Handball-Bundestrainer vor EM Christian Prokop vor Handball-EM: "Wir haben eine bodenständige Mannschaft"

Leipzig - Am Freitag beginnt in Kroatien die Handball-EM. Deutschland ist Titelverteidiger. Vor dem Turnier gab Bundestrainer Christian Prokop der Mitteldeutschen Zeitung ein Interview in dem er auch über seine Köthener Wurzeln spricht. Das Gespräch führte Ullrich Kroemer.
Christian Prokop, der Countdown bis zum Start der Euro am Freitag läuft. Sind Sie als Trainer der #badboys bereits zum #badcoach mutiert?
Christian Prokop: Nein, ich habe den Fokus auf die letzten Trainingstage und Testspiele vor der EM gelegt. Ich habe einen guten Eindruck von allen 20 Spielern. Spätestens in den Länderspielen gegen Island kam der Wettkampfgedanke, das Kribbeln. Die beiden Siege geben uns Selbstvertrauen und haben bestätigt, dass wir mit den 20 aktuell besten deutschen Handballern arbeiten. Man spürt, dass die Vorfreude und gleichzeitig auch die Anspannung vor so einem Großereignis steigen. Wir möchten nun auch bei der Euro unter Beweis stellen, was wir uns erarbeitet haben.
Wie cool sind Sie persönlich vor Ihrem ersten Großereignis überhaupt? Ich bin positiv angespannt und möchte wie immer sehen, dass wir die besprochenen Dinge umsetzen.
Sie haben den Teamtitel „badboys” von Ihrem Vorgänger Dagur Sigurdsson übernommen. Passt er noch zum aktuellen Team und welche Bedeutung hat er für Sie und die aktuelle Mannschaft?
Die Eigenschaften, die „harte Jungs“ mitbringen, passen zu unserer Nationalmannschaft. Wir müssen aus einer aggressiven, aber auch intelligenten Verteidigung heraus, einfache Tore erzielen. Das wird das Fundament für einen Erfolg sein. Und dieser Name steht auch dafür, aus der Gemeinschaft heraus mit viel Disziplin und Hingabe zusammen zu spielen. Das sind Werte, die zu uns passen.
Muss es für diese EM ein neues Motto geben? Was heften Sie an die Kabinentür?
Nein. Die Mannschaft, die am konstantesten auf gutem Niveau spielt, kann im Turnierverlauf weit kommen. Es geht auch hier immer wieder um Kleinigkeiten.
Ihr Vater Heinz, der u.a. die HG 85 Köthen und SV Anhalt Bernburg trainierte, ist ein wichtiger Ansprechpartner für Sie. Werden Sie sich auch in Kroatien mit ihm austauschen?
Erster Ansprechpartner ist natürlich mein Co-Trainer Alexander Haase. Aber Sie haben Recht, mein Vater ist ein wichtiger Ratgeber für mich – auch in Fragen außerhalb des Handballs. Meine Eltern werden vor Ort sein und sich das Turnier in Kroatien anschauen. Je nachdem, wie es die Zeit erlaubt, werden wir uns auch austauschen.
War Ihr Vater Ihr wichtigster Trainer?
Er war ein sehr wichtiger Trainer für mich, weil ich bei ihm das Handball-ABC lernen konnte und seine Art, im Umgang mit einer Mannschaft prägend für mich war. Weil ich aber schon mit 22 Jahren meine Spielerkarriere verletzungsbedingt beenden musste, habe ich selbst als Trainer mehr eigene Erfahrungen sammeln müssen, als dass ich „meine Trainer“ hätte beobachten können.
Apropos Köthen: Waren Sie eigentlich mal wieder in der Heimat in der Halle, um sich ein Spiel anzuschauen?
Ich bin ab und an vor Ort, um die Familie zu besuchen. Aber zu einem Spiel habe ich es nicht geschafft. Das Aufgabenfeld als Bundestrainer ist sehr vielschichtig und zeitintensiv.
Als das DHB-Team 2016 Europameister wurde, haben Sie in einer Leipziger Sportsbar zugeschaut. Hätten Sie sich damals träumen lassen, dass Sie beim nächsten Turnier Bundestrainer sein würden?
Nein, damals war damit nicht zu rechnen. Aber sicher war die erfolgreiche und kontinuierliche Arbeit beim SC DHfK Leipzig ein Grund, weshalb der DHB mir ein Angebot unterbreitet und das Vertrauen ausgesprochen hat.
Aktuell stehen drei Leipziger im 16er-Kader. Wie viel Leipzig steckt auch hinsichtlich der Philosophie in der Nationalmannschaft?
Bei der Auswahl der Nationalspieler geht es einzig und allein um die beste Leistung. Aber meine Handschrift hat man in Leipzig gesehen, und ich erhoffe mir, eine ähnliche Philosophie auch bei der Nationalmannschaft einzubringen. Ich möchte, dass wir Werbung für unseren Sport machen, modernen, aggressiven und technisch versierten Handball spielen.
Welche Rolle spielt da etwa ein Akteur wie Abwehrspezialist Bastian Roscheck aus Leipzig, der für bewegliche Abwehrarbeit und unermüdlichen Einsatz steht, und nun überraschend im EM-Aufgebot dabei ist?
Bastian hat in den vergangenen vier Jahren eine enorme Entwicklung genommen. Was seine Abwehrquote angeht, zählt er zu den stärksten Verteidigern der Bundesliga. Bastians Nominierung ist ebenso wie die von Max Janke oder Marian Michalczik, der im 20er-Kader steht, auch ein Zeichen dafür, wohin wir mit der Mannschaft wollen. Neben dem aktuellen Erfolg wird auch eine Weiterentwicklung notwendig sein und auf Perspektive geachtet.
Tor
Silvio Heinevetter (Füchse Berlin) 33 (Alter) 166 Länderspiele/2 Tore
Andreas Wolff (THW Kiel) 26 58/8
Feld
LA Uwe Gensheimer (Paris St. Germain/Frankreich) 31 145/664
RL Steffen Fäth (Füchse Berlin) 27 57/118
RL Julius Kühn (MT Melsungen) 24 37/124
RL Maximilan Janke (SC DHfK Leipzig) 24 2/1
RM Paul Drux (Füchse Berlin) 22 58/114
RM Philipp Weber (SC DHfK Leipzig) 25 11/36
RR Kai Häfner (TSV Hannover-Burgdorf) 28 57/132
RR Steffen Weinhold (THW Kiel) 31 100/252
RA Patrick Groetzki (Rhein-Neckar Löwen) 28 117/317
RA Tobias Reichmann (MT Melszúngen) 29 69/200
KR Jannik Kohlbacher (HSG Wetzlar) 22 37/74
KR Hendrik Pekeler (Rhein-Neckar Löwen) 26 71/108
KR Bastian Roscheck (SC DHfK Leipzig) 26 2/1
KR Patrick Wiencek (THW Kiel) 28 107/243
Wo konkret sieht man Ihre Handschrift bereits aktuell?
Das sind Nuancen in Abwehr und Angriff. Wir haben als Hauptverteidigungsstrategie eine 6:0-Formation, die flexibel verteidigt, den Gegner unter Druck setzen soll. Zudem ist ein schnelles Umschaltspiel wichtig, um einfache Tore zu erzielen. Und wir wollen ein variables Angriffsspiel zeigen, das nicht ausrechenbar ist.
Auch, weil Sie keinen überragenden Rückraumschützen dabei haben, auf den alles ausgerichtet ist?
Wir haben mit Julius Kühn oder Steffen Fäth schon Spieler dabei, die Matches auch im Alleingang mit Würfen aus Distanzen jenseits der neun Meter entscheiden können. Aber wir wollen auch auf alle anderen Dinge vorbereitet sein. Wir wollen vor allem Spielertypen im Kader haben, die zusammen gut funktionieren und kämpfen. Taktik ist beim Handball nur die Hälfte, die anderen 50 Prozent sind Hingabe und Einsatz, mit den wir für unser Land auftreten.
Beim Test gegen Island haben Sie in einer Auszeit die Kombination „Magdeburg 1” angesagt. Haben Sie neue Angriffsautomatismen kreiert und benannt oder kann ihr Team noch „Polen” wie unter Heiner Brand spielen?
Es ist wichtig, dass es eine einheitliche Bezeichnung gibt. Das ist ein fortlaufender Prozess, die Kombinationen lassen sich von Spiel zu Spiel erweitern. Viel wichtiger wird aber sein, mit wie viel Dampf und Spieldisziplin wir die Kombinationen anwenden.
Wie haben Sie sich abseits des rein Handballerischen auf die EM-Aufgabe vorbereitet? Haben Sie etwa einen Englischkurs absolviert?
Ich schaue, dass ich fit in das Turnier gehe und habe etwas Lauftraining gemacht; ebenso wie die eine oder andere Sprachübung. Zudem habe ich ausprobiert, wie ich die Gegner beim Videostudium in kürzerer Zeit schneller analysieren kann und neue Hilfsmittel getestet. Trotzdem sollte man vor allem auf das vertrauen, womit man bis hierher gute Erfahrungen sammeln konnte.
Sie haben viel Zeit auf die Gegneranalyse verwendet. Worauf muss sich Ihr Team in der Vorrunde einstellen?
Wir treffen in Montenegro, Slowenien und Mazedonien auf drei allesamt sehr emotionale Mannschaften. Montenegro kommt über einen starken Rückraum und gutes Zusammenspiel mit dem Kreis und hat unterschiedliche Abwehrformationen, meist offensiv interpretiert, in petto. Der WM-Dritte Slowenien ist eine der spielstärksten Mannschaften der Weltspitze mit technisch sehr versierten Spielern, die von jeder Position Druck machen. Und Mazedonien hat einige Spieler mit Champions-League-Qualität wie die Lazarov-Brüder. Das ist eine schwere Vorrunde, eine große Herausforderung für uns. Aber wir sind in der Lage, das zu meistern, wenn wir taktische Umsetzung und Emotionalität zusammenbringen.
Welche Trends haben Sie in der Weltspitze erkannt?
In der Weltspitze ist Gefahr von jeder Position gang und gäbe. Zwar haben viele Topteams überragende Individualisten, aber auch Mannschaften wie Frankreich, Dänemark oder Norwegen haben sich als Teams weiterentwickelt, die sehr geschlossen auftreten. Keine ganz neue Weisheit ist, dass die Form im Tor oft Ausschlag über Sieg oder Niederlage gibt.
Da haben Sie in Andreas Wolff und Silvio Heinevetter ein außergewöhnliches Duo im Kasten.
Das hoffe ich, wir haben zwei starke Torhüter dabei.
Apropos Heinevetter: Müssen Sie mit einigen Charakteren und Stars im Nationalteam anders umgehen als zuvor mit den Bundesligaaufsteigern in Leipzig?
Natürlich haben wir namhafte Spieler dabei. Aber das Wort Star ist für mich immer auch negativ mit arrogantem Auftreten behaftet. Das haben wir hier nicht, sondern eine sehr starke, bodenständige Mannschaft mit hoher Auffassungsgabe.
Wie haben Sie das DHB-Team, das neben großem Zusammenhalt auch für Lockerheit steht, vom Charakter her kennengelernt?
Die Stimmung ist sehr gut. Ich habe auch nichts gegen Lockerheit, wenn wir dann auch volle Fokussierung auf die Gegner und die Spiele hinbekommen. Lockerheit in Verbindung mit Konzentration ist immer gefragt – vor allem bei einem Turnier. (mz)