Viele Fragen offen Viele Fragen offen: Tod von FCM-Fan Hannes S. bleibt ungesühnt
Haldensleben/Magdeburg - Kein Schuldiger, keiner, der die Verantwortung trägt. Nur das tragische Ergebnis eines Konflikts zwischen Fußballfans: Seit Montag ist klar, die Ermittlungen im Fall des im Oktober verstorbenen Hannes S., Fan des 1. FC Magdeburg, werden eingestellt.
Ein Blick zurück: Es ist kurz vor Mitternacht am Samstagabend des 1. Oktober 2016, als Hannes S. in Haldensleben auf die Regionalbahn 16431 in Richtung Magdeburg wartet. Der 25-Jährige trägt ein T-Shirt des Block U, der Ultraszene des 1. FC Magdeburg, sein Körper zieren mehrere Tattoos mit Bezug zum Fußball-Drittligisten.
FCM-Fan Hannes S. stirbt nach Sturz aus Regionalbahn 16431: Ermittlungen werden eingestellt
Er ist in Begleitung dreier Kumpels, auch sie sind FCM-Fans. Während die drei weiter hinten in den Zug steigen, steigt Hannes S. durch jene Tür, hinter der die 80-köpfige Fanszene des Magdeburger Erzrivalen Hallescher FC auf ihrer Rückreise vom Auswärtsspiel in Köln sitzt.
Die HFC-Ultras bemerken Hannes S. sofort, attackieren ihn verbal, fordern ihn auf, sein Shirt abzugeben. Unter Ultras gilt der Verlust von Fanszene-Klamotten als Schande. Der FCM-Anhänger gerät in Panik, zieht die Notentriegelung der Bahn und springt – kurz nachdem der Zug den Bahnhof verlassen hatte, aus der Tür. Alles geht rasend schnell.
So erzählte es schon kurz nach dem Vorfall ein Zeuge der MZ. Ein knappes halbes Jahr bestätigen Staatsanwaltschaft und die Ermittlungsgruppe nun diese Schilderung. Die Folgen des Sprungs sind erschütternd: Hannes S. stürzt, schlägt mit dem Kopf auf einen Stein und wird erst fast zwei Stunden später durch Zufall von einer Gruppe Jugendlicher gefunden. Die Kopfverletzungen sind schwer, am 12. Oktober erliegt Hannes S. seinen Verletzungen.
Eine neue Eskalationsstufe des dauerhaften Fan-Konflikts zwischen FCM und HFC-Fans ist erreicht, ein Mensch ist ums Leben gekommen. Die führenden Köpfe beider Fanszenen treffen sich und auch wenn ein Schuldeingeständnis von Seiten der Hallenser fehlt – so berichten es Beobachter – einigen sich beide Seiten: Die Drittliga-Derbys werden freiwillig ohne Gäste-Ultras auskommen. Auch für das Landespokal-Halbfinale im April in Halle ruft Block U auf, nicht in die Saalestadt zu reisen. Eine weitere Zuspitzung des Konflikts soll vermieden werden.
Die extra gegründete Ermittlungsgruppe identifiziert unterdessen 60 Zugfahrer der HFC-Fanszene und lädt diese für Befragungen vor. Entgegen aller sonstigen Gewohnheiten machen einige sogar aussagen, doch Erkenntnisse für einen Täter bringen diese nicht, Hannes S. sei ohne direktes Einwirken durch Dritte aus der Tür gesprungen, heißt es. Belegen könnten das die Videobilder des Zuges, doch die zeigen nur, dass die Kameras weit vor dem Vorfall aus der HFC-Gruppe heraus abgeklebt wurden. So bleiben die Zeugenaussagen und Obduktionsergebnisse, die sich gegenseitig bestätigen. Die Ermittlungen werden eingestellt.
Doch in diesem tragischen Fall es bleiben viele Fragen offen.
Fall tödlich verunglücktes FCM-Fan Hannes: Gutachten ergab, keine Mängel am Zug
Wieso fuhr der Zug weiter, nachdem Hannes S. die Tür per Notentriegelung öffnete? Hätte Hannes S. Überlebenschancen gehabt, wäre der Zug gestoppt und sofort Hilfe alarmiert worden? Laut Bahn hätte der Lokführer ein entsprechendes Signal bekommen oder der Zug sogar automatisch anhalten müssen.
Ein Gutachten des Eisenbahnbundesamts ergab, dass der Zug keine technischen Mängel aufwies. Die Polizei bestätigt zwar, den Lokführer vernommen zu haben, Ergebnisse wurden jedoch nicht bekannt. Unklar ist auch weiterhin, wieso die drei Begleiter sich nicht auf die Suche nach Hannes machten, nachdem sie am nächsten Halt von den HFC-Ultras aus dem Zug gedrängt wurden.
Die Staatsanwaltschaft vermutet, dass viele Beteiligten die Geschwindigkeit des Zuges unterschätzten – und damit auch mögliche körperliche Schäden in Folge des Sprungs. Dafür spricht auch die Schilderung eines Zeugens gegenüber der MZ, der berichtet, wie die HFC-Fanszene beim nächsten geplanten Umstieg in Magdeburg nicht drei Stunden auf die nächste Bahn Richtung Halle wartet, sondern sich am Hauptbahnhof der FCM-Stadt von einem Auto-Konvoi abholen lässt. Man habe erwartet, dass Hannes S. befreundete Magdeburger Ultras alarmiert hat und deshalb die lange Wartezeit gemieden, so schildert es der Zeuge.
Eine andere Frage lautet: Wieso waren die HFC-Ultras auf ihrer Rückfahrt aus Köln ohne Polizeibegleitung und auch ohne das Hallenser Fanprojekt unterwegs? Die Polizei verweist auf Personalknappheit und eine Sicherheitseinschätzung, die im Vorfeld auf besagter Reise keine Gefahr durch die HFC-Fangruppe diagnostizierte. Dennoch geriet die Gruppe laut eines Zeugen auf dieser Reise mehrfach mit anderen Fans und bei Gifhorn schließlich mit einem anderen Fahrgast aneinander.
Hierbei kam es sogar zu Handgreiflichkeiten, weshalb einzelne Hallenser durch die verständigten Beamten kontrolliert wurden und ihre Personalien abgeben mussten – ihre Fahrt anschließend jedoch ohne weitere Polizeibegleitung fortsetzen konnten.
Hannes S. - Erster toter 1. FCM-Fan seit 1990:
Auch die Rolle des Fanprojekts wurde nicht weiter beleuchtet. Eigentlich, so heißt es beim HFC, herrscht für Auswärtsspiele eine klare Rollenverteilung: das Fanprojekt begleitet die aktive Fanszene auf ihrer Anreise, die Fanbetreuung übernimmt die An- und Absprache rund ums Stadion. Doch nicht nur auf dieser Fahrt war das Fanprojekt in Person von Leiter Steffen Kluge und seinem Partner Uwe Striesenow nicht mit an Board. Immer wieder und auch nach dem Tod von Hannes S. kam es bei Auswärtsfahrten zu Ausschreitungen und Sachbeschädigung mit Beteiligung von HFC-Fans (Paderborn, Chemnitz, Frankfurt).
Aus HFC-Kreisen wird die fehlende Begleitung durch das Fanprojekt auch als möglichen Grund für Kluges Amtsenthebung genannt. Dem in der Szene beliebten Sozialpädagogen wurde vergangene Woche durch seinen Arbeitgeber, der Stadt Halle, mitgeteilt, dass er innerhalb der Stadtverwaltung versetzt wird.
Hannes S. ist der erste Fan seit 1990, der in Folge einer Auseinandersetzung sein Leben verlor. Antworten auf die gestellten Fragen könnten vielleicht klären, wieso es soweit kommen konnte. Wieso Hannes S. so lange keine Hilfe erhielt, als er mit schweren Kopfverletzungen am Bahngleis lag. Juristische Folgen wird der Fall jedenfalls keine mehr haben. (mz)