HFC-Zugang gibt Einblicke Hallescher FC: Terrence Boyd - ein Typ mit zwei Persönlichkeiten

Halle (Saale) - Die große Auswahl an leckeren Eisbechern im italienischen Café interessiert Terrence Boyd nicht. Ohne in die Karte zu schauen, bestellt er sich lediglich eine Kugel Zitrone. Seine Begründung: „Ich muss auch auf die Kalorien achten, weil ich meinen Körper schnell in Form bringen möchte“, sagt er. Der neue Stürmer des Halleschen FC hat nämlich ein Ziel: „Am Montagabend möchte ich im Pokalspiel gegen Wolfsburg in der Startelf stehen. Dafür muss ich fit sein.“
Für Boyd hat das Treffen mit dem Fußball-Bundesligisten eine besondere Note. Solche Duelle wollte er eigentlich heutzutage regelmäßig haben. Doch anstatt Bundesliga heißt sein Alltag nun dritte Liga. Boyd nimmt es als neue Herausforderung. „Es bringt doch nichts, der Vergangenheit hinterher zu trauern“, sagt er mit keinerlei Wehmut in der Stimme.
Terrence Boyd: Ein fröhlicher, optimistischer Typ
Boyd, das wird bei dem Treffen auf Halles Marktplatz schnell klar, ist ein fröhlicher, optimistischer Typ, der das Leben liebt und es nimmt, wie es halt kommt. Natürlich stand der 28-Jährige früher vor einer großen Karriere. „Es war schon irre. Ich spielte 2012 für Dortmunds Zweite in der Regionalliga-West. Trainer war übrigens der aktuelle Schalke Coach David Wagner, der beste Coach, den ich bis dato hatte. Dann kam Matthias Hamann, der Bruder von Ex-Nationalmannschaftsspieler Dietmar Hamann vorbei. Losgeschickt von Jürgen Klinsmann, damals noch Coach der US-Nationalmannschaft. Hamann war Scout des US-Teams. Und er sagte: ,Sei bereit, es könnte sein, dass du für das Länderspiel in Italien berufen wirst’“, erzählt Boyd.
So kam es. Der 21-Jährige flog also nach Genua. Beim Stand von 1:0 für die USA wurde er zehn Minuten vor Schluss eingewechselt. „Und meine erste Aktion war: Ich habe den großen Andrea Pirlo einfach mal umgehauen“, sagt er lachend. „Ich habe mich aber sofort mehrmals entschuldigt.“
Diese kleine Episode sei aber charakteristisch für ihn und seine Spielweise. „Das ist, als hätte ich zwei Persönlichkeiten. Wenn ich auf dem Platz bin, dann schone ich mich nicht und auch nicht meine Gegenspieler. Nichts Unfaires, aber ich bin ein Rüpel im Rahmen des Erlaubten.“
Boyd: „Ich habe gestaunt, als RB Leipzig mich trotzdem wollte“
Als er dann in Österreich für Rapid Wien spielte hat er seinem Gegenspieler Stefan Ilsanker, damals bei RB Salzburg, mal die Nase blutig gehauen. „Ich war damals immer gegen Salzburg besonders unter Adrenalin. Ich konnte den Klub nicht leiden. Und habe dann gestaunt, als RB Leipzig mich trotzdem wollte“, sagt er lachend. Wigan Athletic bot 2014 mit, aber Ralf Rangnick - „ein Perfektionist mit schier unglaublichem Arbeitspensum“, wie Boyd sagt - und Leipzig konnten zwei Millionen Euro Ablöse zahlen, Wigan nicht.
Die Investition konnte Boyd nicht zurückzahlen. Im Juli 2014 riss sein Kreuzband. Aus vermeintlich sechs Monaten Zwangspause wurden fast zwei Leidens-Jahre. Inklusive Gedanken über ein Karriereende. Drei Operationen hatten keinen rechten Erfolg, erst nach einem Arztwechsel gen München und einem vierten Eingriff ging es aufwärts.
„Jetzt habe ich keine Probleme mehr“, beteuert Terrence Boyd, den der HFC vom Toronto FC aus der nordamerikanischen Major Soccer League loseisen konnte. Weil Boyd Heimweh hatte, weil ihm seine Jasmine, die er vor gut einem Monat geheiratet hat, und seine dreijährige Tochter Eliana Malia Raigan arg fehlten. Und im Oktober kommt das zweite Kind.
Wetter und Heimweh machten es Terrence Boyd in Toronto schwer
„Nach Toronto bin ich gegangen, weil ich in Darmstadt bei Trainer Dirk Schuster keine echten Chancen mehr auf einen Stammplatz gesehen habe“, so Boyd. 2017 war er bei den Lilien gelandet, weil im Leipziger Bundesliga-Team kein Platz für ihn mehr war. „Als ich im letzten Winter in Toronto ankam, war das fürchterlich. Minus 30 Grad Celsius, Schneestürme. Willkommen in Kanada“, erinnert er sich.
Terrence Boyd wechselte vor zehn Jahren aus der Jugend von Bremerhaven zur zweiten Mannschaft von Hertha BSC. Im Sommer 2011 ging es weiter zur Zweiten von Borussia Dortmund - und nach nur einem Jahr spielte er für Rapid Wien in der österreichischen Bundesliga. Dort wurde RB Leipzig auf den Stürmer aufmerksam, weil er in 80 Pflichtspielen immerhin 37 Tore erzielt hatte und zahlte 2014 zwei Millionen Euro Ablöse für Boyd. In Leipzig machte er wegen seines Kreuzbandrisses nur acht Spiele für die Profis. Im Januar 2017 ging er nach Darmstadt in die erste Liga - und im letzten Winter dann zum Toronto FC. Unter Trainer Jürgen Klinsmann hatte Boyd zwischen 2012 und 2016 14 Einsätze für die US-Nationalmannschaft.
„Ich wollte es als eine neue Lebenserfahrung mitnehmen. Ich wusste, dass im Sturm US-Nationalspieler Jozy Altidore gesetzt ist und es schwierig für mich werden würde. Doch ich wollte als ehemaliger US-Nationalspieler einmal in den Staaten gespielt haben.“ Aber weil die Familie daheim nahe Darmstadt geblieben war, drückte die Einsamkeit aufs Gemüt. Der Facetime-Kontakt zu den Lieben konnte die Schwermut nicht mildern. „Irgendwann sitzt du dann einfach nur da.“
Das Finale des Nordamerika-Abenteuers war dann kurios: „Eigentlich wollten wir das bis Winter, bis Saisonende, noch durchziehen. Alle gemeinsam. Und dann, am vorletzten Sonntag, landeten meine Frau und meine Tochter 18 Uhr in Toronto. Ich saß aber schon 16 Uhr im Flieger gen Deutschland, um in Halle den Vertrag zu unterschreiben“, erzählt Terrence Boyd.
Zum Glück waren gerade ein paar Freunde aus Bremen zu Besuch, die sich um die Familie die zwei Tage bis zur Rückkehr kümmern konnten. Dann flogen die Boyds gemeinsam gen Deutschland.
HFC-Zugang Terrence Boyd auf Wohnungssuche in Leipzig
Nun wird eine Wohnung gesucht. In Leipzig. In der Nähe von Nationalspieler Marcel Halstenberg. „Aus meiner RB-Zeit besteht eine Freundschaft zu den Halstenbergs. Die Frauen sind dicke miteinander“, so Boyd. Was den Neustart erleichtert.
Aber Spiele von RB mag er sich vorerst - sofern es die Gelegenheit geben sollte - nicht im Stadion anschauen. Boyd verblüfft: „Ich schaue mir generell kaum Fußball an, weder live noch im Fernsehen. Ich lese lieber. Fußball interessiert mich nur, wenn ich auf dem Platz stehe.“
Und außerdem hat er Sorge, dass ihn auf der Tribüne in Leipzig der Gedanke beschleichen könnte, da unten auf dem Platz könnte er womöglich auch dabei sein, wenn diese verflixte Knie-Verletzung nebst Folge-OPs nicht gewesen wäre. „Ach“, sagt Boyd, „ich nehme es jetzt so, wie es kommt.“
Terrence Boyd über den HFC: „Die haben Eier“
Das gelte auch für seine Vereine: Rapid Wien war Tradition, RB Leipzig ein Geldverein, Darmstadt Tradition, Toronto wieder Geld - „und mit dem HFC habe ich nun wieder einen Traditionsverein“, staunt er über das zufällige Wechselspiel bei seinen Karriere-Stationen als Profi.
Und was erwartet er von Halle? „Das erste Spiel, das ich gesehen habe, war das gegen Hansa. In Unterzahl zu siegen - da wusste ich: Die haben Eier. Das Potenzial ist groß.“ In ein Team, das immer alles für den Erfolg gibt, da passe er hinein. Er, der Berserker. Und natürlich möchte er alsbald wieder höherklassig spielen.
(mz)
