Eine neue Form des Exzesses Kommentar zur Gewalt gegen RB Leipzig Fans in Dortmund
Die Vorgänge von Dortmund bedeuten einen Einschnitt in das fortlaufende Krisenmanagement, mit dem der deutsche Profi-Fußball sein Fan-Problem routiniert begleitet.
Der öffentliche Umgang mit RB Leipzig hat die Gewalt befeuert
Bislang war es immer noch ziemlich einfach, eine Eingrenzung vorzutäuschen und das kriminelle Faszinosum der Gewalt in und um Stadien mit dem Verhalten von Minderheiten zu erklären, die in keiner wie auch immer gearteten Beziehung zum Wahren und Guten des Vereins stünden. Nach der Dortmunder Jagd auf Anhänger von RB Leipzig und einem auf meterlangen Bannern schriftlich dokumentierten Hass-Exzess ist das so nicht mehr möglich.
Dieses abscheuliche Schauspiel wurde befeuert durch den öffentlichen Umgang mit dem Klub Rasenballsport Leipzig, der von einer Mehrheit aus Schreienden, Grummelnden und Schweigenden, die sich für die Traditionswächter der Volksbewegung Fußball halten, zum Teufel gewünscht wird. Noch am Sonntag schwang in vielen professionellen Meinungsäußerungen als Hintergrundrauschen Verständnis für eine Haltung mit, die Leipzig als artfremden Eindringling in das gewachsene Biotop des deutschen Fußballs betrachtet, der im Prinzip weg muss. Und genau diese Haltung, offensiv zum Ausdruck gebracht von Top-Funktionären wie dem Dortmunder Klubchef Hans-Joachim Watzke, hat den Boden bereitet für das, was am Samstag geschah.
Die Aggression einer Fan-Bewegung, die sich Woche für Woche die Freiheit zum Gesetzesübertritt ohne öffentliche Zustimmung herausnimmt, fand hier eine moralische Legitimation und einen Gegner, zu dessen Bekämpfung offenbar alles erlaubt ist. Deshalb machte sie auch vor Frauen und Kindern nicht halt und rollte wie eine Lawine über alles hinweg, was sich ihr entgegenstellte.
Was folgt ist die bekannte Sinfonie der Bestürzung
Wer nie in der Nähe solcher Vorgänge war und die Diskussion von der Loge oder der Couch aus führt, hat leicht argumentieren. Den Betroffenen begegnete jedoch etwas, das der Dortmunder Polizeichef Edzard Freyhoff so beschrieb: „Solche Bilder, in solche hasserfüllten Fratzen habe ich noch in keinem meiner Polizeieinsätze gesehen.“
Was jetzt zur Aufführung kommt, ist die bekannte Sinfonie der Bestürzung, der Betroffenheit und des Entsetzens, dirigiert von einem Klub, der nicht fassen kann, was da in seinem Namen geschah. Als Aufarbeitung darf man diesen Reflex allerdings nicht verstehen. Denn es gibt ja nie eine echte Aufarbeitung nach solchen Ausbrüchen. Es werden Strafen gegen Klubs ausgesprochen, Stadionverbote gegen wenige erteilt, Polizeiaufgebote ins Bizarre vergrößert und Beschwörungsformeln geäußert.
Dann fängt das nächste Spiel an, und wenn keine Schwerverletzen zu beklagen sind und Objekte nicht in Flammen aufgehen, war wieder alles so wie immer. Nur der übliche Müll, die wie immer verwüsteten Zug-Abteils und die Fast-Eskalationen. Normal eigentlich. Weitermachen.
Ein Weitermachen wie bisher wäre äußerst gefährlich
Nach dem Fall Dortmund gegen Leipzig wäre das jedoch unverzeihlich. Erstmals wird hier eine Gesamtverantwortung sichtbar, die den Zusammenhang von Funktionärsverhalten, öffentlicher Diskussion und Gewalt gegen Unschuldige aufzeigt. Wer mit dem riesigen Aggressionspotenzial, das Fußball und Gesellschaft zu dulden gelernt haben, so umgeht, hat sich mitschuldig gemacht, auch wenn er nur Tradition definiert, Kult reklamiert, die Welt des Fußballs in Gut und Böse einteilt und sich das Recht nimmt, das Feld des Guten alleine zu besetzen.
Die Aktiengesellschaft Borussia Dortmund ist eine Gelddruckmaschine, für die Tradition zum Markenkern geworden ist, der Mehrwert bringt. In ihrem Namen dem Red-Bull-Ableger RB Leipzig die Existenzberechtigung abzusprechen, ist, wie man jetzt sieht, nicht nur unglaublich scheinheilig, sondern auch höchst gefährlich.