"Wir hatten richtig Schiss" Frauen-Fußball in DDR: Einziges Länderspiel wurde 1990 zum Debakel
Berlin - Der Ärger in Bernd Schröders Stimme ist nicht gespielt, wenn er über den 9. Mai 1990 spricht. „Schmerzend war die Art und Weise, wie wir unser erstes und einziges Länderspiel dort in den Sand gesetzt haben. Das beschäftigt mich heute noch“, erinnert sich der 78-Jährige, der damals als Nationaltrainer der DDR-Fußballerinnen 0:3 gegen die Tschechoslowakei verlor. Nur Monate bevor der Staat aufhörte zu existieren.
Vor ein paar Monaten, berichtet Schröder im Gespräch mit dem SID, schlenderte er zusammen mit ein paar Spielerinnen um die damalige Kapitänin Sybille Brüdgam noch einmal durch die Katakomben des Karl-Liebknecht-Stadions in Potsdam, wo das historische Spiel vor 800 Menschen stattgefunden hatte.
„Da haben die mir bestätigt: Wir hatten richtig Schiss in der Hose, haben uns nicht konzentriert und nur gehofft, dass das irgendwie gut geht“, sagt Schröder. Ist es dann aber keinesfalls, es lief sogar richtig mies.
Frauenfußball wurde in der DDR ideologisch gefördert
Und dennoch: Rund um diese Begegnung, die im Grunde viel zu spät kam, lässt sich das Dilemma des Frauenfußballs in der DDR gut erzählen. Zunächst waren die Vorzeichen im Osten besser als im verfeindeten Westen, wo der Deutsche Fußball-Bund (DFB) Frauen von 1955 bis 1970 verbot, gegen den Ball zu treten.
Die DDR-Fußballerinnen verloren gestern in Potsdam-Babelsberg ihr erstes offizielles Länderspiel gegen die CSFR mit 0:3 (0:1). Die Treffer erzielten Ivana Bulirova in der 22. Minute mit einem Foulstrafstoß, Jana Paolettiova, die beste Spielerin auf dem Platz, in der 65. Minute mit einem 20-m-Schuß ins rechte Dreieck und in der 71. Minute Olga Hutterova mit einem Aufsetzerkopfball.
Nach verteilter erster Halbzeit besaßen die Gäste im zweiten Abschnitt die deutlich größeren Spielanteile. Neben Jana Paolettiova standen im Siegteam weitere bewegliche und ballgewandte Spielerinnen, die phasenweise ein gekonntes Kombinationsspiel aufzogen. In der DDR-Mannschaft waren die Nachteile im Mittelfeld und Angriff unübersehbar. Viele gute Spielansätze fanden nicht die entsprechende Fortsetzung. So blieb die Zahl echter Chancen rar.
In der DDR wurde die Gleichstellung von Mann und Frau ideologisch stark gefördert, die 68er-Bewegung half darüber hinaus, und so schossen Ende der 60er-Jahre Frauenfußball-Teams wie Pilze aus dem Boden.
Die Hindernisse waren andere. Die DDR-Sportführung um Manfred Ewald, den früheren Präsidenten des Deutschen Turn- und Sportbundes, sah es aus sportpolitischen Gründen nicht gerne, wenn Frauen Fußball spielten. „Unsere Sportführung hatte immer den Gedanken: Wenn wir den Frauenfußball fördern würden, der nicht olympisch ist, würde das zu Lasten anderer Frauensportarten gehen, weil Fußball sehr populär war“, sagt Schröder.
Wozu also Ressourcen aufwenden, wenn es keine Olympia-Medaillen für das Regime bringt. Es dauerte bis zum Sommer 1989, die Stimmung in der DDR war wegen der schlechten Wirtschaftslage höchst angespannt, ehe Schröder als Coach des sechsmaligen DDR-Meisters Turbine Potsdam zusammen mit seinem Kollegen Dietmar Männel zum Nationaltrainer ernannt wurde. Doch warum ausgerechnet jetzt eine Nationalmannschaft gründen? Nur Monate vor dem Mauerfall.
DDR-Frauen-Nationalmannschaft: Probleme mit den Talenten
„Es war praktisch der letzte Versuch. Quasi noch einmal die Hand hochgehalten kurz vorm Absaufen“, sagt Schröder. Die Funktionäre machten sogar Mittel für Trainingslager locker, aber Schröder hatte ganz andere Probleme. Ihm fiel es schwer, überhaupt einen Kader zusammenzukratzen. Die jahrelange Vernachlässigung durch die Sportführung kostete talentierten Nachwuchs.
„Wir hatten gute Spielerinnen, die aus dem Handball gekommen sind. Aber wenn sie sehen, dass es nicht voran geht, ist es auch irgendwann zuende“, so Schröder: „Die Generation vom Länderspiel war dann gar nicht mehr die beste.“
Zwischendurch waren auch noch ein paar Spielerinnen in den Westen gegangen, denn die Mauer war mittlerweile Geschichte. Birte Weiß, die Einzige aus dem DDR-Team, die es später auch in die gesamtdeutsche Nationalmannschaft schaffen sollte, fehlte mit einem Kreuzbandriss.
Angst vor der Niederlage: DDR-Fußballerinnen mit „schlackernden Knien“
Schröder ist jedoch heute noch davon überzeugt, dass die Mannschaft individuell gut genug war, die DDR-Frauen verloren ihr großes Spiel seiner Meinung nach im Kopf. Der Coach sprach von „schlackernden Knien“, die er schon während der Nationalhymne festgestellt habe. Ihnen wurden im DDR-System schließlich die Verpflichtung zum Sieg eingeimpft, vor allem natürlich den Olympia-Athleten.
Aber es färbte auch auf alle anderen ab. „Bei Olympischen Spielen gilt halt nur der erste Platz und so sind wir im Sport auch erzogen worden. Wir sind zur Höchstleistung verpflichtet, denn sonst müssen wir nach Sibirien - ich übertreibe mal jetzt“, sagt Schröder leicht lachend. Ins russische Gulag verbannten sie ihn nicht. Wer hätte ihn auch dorthin schicken sollen? Schröder blieb weiter in Potsdam. Dort, wo die DDR für ein Spiel eine Frauen-Nationalmannschaft hatte. (sid)