Nationalhymnen bei der WM Nationalhymnen bei der WM in Russland: Schreiendes Blut auf grünen Wiesen

Die Eröffnung ist staatstragend, Nationalhymnen erklingen, Zuschauer erheben sich, es begegnen sich ja auch offizielle Gesandtschaften der beiden Länder. Zur Begrüßung gibt es ein bisschen Länderkunde in Form einer schmissigen Erkennungsmelodie und patriotischen Versen.
Das Fernsehen ist schon live dabei, es zeigt jeweils die einzelnen Mitglieder der Delegation, in den meisten Fällen singen sie sicht- und hörbar mit. Abgesehen von den Spaniern, deren „Marcha Real“, der Königsmarsch, keinen Text hat. Auf diese Weise beginnen zumeist die Übertragungen aus den Stadien bei Fußball-Weltmeisterschaften, das Abspielen der Hymnen ist ein Ritual, es gehört auch diesmal in Russland dazu wie An- und Abpfiff.
Hymnen ein Symbol für die Länder
Die Lieder der Länder gelten – wie ihre Flaggen – als nationales Symbol eines unabhängigen Staates. Vieles von dem, was dabei in offizieller Mission gesungen wird, ist ein nationalistischer Exkurs, vielfach gespickt mit der Hervorhebung touristischer Vorzüge.
Die Schweden etwa verpacken ihre Liebe zum Vaterland mit andächtiger Melodie in einer Ode an die Natur des Nordens, perfekt geeignet für eine Urlaubs-Kampagne:
Du alter, du freier,
du gebirgiger Norden,
du stiller, du
freudensreicher, schöner!
Ich grüße dich, lieblichstes
Land der Erde,
deine Sonne, deinen Himmel,
deine grünen Wiesen.
Lied der Deutschen drückt Zusammengehörigkeit aus
Auf einer grünen russischen Wiese in Sotschi am Schwarzen Meer treffen die Fußballer aus dem lieblichsten Land der Erde im zweiten Gruppenspiel am 23. Juni auch auf Deutschland, das ja im Glanze seine Glückes blühen soll. Doch im Lied der Deutschen kommt auch das Empfinden der Zusammengehörigkeit eines Volkes zum Ausdruck.
August Heinrich Hoffmann von Fallersleben hat 1841 auf dem Außenposten in Helgoland passend „Einigkeit und Recht und Freiheit für das deutsche Vaterland“ gefordert. Fallerslebens Wunsch ist mittlerweile umgesetzt. Dieses Wollen entspricht fast den Zeilen der nigerianischen Hymne. Es geht dort auch darum „einer Nation, vereinigt in Freiheit, Frieden und Einigkeit“ zu dienen „mit Herz und Kraft“.
Tunesische Hymne ist ein Militärmarsch
Doch es funktioniert mitunter durchaus auch weniger bedächtig, was viel aussagt, über die Entstehungsgeschichte einzelner Nationen. Tunesien etwa spielt seit 1987 den Militärmarsch „Humat al-hima“ zu offiziellen Anlässen, Verteidiger des Vaterlandes. Darin heißt es:
Wohl an, wohl an, zum Ruhme der Zeit,
das Blut schreit in unseren Adern.
Wir sterben, wir sterben, es lebe unser
Vaterland!
Lasst die Himmel donnernd brüllen,
Lasst Donnerschläge mit Feuer regnen!
Aus Liebe zu Tunesien und dessen Ruhm.
Martialisch geht es weiter, der Dichter fordert Opfer für die Freiheit, das Vaterland. „Wir leben und sterben treu zu Tunesien, ein würdevolles Leben und ein ruhmvoller Tod!“ Umsetzen soll das die männliche Bevölkerung des Landes.
Geschützt werde die „Queen“
Derart aufgeweckt und angestachelt von Worten des nationalen Stolzes und der Bereitschaft zum Kampf für das eigene Land, werden Tunesiens Fußball-Männer beim Turnier in Russland in der Gruppe G auf Belgien, Panama und England losgelassen, das wiederum seine gnädige und edle Königin schützt, die – dieser Wunsch wurde bereits wahr – lang herrschen möge.
Der Freiheitskampf ist aber nicht nur in Tunesien Teil des Nationalliedes, sondern auch gleich nebenan von Deutschland, in Frankreich. Die Marseillaise hat Claude Joseph Rouget de Lisle komponiert und gedichtet, Namensgeber vieler Straßen in Frankreich, dort also wegen seines Liedes ein nationaler Held.
Soldaten sangen Lied der Franzosen
Verfasst hat er Melodie und Text in der Nacht vom 25. auf den 26. April 1792 während der Kriegserklärung an Österreich, also vor einem Kampf, der die Ideale der Revolution hinaustragen sollte aus Frankreich, sich gegen die alten Monarchien Europas richtend. Soldaten aus Marseille sangen es Ende Juli 1792 beim Einmarsch in Paris, zehn Tage vor dem Sturm der Tuilerien, in deren Folge der König fliehen musste. Nationalhymne ist die Komposition seit 1795 und nach mehrfachem Verbot endgültig seit 1879 unter der Bezeichnung „Marseillaise“. Dort heißt es:
Zu den Waffen, Bürger,
Formiert eure Truppen,
Marschieren wir,
Marschieren wir,
Unreines Blut
Tränke unserer Äcker Furchen.
Gemeint ist das Blut der Monarchie und der Monarchisten. Diese sind nicht gut gelitten:
Sie kommen bis in eure Arme,
um euren Söhnen, euren Gefährtinnen die
Kehlen durchzuschneiden.
So geht es also zu auf diplomatischem Begrüßungsparkett. Wobei mit diesen anti-monarchistischen Kampfparolen eben auch die Engländer in einem möglichen Spiel gegen die Franzosen leben müssen, die ja wiederum vor allem ihre Queen schützen möchten. Auch für Vertreter anderer Monarchien bei dieser WM sollten – falls es zu einem Rencontre mit Frankreich kommt – besser nicht so genau hinhören, wenn die Fußballer der Grande Nation vor dem Spiel zu singen beginnen – Spanien, Belgien, Japan, Saudi-Arabien und Schweden könnten betroffen sein.
Oft sind historische Vorgänge Inhalte
Dichtungen werden zu Nationalliedern, wenn sie das Selbstbewusstsein einer Nation treffen. Die Sänger in Landestrikots singen verstärkt von Dingen, die eingetreten sind, von historischen Vorgängen, die stiftend für die Nation und den Nationalgedanken eines Landes oder eines Kontinents sind. Die Polen etwa künden in ihrem sehr rhythmischen Lied geschichtsbewusst davon, dass ihr Land noch nicht verloren sei: „Was uns fremde Übermacht nahm, werden wir uns mit dem Säbel zurückholen.“
Im Lied des Senegal heißt es auch: „Aufrecht steht – schaut meine Brüder – das auferstandene Afrika.“ Brasilianer singen vom Freiheitswunsch, wenn er erfüllt ist, „trotzt unsere Brust sogar dem eigenen Tod“. Und die Mexikaner, am 17. Juni Deutschlands erster Gegner bei dieser WM, werden sich auch heiß in Stimmung singen. Deutschland spielt dabei gegen Soldatensöhne auf Vaterlands-Mission:
Mexikaner, beim Ruf zur Schlacht
das Schwert und das Zaumzeug bereit
Auf dass die Erde in ihrem Innern erbebt
durch den donnernden Schall der Kanonen.
Später heißt es:
Und wagt es ein fremder Feind
mit seinem Fuß deinen Boden zu
entweihen,
denke, geliebtes Vaterland, daran, dass der
Himmel dir
mit jedem Sohn einen Soldaten gegeben
hat.
Hymne des Irans ebenfalls märtyrisch
Seit 1990 hat der Iran seine aktuelle Hymne, auch sie beinhaltet Märtyrer-Propaganda:
Deine Botschaft, o Imam,
von Unabhängigkeit
und Freiheit,
ist eingeprägt in unsere Seelen.
O Märtyrer –
es hallt wider im Ohr der Zeit
euer Schmerzensschrei.
Beständig währe und ewig
Islamische Republik Iran.
Und die Gastgeber? Das Lied der Russischen Föderation besitzt eine wahrlich hymnische Melodie, die, wenn sie von tiefen Männerstimmen intoniert wird, melancholisch die Weiten der Taiga erkennen lässt. Sie entspricht im Tonfall der Hymne der Sowjetunion – und ist seit 2000 wieder Russlands Hymne. Sie löste damals das „Patriotische Lied“ ab, das nach dem Zerfall der UdSSR bis zum Jahr 2000 textlos das riesige Reich repräsentierte. Viele Menschen protestierten gegen die neue Version, weil sie sich Strophen zum Mitsingen wünschten – Präsident Putin setzte dieses Verlangen schließlich um. Die Hymne ist nun ein Loblied auf Russland, den „geheiligten Staat“, das „geliebte Land“:
Mächtiger Wille und großer Ruhm
Für alle Zeiten sind dein Eigentum.
Von südlichen Meeren bis zum Polargebiet
Erstrecken sich unsere Wälder und Felder.
Einmalig in der ganzen Welt!
Die Treue zu unserem Vaterland gibt uns
Kraft.
Ob diese Treue aber der allgemein als unterdurchschnittlich fußballtauglich eingeschätzten Sbornaja beim Heim-Turnier tatsächlich die nötige Kraft gibt, ist derzeit sehr offen. Aber vielleicht hilft ja schlicht die Kraft des Liedes. Und die Schwäche der anderen.