Profi in Magdeburg Joachim Streich: DDR-Rekordspieler veröffentlicht Biografie "Der Torjäger"

Er sei kein Promi, mit dem die Klatschspalten gefüllt werden. „Ich bin ein ostdeutscher Rentner, der in Magdeburg lebt“, lässt Joachim Streich seine Leser gleich am Anfang seiner Erinnerungen „Der Torjäger“ (Buch bei Amazon kaufen) wissen.
Bei denen dürfte es sich vor allem um Altersgenossen Streichs handeln, die sich noch an den Rasensportler erinnern, der in den 70er und 80er Jahren einer der wichtigsten Spieler des 1. FC Magdeburg und der DDR-Nationalmannschaft war.
Einer aus der Generation jener großen Fußballer des kleinen Landes, zu der unbedingt auch Peter Ducke (Jena), Jürgen Heun (Erfurt), Hans-Jürgen Kreische (Dresden) und Bernd Bransch (Halle) zu zählen sind.
Wann er mit dem Fußball begann, weiß Streich selbst nicht mehr. Aber soweit er sich erinnern könne, habe ihm seit frühen Kindertagen immer ein Ball am Fuß geklebt. So erklärt sich auch, weshalb Jürgen Croy, als Torwart der DDR-Mannschaft Teamkamerad Streichs, den Kollegen im Nachwort einen „Instinktfußballer“ nennt.
Joachim Streich: DDR-Fußballer hatte viele Talente
Der habe die Gabe besessen, „ein brillanter Kopfballspieler, technisch versiert zu sein und beidbeinig schießend“, notiert Croy, der einst im Kasten von Sachsenring Zwickau stand, anerkennend über den Magdeburger, dessen Laufbahn an der Ostsee begann.
Streichs erster Verein war die BSG Aufbau Wismar. In der Hansestadt erblickte „Strich“, wie er bei der DDR-National-Elf hieß, 1951 das Licht der Welt. Nach der Schule erlernte er zunächst den Beruf des Schiffselektrikers, wollte aber den Fußball zum Lebensinhalt machen.
Das gelang mit dem Sprung zum FC Hansa Rostock, wo das Balltalent 1969 sein Debüt in der zweiten und, eine Saison später, in der ersten Mannschaft geben konnte.
Joachim Streich hat den Magdeburger Fußball mit seiner Persönlichkeit derart geprägt, dass man in seinem Lebensbericht jene Passage mit Überraschung liest, in der er ausführt, dass er, als er noch für die Hansekogge kickte, mit dem FC Carl Zeiss Jena liebäugelte. Zumal der ökonomisch gut aufgestellte Verein 5.000 DDR-Mark Handgeld zu zahlen bereit war und nochmals 500 Mark für die ersten zehn von Streich erzielten Tore.
Joachim Streich: Fußball-Karriere in der DDR nicht komplett in der eigenen Hand
Vereinswechsel aus eigenem Antrieb waren in der DDR jedoch nicht vorgesehen. Spieler wurden durch den Fußballverband (DFV) und die SED zu anderen Clubs „delegiert“.
Wie eine Delegierung erfolgte, erfuhr Streich bei einem Termin mit dem DFV-Generalsekretär Günter Schneider, an den er zuvor ein Schreiben mit seinem Wechselwunsch gerichtet hatte. „Schneider nahm das Blatt auf, zerriss es vor meinen Augen, warf es demonstrativ in den Papierkorb und sagte: ,Jena kannst du vergessen. Entweder Magdeburg, oder du spielst für Hansa in der Liga.‘“
Streich musste nicht lange überlegen, da Rostock kurz zuvor abgestiegen war. Ohne diese autoritäre Personalentscheidung wäre der erfolgreichste DDR-Fußballer aber heute wohl ein Jenenser…
Auch wenn der Umzug an die Elbe kein freiwilliger war, wurde ihm und seiner Familie das Einleben in Magdeburg sehr erleichtert: Streich erhielt, als er im Frühherbst 1975 das blau-weiße FCM-Trikot überstreifte, pro forma eine Anstellung im Schwermaschinenkombinat „Ernst Thälmann“ mit einem Monatsgehalt von 901 DDR-Mark, einen Platz an der DHfK Leipzig für ein Sportlehrer-Studium, seine damals dreijährige Tochter problemlos einen Kindergartenplatz und seine Frau eine Anstellung als Ökonomin im VEB Stahlgießerei Rothensee.
Um des Geldes wegen in den Westen zu gehen, wäre Streich nach eigenem Bekunden nie in den Sinn gekommen. Um den Westen als Spieler erleben zu können, habe er ohne lange zu zögern einen Antrag auf Aufnahme in die SED akzeptiert.
Kurioserweise hatten die Genossen den Kandidaten vergessen. Denn nach zwei Jahren war es Streich, der nachhakte, was mit seiner Mitgliedschaft sei. „Ich habe keine Probleme mit meiner Geschichte“, gibt der Ex-Fußballer ebenso selbstbewusst zu Protokoll wie den Hinweis, dass er, „in aller Bescheidenheit, der beste Mittelstürmer der DDR“ war.
Joachim Streich: Nach der Fußballer-Karriere dann Trainer beim 1. FC Magdeburg
Nach dem Ende seiner Karriere war Streich ab der Saison 1985/86 Trainer seines FCM. Im Zuge der Wende kam der DDR-Rekordspieler als erster Ost-Trainer in den Westen: Er coachte 1990/91 die damals in der Zweiten Bundesliga spielende Eintracht aus Braunschweig, ehe er kurz vor Saisonende entlassen wurde.
Später saß er nochmals in Magdeburg, 1996/97 dann beim FSV Zwickau auf der Trainerbank. Doch das Heimweh war so groß, dass er wieder nach Magdeburg ging, wo er bis zu seiner Pensionierung in einem Sportgeschäft arbeitete.
Am Ende schlägt Streich den Bogen zum Anfang seines Buches, wenn er schreibt, dass er heute nicht nur ein ostdeutscher Rentner sei, sondern einer, der, weil er als Fußballer in der DDR nicht Millionen verdiente, eine Rente von 1.073 Euro beziehe. Überzogene Ansprüche habe er ohnehin nicht, attestiert sich Streich, der mit seiner Frau im eigenen Häuschen in Möckern lebt.
„Ich bin bodenständig und mit einigem Beharrungsvermögen ausgestattet, und viel zu sagen habe ich eigentlich nicht“, heißt es am Ende der Einleitung. Deshalb sind Joachim Streichs Erinnerungen auch 131 Seiten schlank. Die folgenden 50 Seiten enthalten Texte über ihn und frühere Interviews mit ihm aus seiner aktiven Zeit als Fußballer.
Dabei hat Joachim Streich zwar auch die meisten Einsätze für die DDR-Nationalmannschaft absolviert, kam aber just in der einzigen Begegnung gegen die Auswahl der BRD bei der WM 1974 nicht zum Einsatz.
Den 1:0-Siegtreffer, der seinem FCM-Kameraden Jürgen Sparwasser in der 77. Minute gelang, hätte auch er gern erzielt, sagt Streich heute.
Da der DDR-Fußball ein abgeschlossenes Kapitel ist, hält der bescheidene Ex-Fußballer drei Rekorde für die Ewigkeit: Streich ist mit 229 Toren Rekordtorschütze der Oberliga, mit 105 A-Länderspielen Rekordnationalspieler und mit 55 Treffern auch Rekordtorschütze bei A-Länderspielen. (mz)
Joachim Streich/Mirco Robus: Der Torjäger. Verlag Neues Leben, 189 Seiten, zahlr. Abb., 19,99 Euro (Buch bei Amazon kaufen)
