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Weber, Müller, Kotte Weber, Müller, Kotte: Wie drei DDR-Nationalspieler über Nacht zu Staatsfeinden wurden

Von Gerald Fritsche 19.01.2021, 09:55
Die DDR-Abwehrspieler Matthias Müller (l.) und Norbert Trieloff (r.) stoppen den CSSR-Akteur Libor Radimec (M) am 2.8.1980 im Moskauer Leninstadion im Finale des Olympischen Fußballturniers.
Die DDR-Abwehrspieler Matthias Müller (l.) und Norbert Trieloff (r.) stoppen den CSSR-Akteur Libor Radimec (M) am 2.8.1980 im Moskauer Leninstadion im Finale des Olympischen Fußballturniers. dpa

Dresden - Knast statt Karriere. Volkssport statt Bundesliga. Staatsfeind statt gefeierter Star. Ein vermeintliches Angebot des 1. FC Köln hat vor 40 Jahren die Laufbahn von drei DDR-Fußball-Nationalspielern zerstört: Gerd Weber, Matthias Müller, Peter Kotte. Während sich ihre Auswahlkollegen am 24. Januar 1981 von Berlin-Schönefeld aus per Flugzeug auf den Weg nach Argentinien zu einer Testspielreise gegen Vereinsmannschaften aufmachten, wurden die drei im Flughafenhotel von Angehörigen der Staatssicherheit der DDR in Gewahrsam genommen und per Kleinbus zurück nach Dresden gebracht.

Im Mittelpunkt dabei: Gerd Weber. Der damals 24 Jahre alte Mittelfeldspieler von Dynamo Dresden galt als einer der begnadetsten Spieler der DDR dieser Zeit. Laufstark, schussgewaltig, kopfballstark - Weber war nur schwer unter Kontrolle zu bekommen. Während er mit Regiequalitäten glänzte, war Peter Kotte der bullige, torhungrige Mittelstürmer, den man lieber nicht zum Gegenspieler hatte. Matthias Müller galt als ein drahtiger, schneller und offensivfreudiger Außenverteidiger. In Summe ein Trio, welches mit seinen Leistungen über Erfolg oder Misserfolg einer Mannschaft entscheiden konnte und welches daher nicht ohne Grund zur Nationalmannschaft gehörte.

„Angebot“ aus Köln: DDR-Nationalspieler Gerd Weber auf dem Absprung

Bei einem Europapokalspiel im Herbst 1980 beim FC Twente Enschede erhielt Weber den Zettel mit dem vermeintlichen Kölner Angebot, was in der nächsten Runde gegen Standard Lüttich erneuert wurde. Was keiner wusste: Das Angebot kam von Hochstaplern, nicht vom FC. „Ich hatte nie einen Gedanken, abzuhauen, ich hatte kein Interesse“, sagte Kotte später einmal während einer Talk-Runde dazu.

Aber: die Stasi hatte Wind davon bekommen und beobachtete die drei verstärkt. Zumal bei der 1:4-Niederlage gegen Lüttich die direkten Gegenspieler von Müller und Kotte die Tore für die Belgier erzielten. „Das hat man uns später auch noch versucht, unterzuschieben“, sagte Müller.

Für die Mitspieler der drei war es eine kleine Katastrophe. „Wir waren überrascht, dass wir auf dem Weg nach Südamerika drei Spieler weniger an Bord hatten. In den drei Wochen dort haben wir den Grund nicht so richtig mitbekommen und erst wirklich wahrgenommen, als wir wieder da waren. Dann erst haben wir erfahren, dass sie nicht mehr spielberechtigt sind für Dresden“, erinnerte sich dieser Tage Hans-Jürgen Dörner, damals Kapitän der Auswahl und von Dynamo. Es sei ein Schock und ein herber Verlust gewesen, sagte „Dixie“ der Deutschen Presse-Agentur. „Immerhin waren es drei Nationalspieler, die mit einmal weg waren. Man hat uns über die Gründe informiert und es wurde auch darüber diskutiert. Aber es war nicht zu ändern.“

Als DDR-Flüchtling geächtet: Nie wieder Dynamo Dresden, nie wieder Oberliga

Auch die DDR-Sportwelt erfuhr eher nichts von alledem, auch nicht von den einwöchigen Verhören. „Es war gespenstisch“, sagte Müller im Talk. Wirklich nachweisen konnte die Stasi Kotte und Müller nichts, doch weil sie Angestellte der Volkspolizei waren, galten sie als Fahnenflüchtige und wurden sieben Tage nach der Festnahme in Unehren entlassen. Nie wieder Dynamo Dresden, nie wieder Oberliga, auch nicht 2. Liga, Stadionverbot. „Für mich ist eine Welt zusammengebrochen“, erinnerte sich Kotte. So ging die DDR mit „Mitwissern“ um.

Für Weber als möglichem Flüchtling kam es noch härter. Erstmals sprach er 2019 in einer MDR-Dokumentation über die Ereignisse. „Mir war sofort klar, was das hieß. Wir wollten nach Argentinien und dann kommen drei von der Stasi und fahren uns nach Dresden“, sagte er. Wegen „geplantem ungesetzlichen Grenzübertritts“ wurde er zu zwei Jahren und drei Monaten Haft verurteilt, von denen er elf Monate in Frankfurt (Oder) absaß. Aus der DDR-Sport-Dachorganisation DTSB wurde er ausgeschlossen, so dass auch kein Vereinssport für ihn mehr möglich war. Anders als für Müller und Kotte, die sich Teams in Meißen und Neustadt/Sachsen auf Bezirksebene (3. Liga) anschlossen. Vier von Müller gestellte Gnadengesuche blieben erfolglos.

Weber durfte auch sein Sportstudium nicht beenden, lernte Kfz-Mechaniker und kickte in einer Volksport-Stadtliga-Mannschaft. Ab 1986 stellte er mehrere Ausreiseanträge. Doch erst die Flucht über Ungarn und Österreich 1989 brachte ihn und seine Familie in die Bundesrepublik, wo er in Friesenheim im Schwarzwald eine neue Heimat fand. Dort lebt er immer noch und arbeitet als Schadenregulierer einer Kfz-Versicherung.

Müller beendete sein Sportstudium und arbeitete dann als Trainer bei unterklassigen Vereinen. Für ein Jahr kehrte er sogar zu Dynamo zurück, betreute in Dresden die U19-Mannschaft. Auch Kotte erwarb die Trainerlizenz, arbeitete als Sportinvalide nach einer schweren Sprunggelenkverletzung bis zum Renteneintritt als Hallenwart in der Trainingshalle des Dresdner SC. Dynamo hat seine ehemaligen Auswahlspieler nach der Wende 1989 rehabilitiert. (dpa)