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Des "Kaisers" Irrtum Des "Kaisers" Irrtum: Beckenbauer und die DDR-Fußballer: "Über Jahre nicht zu besiegen"

Von Martin Kloth 30.09.2020, 07:33
08.07.1990, Italien, Rom: Die Deutschen bejubeln ihren 1:0-Sieg im WM-finale gegen Argentinien: Holger Osieck (v.l.n.r.), Franz Beckenbauer, Klaus Augenthaler, Stefan Reuter, Jürgen Klinsmann, Frank Mill und Karl-Heinz Riedle. 
08.07.1990, Italien, Rom: Die Deutschen bejubeln ihren 1:0-Sieg im WM-finale gegen Argentinien: Holger Osieck (v.l.n.r.), Franz Beckenbauer, Klaus Augenthaler, Stefan Reuter, Jürgen Klinsmann, Frank Mill und Karl-Heinz Riedle.  dpa

Berlin/Frankfurt/M. - In der Ewigen Stadt hatten Deutschlands Fußballer gerade zum dritten Mal den Weltmeister-Titel gewonnen, da sprach Franz Beckenbauer Sätze für die Ewigkeit. So nüchtern und gelassen wie bei seiner Turnieranalyse erklärte der scheidende Teamchef die deutsche Nationalmannschaft durch den Zuwachs an Spielern aus der DDR nach der Wiedervereinigung schlichtweg für unschlagbar. Die Auswahl werde größer und die Mannschaft noch kompakter, leitete Beckenbauer noch harmlos die Beantwortung der Frage eines Journalisten auf der Pressekonferenz am 8. Juli 1990 in Rom ein.

Dann aber kamen die Sätze, die für seinen Nachfolger Berti Vogts zur überhöhten Messlatte wurden - und bis heute als legendär gelten. „Wir sind jetzt die Nummer 1 in der Welt und schon lange die Nummer 1 in Europa. Jetzt kommen die Spieler aus Ostdeutschland noch dazu. Ich glaube, dass die deutsche Mannschaft über Jahre hinaus nicht zu besiegen sein wird“, sagte Beckenbauer und fügte wie zur Bekräftigung an: „Es tut mir leid für den Rest der Welt, aber wir werden für die nächsten Jahre nicht zu besiegen sein.“

Beckenbauers vorhergesagten Jahre dauerten nur 332 Tage

„Auf eine solch überzogene Einschätzung der deutschen Fußballer-Fähigkeiten hätte der scheidende Teamchef gern verzichten können“, kommentierte seinerzeit das „Hamburger Abendblatt“. Dass aber auch ein „Kaiser“ kein Prophet ist, zeigte sich schon im folgenden Sommer: Die von Beckenbauer vorhergesagten Jahre dauerten nur 332 Tage.

Am 5. Juni 1991 verlor die Mannschaft von Bundestrainer Berti Vogts mit 0:1 in Cardiff gegen Wales - nach 16 Partien ohne Niederlage war es auch die erste Pleite gegen die Waliser überhaupt. „Die bessere Mannschaft hat verloren“, beklagte Kapitän Lothar Matthäus, einer von immerhin zehn Weltmeistern auf dem Platz.

Wie schon in den Länderspielen zuvor, hatten es die ehemaligen DDR-Fußballer schwer, ins Weltmeister-Team zu kommen. Allein Matthias Sammer etablierte sich früh als Stammkraft. Der Dresdner, im Jahr der Wiedervereinigung in Diensten des VfB Stuttgart, durfte schon im ersten Spiel der Nationalmannschaft nach der Auflösung des Deutschen Fußball-Verbandes (DFV) am 20. November 1990 in der DFB-Startelf auflaufen.

DDR-Spieler schafften nur schwer den Sprung ins deutsche Nationalteam 

Am 19. Dezember spielte die deutsche Mannschaft erstmals mit ehemaligen DDR-Nationalspielern und gewann in Stuttgart mit 4:0 gegen die Schweiz. „Es war für mich ein schöner Moment, als die Nationalhymne gespielt wurde“, sagte Sammer nach 23 DDR- Länderspielen und seinem ersten mit dem Adler auf der Brust. „Ich habe bewusst dabei nach unten geschaut und mein Fußball-Leben durchdacht. Es hat mich nicht belastet. Es war ein sehr angenehmes Gefühl.“

Zweiter „Ossi“ im Vogts-Team war Stürmer Andreas Thom. Mit einem Blitztor nicht einmal 20 Sekunden nach seiner Einwechslung feierte der Kapitän der DDR-Auswahl einen Bilderbuch-Einstand, nachdem er bereits 51 Länderspiele in der DFV-Ägide absolviert hatte. „Ich hätte mich geärgert, wenn ich nicht gespielt hätte“, sagte Thom, der vom BFC Dynamo zu Bayer Leverkusen gewechselt war. „Dass mir so schnell ein Tor gelang, ist auch Glücksache“, meinte er und fügte nachdenklich an: „Aber in diesen Zeiten geht ja alles viel schneller, wenngleich man erst einiges verkraften muss.“

Schneider, Hobsch und Scholz bekamen jeweils nur einen Einsatz im Nationalteam 

Dass Beckenbauers Prognose von der andauernden Unschlagbarkeit durch ostdeutschen Zuwachs nicht aufging, deutete sich schon 1990 an. Denn auf dem Platz war nur wenig Platz für Neue - zu schwer wog der Titel-Bonus der Weltmeister, ließ Vogts schon nach dem Sammer-Debüt durchblicken. „Ich wusste um die Verletzung von Matthias, doch er hatte nach meiner Meinung das Anrecht, als erster Spieler aus der ehemaligen DDR mit den Weltmeistern zu spielen“, sagte er damals. Und auch Andreas Thom gab seinen Zweifeln Ausdruck: „Es wird in der Zukunft nicht einfach sein, sich in dieser Mannschaft von Weltmeistern zu behaupten.“

Die Statistik bestätigte seine Vorhersage. In den zehn Jahren vom WM-Titel bis zum Ende der Auswahlkarriere von Lothar Matthäus im Jahr 2000 spielten 21 ostdeutsche Akteure in der Nationalmannschaft. Bei der EM 1992 mit der 0:2-Finalniederlage gegen Dänemark waren Sammer, Thom und Thomas Doll im Kader, bei der WM 1994 in den USA mit dem Viertelfinal-K.o. gegen Bulgarien Sammer und Ulf Kirsten. Im Aufgebot beim Gewinn des EM-Titels 1996 in England standen Sammer und der Rostocker René Schneider - der nach seinem Debüt 1995 nie mehr im DFB-Dress aufgelaufen war.

In den 74 Länderspielen zwischen dem WM-Titel 1990 und dem EM-Gewinn 1996 durch das Golden Goal von Oliver Bierhoff hatte Bundestrainer Vogts elf Spieler aus ehemaligen DDR-Clubs eingesetzt. Darunter Akteure wie Schneider, Bernd Hobsch und Heiko Scholz (beide Lok Leipzig), die jeweils nur ein Länderspiel absolvierten, oder Dirk Schuster mit drei.  (dpa)