafür ist man nämlich zu irritiert. Von Kluges Absetzung hat das Landesjugendamt, das die finanzielle Beihilfe bewilligt, erst durch den offenen Brief erfahren, der auch an die Behörde adressiert war. Dagegen stand eine Pressemitteilung aus dem Rathaus, in der Kluges Absetzung dementiert wurde. Deshalb, heißt es aus dem Ministerium, „werden weitere Informationen erbeten“.

Und der DFB? Schweigt bislang. Auch auf Nachfrage. Dafür aber hat der HFC Stellung bezogen. Was im Rathaus so vor sich geht, geht den Verein nichts an, heißt es beim Club. Doch die Causa Kluge ist nun mal nicht nur eine Angelegenheit der städtischen Human-Ressource-Abteilung. Präsident Michael Schädlich sagte der MZ: „Ich habe mich vor einiger Zeit für zehn Jahre Fanprojekt ausdrücklich bedankt. Da haben die handelnden Personen einen sehr guten Job gemacht. Ich kann das, was da im Rathaus vorgeht, nur von der Sache her bewerten. Aber es bringt Unruhe in die Fanszene. Und für uns ist in dieser Frage jede Unruhe eine zu viel. Das kann für niemanden besonders positiv sein.“

Vermutlich nicht. Die Bedenken wachsen wohl offenbar nun auch im Rathaus. Paulsen kündigte an, die Stadt wolle „die Fanszene zu einem Gespräch über die zukünftige Projektarbeit einladen“. Man darf allerdings genau auf das Angebot schauen. Es ist ausdrücklich nicht die vergangene gemeint. (mz)