RB Leipzig und seine Fans RB Leipzig und seine Fans: "Verstehen was in der Kurve läuft"
Leipzig - Das Ladengeschäft in der Brandvorwerkstraße in der Leipziger Südvorstadt sieht auf den ersten Blick ganz unscheinbar aus. Ein frisch sanierter Altbau in guter Lage; höchstens die graue Silhouette einer Fankurve auf dem Schaufenster lässt erahnen, dass sich dahinter einer der spannendsten Orte des Leipziger Fußballs verbirgt. Auch innen ist das Fanprojekt Leipzig nüchtern gestaltet: ein großer Konferenztisch, Fußballbücher und Fanzines, ein Rechner, einige Plakate. Trikots, Schals oder andere Fanutensilien sind hier nicht angebracht, dazu ist die Situation der konkurrierenden Leipziger Fanszenen wohl zu brisant.
Denn die außergewöhnliche und schwierige Fußballlandschaft in der Messestadt macht das Fanprojekt zu einem Brennpunkt. Es ist die einzige Anlaufstelle, die für die Fans der traditionell verfeindeten Lager von Lok und Chemie ebenso da ist wie seit einigen Jahren auch für die Anhänger von RB Leipzig. Die Sozialpädagogen um Leiterin Sarah Köhler arbeiten mit Fans aller drei großen Leipziger Klubs zusammen – wohlgemerkt streng getrennt voneinander, jeder Verein hat seine festen Ansprechpartner.
Jakob Grudzinski ist für die Fans von Rasenballsport Leipzig Kontakt- und Vertrauensperson. Der 28-Jährige – Bart, Karohemd, Jeans und Turnschuhe – arbeitet seit zwei Jahren intensiv mit den zumeist jugendlichen RBL-Anhängern zusammen. Beispielsweise unterstützt er die Ultras beim Basteln von Choreografien oder hilft bei Sucht- oder Schulproblemen, berät bei Stadionverboten, ist bei Spielen im Heim- oder Gästeblock präsent, fährt minderjährige Fans zu Auswärtspartien oder veranstaltet Bildungsfahrten nach Krakau und in das ehemalige Konzentrationslager Auschwitz – eine Rundum-Betreuung für alle Fans, die das Angebot in Anspruch nehmen möchten.
Gern hätten wir den 28-Jährigen bei der Arbeit mit den derzeit etwa 100 Ultras von RB Leipzig begleitet – die größte Gruppierung mit etwa 50 Personen bilden die Red Aces. Doch das sei nicht machbar, nicht in Leipzig, hatte Grudzinski im Vorfeld des Treffens gesagt. Allein die Treffpunkte jeder Fanszene, wo Fans Choreografien und Banner vorbereiten, seien „top secret”, um mögliche Attacken zu vermeiden, sagt Grudzinski,
Kommunikation zwischen Fans und Verein fehlte
Zwar beschäftigt der Verein RB Leipzig selbst Fanbeauftragte, doch Grudzinski betont, wie wichtig ein unabhängiger Ansprechpartner für die Anhänger sei. „Fanprojekt und Fanbeauftragte haben unterschiedliche Aufgaben und nehmen unterschiedliche Rollen ein”, sagt Grudzinski. „Wir sind eine unabhängige Institution der Jugendhilfe, begleiten Jugendliche sozialpädagogisch – auch über die Spieltage und Fußballthemen hinaus.”
Der Verein RB Leipzig begrüßt das Engagement des Fanprojekts für seine Anhängerschaft. „Wir befinden uns in einem Entwicklungsprozess was den gesamten Verein und somit auch die Fankultur angeht”, sagt Geschäftsführer Ulrich Wolter. „Die Zusammenarbeit mit dem Fanprojekt hilft uns, besser zu verstehen, was in der Kurve passiert.”
Das Verhältnis war nicht immer so gut. Wolter sagt: „Wir waren vor einem Jahr in der Zusammenarbeit zwischen Verein und Fanprojekt an einem Punkt angekommen, an dem wir gegenseitig nicht glücklich miteinander waren und etwas ändern mussten.” Es habe zwar immer eine Form der Zusammenarbeit gegeben, sagt Grudzinski, „aber regelmäßige Kommunikation zwischen Fanprojekt und Verein fand nicht wirklich statt. Auf Seiten des Vereins hat es falsche Vorstellungen von der Arbeit des Fanprojekts gegeben.” Beispielsweise bei der sogenannten „Choreo-Affäre”.
Auf der nächsten Seite: Die Fans demonstrieren wegen "Choreo-Affäre". Was der Verein und das Fanprojekt daraus gelernt haben.
Nachdem RB Leipzig im April 2013 vor dem Heimspiel gegen Darmstadt eine aufwändig gestaltete Choreografie der Ultra-Gruppierung Red Aces zunächst genehmigt und dann doch verboten hatte, fand eine Demonstration der Fans statt. Die Mitarbeiter des Fanprojekts begleiteten den Demozug zur Geschäftsstelle. „Wir sind zu 100 Prozent pro Fans eingestellt”, erklärt Grudzinski. „Grundlage unserer Arbeit ist, dass wir mit den Jugendlichen unterwegs sind, deren Lebenswelt teilen und verstehen, um Vertrauen aufzubauen und deren Themen und Probleme aufzunehmen.” Beim Verein hingegen sorgte die Beteiligung von Grudzinski & Co. für Irritation.
Um die Missverständnisse auszuräumen, initiierte das Fanprojekt ein Treffen mit der RB-Geschäftsführung und lud dazu auch Vertreter von DFB, DFL und der Koordinationsstelle für Fanprojekte (KOS) ein. Als sich beide Seiten erklärt hatten, fanden in kleineren Arbeitsgruppen weitere Termine statt. „Wir haben klar definiert, in welchen Bereichen wir konkret zusammenarbeiten und wo die Aufgaben des einen enden und die des anderen anfangen”, sagt Wolter.
Die klaren Vereinbarungen mündeten in einem Kooperationsvertrag zwischen Fanprojekt und RB Leipzig, der die Zusammenarbeit in acht Kategorien von Heim- und Auswärtsspielen bis zur Antirassismus-Arbeit regelt – in dieser Detailliertheit ein Novum hierzulande. Beim Kongress der Fanprojekte im April in Kamen wurde der Kontrakt bundesweit beachtet. Dass ausgerechnet RB Leipzig neue Wege in der Fanarbeit beschreitet, hatten viele nicht erwartet. Jakob Grudzinski sagt: „Das Ziel der engeren Kooperation ist, für die Fans auf allen Ebenen optimale Bedingungen zu schaffen. Durch den Kontrakt ist die Zusammenarbeit mit RB Leipzig klarer aufgeteilt.”
Enge Absprachen mit RB Leipzig
So wurden etwa konkrete Absprachen festgehalten, wie Fanbeauftragte des Vereins und Fanprojekt-Mitarbeiter bei Heim- und Auswärtsspielen zusammenarbeiten; dazu bildete der Verein eine Stadionverbotskommission, bei der das Fanprojekt den Verein berät; und in diesem Sommer organisierten Fanbeauftragte und Fanprojekt gemeinsam sechs Veranstaltungen, wo RB-Fans über die Entwicklung der Fanszene diskutierten und Wünsche äußerten. Die Ergebnisse werden in Kürze dem Verein präsentiert.
Für DFL und KOS, so heißt es, sei der Leipziger Vertrag beispielgebend. „In den meisten Standorten ist das Verhältnis zwischen Verein und Fanprojekt auch ohne schriftliche Vereinbarung sehr gut”, sagt Grudzinksi. Bei heterogenen Szenen wie in Leipzig jedoch – mit einem neuen, großen Verein und einem relativ frischen Fanprojekt – könne ein Kontrakt helfen, „die Beziehungen auf Augenhöhe zu heben“.
Letztlich profitieren die Fans und Ultras von der Sensibilisierung des Vereins für deren Belange. Im Kooperationsvertrag sei auch vereinbart, dass der Verein RB Leipzig „Positionen und Haltungen aus Fansicht aushalten muss”, sagt Grudzinski. In Bezug auf die Choreo-Affäre sagt Wolter: „Wir haben daraus gelernt und führen mit den Fans jetzt eine offenere Kommunikation. Die Fans wissen: Auf das Verfahren, das wir eingeführt haben, kann sich jeder verlassen.”
Zwar müssen die Motive der Choreografien im Vorfeld noch immer vom Verein abgesegnet werden. Doch das Verfahren läuft transparenter und besser organisiert. „Die Choreografien laufen vollkommen unabhängig vom Verein. Wir bestimmen weder die Themen, noch geben wir Geld dazu oder stellen Räumlichkeiten”, stellt Wolter klar. Nur ein Beispiel dafür, wo die Zuständigkeit von RB endet und die Unterstützung durch Jakob Grudzinski vom Fanprojekt beginnt. (mz)