Krawalle zwischen Serbien und Albanien in Belgrad Krawalle zwischen Serbien und Albanien in Belgrad: Chauvinistischer Tiefflug sorgt für Chaos
Belgrad - In der turbulenten Geschichte der Fußballkriege war es der erste Lufteinsatz: Der Flug einer selbstgebastelten „Drohne“ im JNA-Stadion von Belgrad mündete am Dienstagabend in eine Schlägerei auf dem Fußballfeld, führte zum Abbruch des Spiels – und zu den ärgsten chauvinistischen Aufwallungen unter Serben und Albanern seit Jahren. Serbiens Außenminister Ivica Dacic (Dačić) sprach von einer „geplanten politischen Provokation“. Der Bruder des albanischen Premierministers wurde angeblich von serbischer Polizei aus der VIP-Loge heraus festgenommen – was dieser später dementierte. Bei ihrer Rückkehr nach Tirana am Mittwochmorgen wurde die albanische Mannschaft von Tausenden stürmisch begrüßt. Noch am Abend hatten im kosovarischen Prishtina Hunderte das abgebrochene Spiel wie einen Sieg gefeiert.
In der 42. Minute des EM-Qualifikationsspiels Serbien gegen Albanien stieg plötzlich ein unbekanntes Flugobjekt mit vier Propellern über dem Rasen auf. An zwei langen Seilen ließ das Ding in zwei bis zehn Metern Höhe eine Fahne über den Köpfen der Spieler flattern. Der englische Schiedsrichter Martin Atkinson pfiff das Spiel daraufhin vorübergehend ab. Als der serbische Spieler Stefan Mitrović (SC Freiburg) die zeitweise tieffliegende Fahne zu fassen bekam und abriss, stürmten zwei albanische Spieler auf ihn zu, Taulant Xhaka und Andi Lila, und versuchten ihn daran zu hindern. Nach kurzem Gerangel unter den Spielern stürmten Zuschauer auf das Feld und drohten die Gastmannschaft anzugreifen. Die Albaner flüchteten, teils beschützt von serbischen Kollegen, in die Kabine und waren trotz guten Zuredens durch den UEFA-Delegierten, den Niederländer Harry Been, zur Rückkehr nicht zu bewegen.
Des Sicherheitsrisikos waren sich sowohl die serbischen Behörden als auch die UEFA bewusst gewesen: Albanische Fans waren nicht zugelassen, umgekehrt sollen Serben nicht zum Rückspiel nach Tirana reisen dürfen. 4.000 Polizisten waren im Einsatz, darunter alles, was die serbische Gendarmerie an Spezialtruppen zu bieten hat. Als der albanische Mannschaftsbus ins Stadion fuhr, wurden die Straßen gesperrt. Serbische Ultras begannen aus sicherer Entfernung in den Nebenstraßen mit Pfiffen, Beleidigungen und Randale. Vom Spielbeginn an herrschte eine feindselige Atmosphäre unter den 25.000 serbischen Zuschauern. Fackeln wurden abgebrannt und in Richtung Spielfeld geworfen, Rufe wie „Töte, töte einen Skipetaren!“ wurden laut. Schon in den Tagen zuvor hatten die serbische wie die albanische Boulevardpresse eine „Schlacht“ herbeigeschrieben.
Die fliegende Fahne ließ die Stimmung dann explodieren: Sie zeigte in den albanischen Farben Rot und Schwarz eine Karte des „ethnischen Albaniens“, eines Phantasiegebildes, das neben dem eigentlichen Albanien das Kosovo, halb Mazedonien, Teile Montenegros und Serbien bis in die Stadt Niš umfasst. Daneben grüßten die Konterfeis zweier Politiker, die 1912 die Unabhängigkeit des Landes erreicht hatten, unterschrieben vom englischen – und in dem Zusammenhang gar nicht passenden – Schriftzug „Autochthonous“ (einheimisch). Zu der Aktion bekannte sich noch in der Nacht eine bis dato unbekannte Fangruppe, die sich „Die Schmuggler von Skopje“ nennt. Serbische Polizisten meinten herausgefunden zu haben, die Drohne sei von der Ehrentribüne gesteuert worden, und kontrollierten den dort sitzenden Olsi Rama, Bruder des albanischen Premiers Edi Rama. Dass er für 40 Minuten in Gewahrsam genommen worden sei, wie die serbische Presse berichtet hatte, stimme nicht, sagte Rama gestern. Er habe den Polizisten nur seinen Pass und seine Kamera zeigen müssen. Mit dem Drohnenflug habe er nichts zu tun.
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Unklar war gestern noch, wie es den aggressiven Fans gelingen konnte, die Absperrung zum Spielfeld zu durchbrechen. Video-Aufnahmen zeigen die bekannten Ultras, unter ihnen den einschlägig vorbestraften Igor Bogdanov, der schon einmal mit dem Abbrennen von Fahnen aufgefallen war. Kopfschütteln rief unter Beobachtern auf die spontane Reaktion der UEFA hervor. Verantwortliche im Hauptquartier des europäischen Fußballverbands im schweizerischen Nyon wollten das Spiel offenbar weitergehen lassen und die albanische Mannschaft nötigen, in den Hexenkessel des „Stadions der Jugoslawischen Volksarmee“ zurückzukehren. Über Konsequenzen muss nun der Kontroll- und Disziplinarausschuss der UEFA befinden.
Politisch passen Provokation und Wutausbruch weder der serbischen noch der albanischen Regierung ins Konzept. Albaniens Premierminister Edi Rama hatte schon vor dem Spiel für nächste Woche seinen Besuch in Belgrad angekündigt – den ersten eines albanischen Regierungschefs nach 68 Jahren.