Ablehnung Olympia 2022 in München Ablehnung Olympia 2022 in München: Steckt der deutsche Sport in einer Imagekrise?

Berlin/dpa - Olympia, nein danke: Der Traum von olympischen Spielen in Deutschland scheint auf Jahre nicht mehrheitsfähig zu sein. Einen Tag nach der 0:4-Wahlpleite bei Bürgerentscheiden in Bayern wollte die Spitze des deutschen Sports auch von künftigen Bewerbungen um Olympische Sommerspiele vorerst nichts wissen. Selbst im IOC-Hauptquartier in Lausanne wurde die Nachricht am Montag mit großer Ernüchterung aufgenommen. Der neue Präsident Thomas Bach reagierte nach dpa-Informationen enttäuscht, eine offizielle Stellungnahme lehnte er ab. Bei den Bürgerentscheiden am Sonntag setzten sich in München, Garmisch-Partenkirchen sowie den Landkreisen Traunstein und Berchtesgaden jeweils die Olympia-Gegner durch.
Die norwegische Hauptstadt war bereits 1952 Gastgeber der Olympischen Winterspiele. In den Planungen des Bewerbungskomitees spielt auch Lillehammer, wo die überaus erfolgreichen Winterspiele 1994 ausgetragen wurden, eine große Rolle. Dort sollen die alpinen Ski-Wettbewerbe stattfinden. Ansonsten sind die Siegerehrungen und zahlreiche Wettkämpfe in und um Oslo vorgesehen. Grünes Licht gab es für die Olympia-Pläne durch ein Referendum am 9. September dieses Jahres. 53,6 Prozent der Befragten votierten für eine Kandidatur.
Mit Krakau als Gastgeberstadt nehmen Polen und die Slowakei einen weiteren Anlauf auf den erstmaligen Zuschlag für Winterspiele. In Krakau würden Eröffnungs- und Schlussfeier sowie die Eisschnelllauf-Wettkämpfe ausgetragen werden. Die Veranstaltungen im Ski nordisch und Snowboard würden in der 90 Kilometer entfernten Bergregion von Zakopane stattfinden. Zakopane hatte sich 2006 vergeblich um Spiele beworben. Die alpinen Wettbewerbe sind im Skigebiet Jasna in der Slowakei geplant. Das Land war 2002 und 2006 mit Poprad-Tatry im Bewerbungsverfahren gescheitert.
14 Jahre nach den Sommerspielen von Peking will Chinas Hauptstadt erstmals die Winterspiele holen. Peking bewirbt sich zusammen mit dem 200 Kilometer entfernten Zhangjiakou als Co-Gastgeber. Alle Eiswettbewerbe sind in Peking geplant, die Ski-Wettkämpfe sollen in den Bergen rund um Zhangjiakou stattfinden. Ein zentraler Punkt in der Bewerbung ist eine Hochgeschwindigkeitsbahn, die die Reisezeit zwischen beiden Städten auf 40 Minuten verkürzen soll. China hatte sich zuvor vergeblich mit Harbin um die Austragung der Winterspiele 2010 beworben. Erschwerend dürfte für Peking hinzukommen, dass 2018 in Pyeongchang/Südkorea und 2020 in Tokio zwei asiatische Städte als Olympia-Gastgeber fungieren.
Nach der Austragung der Fußball-EM 2012 als Co-Gastgeber geht die Ukraine mit Lwiw auch erstmals ins Rennen um die Olympischen Winterspiele. Die im Westen des Landes gelegene Stadt nahe der polnischen Grenze war bei der EM Spielort von drei Vorrundenbegegnungen, darunter die Spiele der deutschen Elf gegen Portugal und Dänemark. In Lwiw sind die Eis-Wettbewerbe vorgesehen, die Ski-Events sollen in den Karpaten ausgetragen werden.
Bereits im August dieses Jahres hat Almaty als erster Bewerber das Rennen um die Winterspiele 2022 aufgenommen. Bei der Kandidatur für 1994 und 2014 war die frühere Hauptstadt des autoritär regierten Kasachstan in Zentralasien jeweils in der Vorauswahl gescheitert. Die Millionenstadt am Ausläufer des Tian-Shan-Gebirges verweist auf die 2011 gemeinsam mit der neuen Hauptstadt Astana ausgerichteten Asienspiele. Allerdings wären bei einem Zuschlag große Investitionen nötig. Unter anderem wären der Bau einer Bob- und Rodelbahn, eines Eisstadions und des Olympischen Dorfes fällig.
Bis zum 12. November will das Nationale Olympische Komitee von Schweden über eine Bewerbung Stockholms entscheiden. Die Begeisterung innerhalb der schwedischen Regierung scheint sich aber nach den vielen gescheiterten Bewerbungen in der Vergangenheit in Grenzen zu halten. Stockholm, Gastgeber der Sommerspiele 1912, hatte vergeblich für Olympia 2004 kandidiert. Außerdem scheiterten Göteborg (1984), Falun (1988 und 1992) sowie Östersund (1998 und 2002) mit Bewerbungen für die Winterspiele.
Politiker und Spitzenfunktionäre taten sich bei der Ursachenforschung für die Pleite schwer und machten vor allem eine kollektive Angst der Bürger bei der Verwirklichung von Großprojekten für das klare Nein verantwortlich. Aber auch die zahlreichen Negativ-Schlagzeilen über das Internationale Olympische Komitee und den Fußball-Weltverband (FIFA) in der jüngeren Vergangenheit wurden als Gründe für die Ablehnung genannt.
„Ohne die Zustimmung der Bevölkerung wird es zukünftig keine Olympischen Spiele in Deutschland geben“, analysierte Clemens Prokop, Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV). Fußball-Legende Franz Beckenbauer prophezeite nach „der verpassten Chance für den Freistaat“ nur lapidar: „Das wird ihnen irgendwann leidtun.“
Ganz Deutschland hätte von solch einem Großereignis profitiert, ließ der für den Sport zuständige Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) ausrichten. Der designierte DOSB-Präsident Alfons Hörmann meinte: „Die Olympia-Bewerbung hätte uns mit Sicherheit geholfen, die Bedeutung des Sports in der Gesellschaft noch besser zu verankern, aber es ist wie es ist. Das Leben muss auch ohne Olympia-Bewerbung weitergehen.“ Er konnte sich einen Seitenhieb nicht verkneifen: „Rund um Sportgroßereignisse hat es in den letzten Wochen nicht unbedingt positive Schlagzeilen gegeben. Dafür können wir nichts, aber das hatte vielleicht auch mit dem Ergebnis zu tun.“
Der deutsche Sport steckt in einer Imagekrise. Die ablehnende Bürgerbefragung könnte als Votum gegen den Leistungssport in Deutschland interpretiert werden. Schließlich stützt sich die regelmäßige Forderung nach größerer finanzieller Unterstützung der Topathleten durch Steuergelder auch auf die vermeintlich große Sportbegeisterung in Deutschland. „Der deutsche Sport nimmt unmittelbar daraus keinen Schaden, aber er hat eine große Chance für eine Aufbruchstimmung verpasst“, sagte DOSB-Generaldirektor Michael Vesper. Er sagte: „Es gibt kein besseres Konjunkturprogramm für den Sport als eine Olympia-Bewerbung.“
„Ich bin sehr enttäuscht. Das ist sehr bitter für den deutschen Sport, dass wir nicht die Chance bekommen haben, der Welt zu zeigen, wie man heutzutage nachhaltige Olympische Winterspiele veranstalten kann. Ausschlaggebend ist für mich die zunehmende Skepsis in Deutschland gegenüber Großereignissen.“
„Ökologisches Bewusstsein und Heimatliebe der Bürger haben über Kommerz und Gigantismus gesiegt. Dies ist ein Weckruf an das Internationale Olympische Komitee und den Deutschen Olympischen Sportbund, wieder zum Ursprung der olympischen Idee zurückzukehren und sich von einseitigen Knebelverträgen zu verabschieden.“
„Das Votum ist kein Zeichen gegen den Sport, aber gegen die Profitgier des IOC. Ich glaube, in ganz Deutschland sind Olympia Bewerbungen mit dem heutigen Tag vom Tisch. Die Menschen im Ballungsraum München und die Natur in den bayerischen Alpen haben einen wichtigen Sieg errungen.“
„Ich bin der Ansicht, dass es nicht am Konzept gelegen hat. Es ist eher eine zunehmend kritische Einstellung von Bevölkerungsteilen gegen Sport-Großereignisse. Wir haben mit großer Überraschung zu Kenntnis genommen, dass im Landkreis Traunstein, der unbedingt beteiligt werden wollte, die Ablehnung noch größer ausgefallen ist.“
„Ich finde es sehr bedauerlich, dass die Bürgerentscheide keine Mehrheit für eine Bewerbung um die Olympischen Winterspiele 2022 gebracht haben. Wir werden dieses Ergebnis akzeptieren. Ich hätte mich auf die sportlichen Spitzenwettbewerbe in unserer Heimat gefreut, die Welt geht deswegen aber nicht unter.“
„Ich bin sehr enttäuscht. Das hätte ich nicht gedacht. Ich glaube, viele Bürger waren nicht richtig informiert. Für die olympische Bewegung ist es bedenklich. Wenn sich solche traditionellen Länder wie die Schweiz oder Deutschland als Ausrichter zurückziehen, ist dies eine gefährliche Entwicklung.“
„Ich weiß nicht, woran es lag. Es ist traurig, aber wahr. Wir haben in den letzten zwei Wochen noch einmal alles mobilisiert. Wir müssen jetzt in der Niederlage Größe beweisen. Der eine oder andere wird es später vielleicht noch bereuen.“
„Das ist eine Klatsche, wie ich sie im Leben nie erwartet hätte, ein 0:4 Debakel. Wie will man so ein Highlight wie Olympische Spiele jetzt noch nach Deutschland bringen?“
„Ich bin enttäuscht, dass sich eine so deutliche Mehrheit gegen Olympische Winterspiele ausgesprochen hat. Ich konnte das Ergebnis noch nicht analysieren. Aber es gibt im Sport nur Sieg oder Niederlage. Alle vier Abstimmungsorte haben verloren.“
„Ich bin natürlich enttäuscht. Es wäre die einmalige Chance gewesen, der Welt und dem Internationalen Olympischen Komitee zu zeigen, dass man Olympische Winterspiele auch ohne Gigantismus und Naturzerstörung durchführen kann.“
„Ich hoffe sehr, dass diese demokratische Entscheidung der Bürgerinnen und Bürger von allen Seiten akzeptiert wird. Ich persönlich glaube, dass es unsere letzte Chance war, Winterspiele zu bekommen.“
„Die Olympischen Winterspiele 2022 in der bayerischen Landeshauptstadt, in Garmisch, Ruhpolding und im Berchtesgadener Land auszurichten, hätten dem Wirtschaftsstandort enormen Rückenwind geben. Diese Riesen-Chance ist nun perdu. Jetzt ist es wichtig, den Kopf nicht in den Sand zu stecken und weiter an der Zukunft des Standorts Oberbayern zu arbeiten.“
Auch FIS-Präsident Gian-Franco Kasper, selbst einer der IOC-Granden, wertete das bayerische Bürgervotum gegen Olympia als deutliche Botschaft an die Ringe-Organisation. „Das ist ein schlechtes Zeichen. Vor allem ist es ein Misstrauen gegen das IOC. Die vielen Schlagzeilen über Sotschi und Katar haben sicher auch nicht geholfen“, sagte der Schweizer Boss des Internationalen Skiverbandes (FIS). „Weltmeisterschaften auszutragen ist kein Problem, aber sobald die Menschen Olympia hören, bekommen sie Angst.“ Im März hatten sich bereits die Bewohner des Schweizer Kantons Graubünden in einer Bürgerbefragung gegen Olympia in der Schweiz ausgesprochen.
Die massive Kritik aus verschiedenen Richtungen kann als Signal an IOC-Chef Bach gewertet werden, im Sinne von: Olympia müsse sich wieder auf sich selbst besinnen. Durch die Problemspiele 2014 in Sotschi und die Retortenspiele 2018 in Pyeongchang hat das vermeintliche Premium-Produkt Winterspiele schon jetzt Schaden genommen. Zudem hat das IOC durch die Absagen aus der Schweiz und Deutschland auf Jahre hinaus traditionelle Wintersportländer in den Alpen als mögliche Olympia-Gastgeber verloren. „Das IOC ist der Wahlverlierer, nicht der Sport in Deutschland“, resümierte Olympia-Gegner Ludwig Hartmann, seine „NOlympia“-Kollegin Katharina Schulze stellte fest: „Dieses „Mehr, schneller, höher, weiter“ ist nicht mehr zeitgemäß.“
Das IOC kann sich zwar daran festhalten, dass Oslo und Stockholm als Vertreter des traditionellen Wintersports den Sechskampf mit Krakau, Peking, Lwiw und Almaty um die Winterspiele 2022 aufnehmen - wirklich überzeugend ist diese Argumentation allerdings nicht.
Minister Friedrich will sich möglichst bald mit Bach über das Bewerbungsprozedere austauschen. Der neue IOC-Chef hatte in seinem Wahlkampf angekündigt, die Kriterien bei Olympia-Vergaben ändern zu wollen. So sollen Bewerbungen in Zukunft mehr auf die nationale Identität und Kultur des jeweiligen Gastgebers abzielen. „Für die olympische Bewegung ist es bedenklich. Wenn sich solche traditionellen Länder wie die Schweiz oder Deutschland als Ausrichter zurückziehen, ist dies eine gefährliche Entwicklung“, sagte Josef Fendt, Präsident des Internationalen Rennrodelverbandes (FIL).
Die Olympia-Bewerbung von Garmisch-Partenkirchen für die Winterspiele 1960 scheitert im ersten Wahlgang mit lediglich fünf erhaltenen Stimmen. Die Winterspiele finden im amerikanischen Squaw Valley statt.
Bereits im ersten Wahlgang um die Austragung der Olympischen Winderspiele 1992 belegt Berchtesgaden mit sechs Stimmen den letzten Platz und scheidet aus. Den Zuschlag für die Winterspiele bekommt das französischen Albertville.
Berlin scheitert bei der Abstimmung über den Olympia-Ausrichter 2000 in Runde zwei. Sydney sichert sich den Zuschlag für die Olympischen Sommerspiele.
Leipzig wird beim Rennen um das Ringe-Fest 2012 gar nicht erst zur Endrunde zugelassen. Am Ende setzt sich London durch.
München scheitert bei seiner Bewerbung um die Winterspiele 2018 nur knapp. Die bayerische Landeshauptstadt verliert das Wahlfinale gegen den südkoreanischen Favoriten Pyeongchang.
Nach einem klaren „Nein“ der Bürger zu einer weiteren Münchner Olympia-Bewerbung wird es keine Winterspiele 2022 in München geben. 1,1 Millionen stimmberechtigte Bürger sprechen sich mit 52,1 Prozent gegen eine Münchner Olympia-Bewerbung aus.
München 2022 war bereits der fünfte vergebliche deutsche Anlauf auf Olympia. Berchtesgaden schied beim Kampf um die Spiele 1992 in der ersten Runde aus, Berlin scheiterte bei der Abstimmung über den Olympia-Ausrichter 2000 in Runde zwei. Leipzig schaffte es bei der Vergabe des Ringe-Spektakels 2012 erst gar nicht zur Endrunde, und München selbst hatte das Wahlfinale um Olympia 2018 klar gegen den südkoreanischen Favoriten Pyeongchang verloren.
Nach der jüngsten olympischen Enttäuschung soll jetzt der Fußball Deutschlands Ruf als Organisationsweltmeister neu aufpolieren. DFB-Präsident Wolfgang Niersbach befürchtet durch das Olympia-Aus keine Auswirkungen auf die Kandidatur des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) für die EM 2024: „Da habe ich nicht die geringste Angst. Das ist keine Revolution, dass wir da zehn, zwölf neue Stadien bauen müssten. Da wird es allenfalls drauf ankommen, die Stadien zu modernisieren.“ Die Investition von Steuergeldern sei nicht nötig. Von soviel Gelassenheit können Vesper und Co. nur träumen.