Von Thüringen nach Spanien Von Thüringen nach Spanien: 15-jähriger Nikolas wechselt zu Atlético Madrid

Lengenfeld - Die Hand hoch. Abklatschen. Eine kurze Umarmung. „Mach’s gut, Alter.“ Jungsgeruch im Treppenhaus, Taschen auf dem Boden. Aufbruchstimmung im Fußballinternat in Lengenfeld unterm Stein, einem Örtchen in der Nähe der nordthüringischen Stadt Mühlhausen. Es ist der letzte Schultag in Soccer City, einer privaten Fußballschule, die Bernward Seipel und sein Sohn Andreas vor zehn Jahren gründeten. Zeit, Abschied zu nehmen für einige der Schützlinge der Seipels: Leon, Maximilian, Julius und Paul spielen und lernen in der kommenden Saison in Aue, Chemnitz und bei Hertha BSC in der Hauptstadt.
Und dann ist da natürlich noch Nikolas Hartmann, ein groß gewachsener 15-Jähriger mit frischgeschnittener Marco-Reus-Frisur. Hartmann hat das letzte Jahr hier in der Abgeschiedenheit des Eichsfeldes verbracht, ist im Gymnasium nebenan zur Schule gegangen und hat täglich auf dem Kunstrasenplatz hinter dem ehemaligen Hotel trainiert. Und nun wechselt der Torwart zum spanischen Weltklub Atlético Madrid.
#thml
Für den gebürtigen Berliner ist es eine Heimkehr, denn seine Mutter ist Spanierin und er selbst verbrachte seine Kindheit auf Ibiza, wo sein Vater als Arzt praktiziert. „Aber Nikolas wollte immer nur Fußball spielen“, erzählt Mutter Francisca. Der Verein in dem kleinen spanischen Dorf, in dem die Familie mit den älteren Geschwistern lebt, wird Nikolas schon früh zu eng. Also trainiert er erst in der Nachbarstadt. „Und wenn dort Schluss war, ging er noch bei uns im Dorf mit zum Training.“
HFC-Torwartlegende Darko Horvat ist begeistert
Dass ein großes Torwarttalent in dem Siebenjährigen steckt, weiß er da noch nicht einmal selbst. „Ich habe im Feld gespielt und erst als ich mal gesehen habe, was unser Torwart da macht, hab’ ich gedacht, das kann ich besser.“ Und wie. Als Nikolas Hartmann im Sommer vergangenen Jahres zum ersten Mal in Soccer City auftaucht, ist HFC-Torwartlegende Darko Horvat, der hier ein spezielles Trainingscamp für Keeper leitet, schnell überzeugt: „Aus dem Jungen kann was richtig Großes werden.“ Nikolas, glaubt auch Schulchef und DFB-Lehrwart Andreas Seipel, bringe alles mit, was ein künftiger Profi brauche. „Reflexe, Sprungkraft und das fußballerische Können hat er auch.“
Dazu kommt die Zielstrebigkeit, mit der Nikolas für seinem Traum trainiert. „Ich will das unbedingt“, sagt er, „und ich tue, was immer dazu nötig ist“. Als er im letzten Sommer den Eindruck hat, in Spanien nicht mehr weiterzukommen, bittet er seine Mutter, in ganz Europa nach Fußballinternaten zu suchen, „wo ich mehr und besser trainieren kann“. Deutschland ist erste Wahl, denn deutsche Torhüter gelten auch dem Fan von ManU-Keeper David de Gea als die besten der Welt. „Ich will so spielen wie Manuel Neuer“, sagt er, „und wenn ich das in Deutschland besser lernen kann, dann gehe ich dahin.“
Es ist ein hartes Geschäft, nicht nur für junge Spieler wie Nikolas, der nach vielen Jahren in Spanien besser Spanisch als Deutsch spricht, als er in Lengenfeld ankommt. Auch Francisca Hartmann ist hin- und hergerissen. Nikolas ist erst 14, als er nach Soccer City zieht, 2.000 Kilometer weg von daheim. „Aber wenn es ihn glücklich macht, macht es auch seine Mutter glücklich“, sagt die Rechtsanwältin, die die Entwicklung ihres Jüngsten genau beobachtet. „Wir geben Ratschläge, er entscheidet“, sagt sie. Und muss dabei schmunzeln: Zum Glück höre Nikolas meist auf das, was ihm die Eltern raten. „Er ist ein guter Junge.“
Was den 15-Jährigen in Madrid erwartet, lesen Sie auf Seite 2.
Nach Thüringen zu gehen, um weiterzukommen und besser zu werden, habe sich von Anfang an wie die richtige Wahl angefühlt, sagt Nikolas selbst. Keine Ablenkung, keine Partys, kein Shopping, nur die Schule und der Sport. „Man kann sich voll konzentrieren, man verliert nicht den Fokus“, spricht er wie der gestandene Profi, der er einmal werden will. Zuhause auf Ibiza sei es ja ähnlich. „Nur der Winter war hier viel kälter, da musste ich mich dran gewöhnen.“
Bernward Seipel, der Bürgermeister von Soccer City, der seinen Fußballjungs immer auch ein bisschen Vater ist, traut Nikolas die Profikarriere zu. „Er ist auf dem Weg“, sagt er, „und er ist entschlossen, das durchzuziehen.“ Für Soccer City einerseits ein Verlust, denn die U 15 des 1. FC Süd Eichsfeld muss in der mitteldeutschen Talenteliga gegen Großvereine wie Dynamo Dresden, den Halleschen FC, RB Leipzig und Magdeburg antreten. „Andererseits ist es aber genau das, was wir allen unseren Schülern wünschen und wobei wir ihnen helfen wollen - den großen Sprung zu schaffen.“
Handwurzel verrät Körpergröße
Nicht nur Ex-HFC-Keeper Darko Horvat sieht das ähnlich. Nach einem Probetraining bei Borussia Dortmund schickten die Scouts des früheren Champions-League-Siegers Nikolas zur Handwurzel-Radiographie. „Damit lässt sich voraussagen, wie groß man noch wird“, beschreibt Nikolas, der derzeit 1,80 Meter misst. Gut, aber ein bisschen größer wäre besser. „Auf die Ergebnisse aus Dortmund habe ich total aufgeregt gewartet“, erzählt er. Schließlich die Erleichterung: 1,90 Meter werden es mindestens noch. Keine Gefahr, dass all das Geld für die Ausbildung eines Tages verloren ist, weil der Körper nicht genug wachsen will. Dortmund machte dann auch ein Angebot. „Aber leider gab es dort keinen freien Internatsplatz für Niko“, beschreibt Francisca Hartmann. Ganz im Gegensatz zu Hertha BSC, die den Deutsch-Spanier ebenso gern und gleich für drei Jahre haben wollten. „Nur weil meine Mutter dann zufällig gesehen hat, dass Atlético auch Talente sucht, haben wir gesagt, probieren kann man es ja mal, Hertha läuft nicht weg.“
Mehr als 1.000 Nachwuchskicker mit großen Träumen finden sich bei den großen Sichtungsterminen in der Fußballschule der Fundación Atlético de Madrid ein. Und die meisten von ihnen fahren abends mit dem schönen Gefühl nach Hause, einmal auf dem heiligen Rasen des Estadio Vicente Calderón gestanden zu haben.
Nikolas Hartmann hat mehr erreicht. Bei einem Turnier durfte er das Tor der Madrilenen hüten, danach kam das Angebot, nach den Sommerferien wiederzukommen, um Teil der Atlético-Akademie zu werden und für die Nachwuchsmannschaft Atlético Madrileño Cadet zu spielen. „Das ist kein Profivertrag“, stellt Francisca Hartmann klar. Die lange gepflegte Praxis spanischer Klubs wie Real und Barcelona, talentierte Kinder einzukaufen, war von der Fifa verboten worden. Nikolas bekomme ein Stipendium, das er sich aber mit Leistungen verdienen müsse.
Instinkte fehlen noch
Für den Jungen, der außerhalb des Fußballplatzes einen sehr kontrollierten Eindruck macht, im Spiel aber „manchmal äußerst leidenschaftlich auftritt“, wie Bernward Seipel lächelnd erzählt, ist das kein Problem. „Ich weiß, dass man in diesem Job Selbstbewusstsein braucht und ich habe dieses Selbstbewusstsein“, sagt Nikolas Hartmann. Ein Schritt ist gemacht. Was ihm fehle, sei noch mehr Erfahrung, um den Instinkt auszubilden, „der einem im Tor automatisch sagt, jetzt musst du raus und jetzt bleibst du stehen“.
Nikolas Hartmann kennt seine Stärken, er kennt seine Schwächen und er wird an beiden arbeiten. Bis er seinen Traum gefangen hat wie einen dieser langen, hohen Bälle aus dem Halbfeld, die man ewig sieht, ehe man sie greifen kann. Da kommt er. Hat er sicher. (mz)