Erster deutscher Meister 1903 Erster deutscher Meister 1903: Leipzig war einst Fußball-Hochburg

Halle/Leipzig/MZ - Der Leipziger Fußball pfeift seit der Wende auf dem letzten Loch. Keiner der Traditionsklubs schaffte es ein Bein auf den Boden zu bekommen. Der Patient „Fußball aus Leipzig“ lag auf der Intensivstation. Mittlerweile zeigt das Projekt eines Brauseherstellers, dass es, wenn schon nicht Tradition, scheinbar nur mit Geld geht. RB Leipzig peilt den Aufstieg in die 1. Bundesliga an. Ausgang ungewiss. Dabei war Leipzig jahrzehntelang Hochburg erfolgreichen Fußballs. Nicht nur, dass eben hier 1900 der Deutsche Fußball Bund gegründet wurde: Der Leipziger Fußball strotzte Anfang des Jahrhunderts nur so vor Kraft und war 1903 erster deutscher Fußballmeister.
Die Initiative 1903 wurde von Sebastian Bona und Holger Böttcher 2010 gegründet, um laut Webseite „gebührend an die erste Deutsche Fußballmeisterschaft zu erinnern“. Die beiden Fußballfans Bona und Böttcher wollen sowohl die Erinnerung an das Final-Turnier von 1903 sowie die Tradition der Vereine Altonaer FC von 1893, den Karlsruher FV 1891, den VfB Leipzig (heute 1. FC Lokomotive), die Magdeburger Viktoria (TuS 1860 MD-Neustadt) und die Berliner Britannia (seit 1914 SV 1892) hochhalten. Dazu gehört auch der DFC Prag, der heute aber nicht mehr existiert.
Als erstes Projekt will die Initiative an allen Standorten einen Gedenkstein an die Meisterschaft aufstellen. In Altona (ehemaliger Exerzierplatz) und Leipzig (Bruno-Plache-Stadion) stehen bereits Gedenksteine, die an 1903 erinnern. Die Steine sind „originale Tribünensteine aus dem alten Bruno-Plache-Stadion“, so Bona. Am 1 Juni soll auch in Karlsruhe ein Stein aufgestellt werden.
Für 2014 ist eine Wiederauflage des Finales von 1904 zwischen Britannia Berlin (heute Berliner SV 1892)und Vfb Leipzig (heute Lok Leipzig) geplant. Wobei Neuauflage nicht ganz richtig ist, denn das Finale konnte damals wegen rechtlicher Streitigkeiten nie stattfinden. „So könnte Lok Leipzig endlich wieder einen Titel gewinnen“, scherzt Lok-Fan Bona.
Weit entfernt von den professionellen Strukturen des modernen Fußballs schaffte es Spieler, Gründer und Trainer Theodor Schöffler (Mitinitiator der DFB-Gründung) dem VfB Leipzig Beine zu machen. Keine Taktikschule, Motivationstraining oder einstudierte Laufwege brachten den Erfolg: Die Leipziger waren konditionell bestens aufgestellt. Schöffler liebte Marathon und trainierte dementsprechend hart mit dem Team. Der Leipziger Sebastian Bona, Sammler, VfB-Fan und Gründer der Initiative 1903, hat die Spiele des Leipziger Clubs analysiert: „ Der VfB galt damals als einer der führende Vereine im Flachpassspiel. Also keine langen Bälle, wie damals oft üblich.“ Doch anno 1903 steckte der Fußball in den Kinderschuhen, oft waren Glück und Zufall wichtiger als Taktik oder fußballerisches Können.
Organisatorisches Chaos
Der damalige Meisterschafts-Modus war vergleichbar mit DFB-Pokal oder Champions League. Der VfB siegte erst im Verband Leipzig. Dann spielten die Vereine des Verbandes Mitteldeutscher Ballspielvereine (VMBV) ihren Meister aus. Dem erst ein Jahr zuvor gegründeten Verband gehörten Vereine aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und später auch Thüringen an. Zu den Gründungsvereinen gehören aus Sachsen-Anhalt der Hallesche FC 1896 und Hohenzollern Halle, der Dessauer FC 1898, der Spielverein Hohenzollern Merseburg und der FC Preußen Weißenfels. Im Finale des VMBV siegte der VfB Leipzig mit 4:0 gegen den Dresdner SC.
Bereits vor dem Final-Turnier starb der Erfolgstrainer Theodor Schöffler überraschend. Doch sollte sich Schöfflers Training auszahlen. Das Turnier selbst war eine mittelschwere organisatorische Katastrophe. Sechs Mannschaften, darunter auch Viktoria 96 Magdeburg, die als Lokalmeister überraschend am Finalturnier teilnehmen konnten, standen sich im Mai gegenüber. Allerdings wurden nur zwei Viertelfinals ausgespielt. Leipzig gewann sein Spiel gegen Britannia 92 Berlin in Berlin mit 3:1. Das Viertelfinale DFC Prag gegen Karlsruher FV fand nie statt. Erst gab es Streitigkeiten wegen des Spielortes, denn der KFV befürchtete finanzielle Einbußen. Schließlich sollte das Spiel als Halbfinale stattfinden. Ein gefälschtes Telegramm sagte den Karlsruhern den Termin ab. Sie erschienen nicht zum Termin und wurden aus unerklärlichen Gründen disqualifiziert. Der DFC Prag zog kampflos ins Finale ein. Der noch junge DFB agierte kopflos.
Unterdessen gewann der VfB sein Halbfinale gegen Altonaer FC 93 mit 6:3. Eigentlich ein klares Ergebnis: „Allerdings muss man dazu sagen, dass damals bei Verletzungen nicht gewechselt wurde. Bei Altona waren drei Spieler ausgefallen.“ Der VfB gewann also mit etwas Glück in Überzahl.
Kein Ball im Finale
Das Ergebnis des Finales gegen Prag täuscht auch. Denn das 7:2 für die Leipziger war laut Bona eine Ausnahme. „Ich habe mal alle Spiele des von Leipzig gegen Prag analysiert und letztlich hatten die Prager in den meisten Fällen gewonnen.“ Nur 1903 waren die Leipziger einfach besser. Und vielleicht war Georg Steinbeck auch der entscheidende Faktor. Der Spieler des VfB verpasste den Zug nach Altona, er war noch in der Schule, und schaffte es nicht zu Anstoß des Finales um 16 Uhr. Allerdings war beim Anpfiff kein Ball in Reichweite. Bis der Schiedsrichter und damalige Präsident von Altona die Spielkugel besorgt hatte, war Steinbeck angekommen und konnte am Ende des Tages die Victoria in die Luft heben. Die damalige Trophäe, angelehnt an die römische Siegesgöttin, sollte in den nächsten 110 Jahren eine abenteuerliche Reise unternehmen. Der bronzepatinierte Zinnguss stand auf einem quaderähnlichen Sockel, auf dem alle Wappen der Fußballmeister angebracht wurden. Die Victoria wechselte bis 1944 stets in die Hände des jeweiligen Meisters. Der VfB aus Leipzig konnte noch zwei weitere Male, 1906 und 1913, die Siegesgöttin in die Luft strecken.
1944 in den Wirren des zweiten Weltkrieges gewann der Dresdner SC die vorerst letzte deutsche Meisterschaft. Erst 1948, als in Köln die Meisterschaft wieder ausgetragen werden sollte, erinnerte man sich an die Trophäe. „Auf dem Weg von Dresden nach Köln ist der Pokal dann abhanden gekommen. Ein Abgesandter vom DFB wurde an der Grenze abgefangen“, berichtet Dr. Jürgen Lüttke vom Deutschen Sportmuseum in Berlin in dem eine Replik der Victoria steht.
Lag die Victoria in einem Dresdner Kohlenkeller?
Die Legende besagt, ein Fußballfan habe den Pokal in seinem Keller unter einem Kohlehaufen versteckt. Wahrscheinlicher ist laut Lüttke, dass das DDR-Sportausschuss die Victoria archivierte. Erst in den 80er Jahren erkannten die Funktionäre was dort im Archiv lag. 1984 wurde die Trophäe restauriert und schließlich nach der Wende wieder aus der Versenkung geholt. Nach einem Rechtsstreit zwischen der Stadt Berlin und dem DFB ging das Original schließlich nach Frankfurt. Dort steht die beeindruckende Siegesgöttin bis heute. „Nach dem Streit wurden zwei Kopien angefertigt. Eine steht im Berliner Sportmuseum, die andere bekommt der deutsche Fußballmeister“, so Lüttke weiter. Allerdings ist die Victoria nicht sehr beliebt bei den Bundesligavereinen. Nur der VfL Wolfsburg und Borussia Dortmund wollten die Trophäe zusätzlich zur Meisterschale haben.
Übrigens ist die „Salatschüssel“ nur als Ersatz für die Victoria gedacht gewesen. Denn wäre der DFB-Kurier 1948 nicht an der Grenze mit dem Pokal abgefangen worden, wäre die heute die rechtmäßige Meisterschaftstrophäe.
Das Finale um die erste Deutsche Fußballmeisterschaft fand 1903 in Hamburg statt:
