Interview zum Fall Hannes S. Verletzter FCM-Fan: Wie lässt sich nach Zug-Vorfall mit HFC-Fans eine Gewalt-Eskalation vermeiden
Halle (Saale) - Nach dem Tod von Hannes S. fürchten die Beteiligten eine Eskalation der Gewalt. Clemens Boisserée sprach mit Forscher Robert Claus von der Kompetenzgruppe „Fankulturen und Sport bezogene Soziale Arbeit“ (KoFaS).
Herr Claus, Hannes S. ist der dritte Fan in Deutschland, der nach Auseinandersetzungen starb. Wie Gewaltbereit sind die Fanszenen?
Robert Claus: Wir müssen hier vor allem differenzieren. Zwischen normalen Fangruppen kommt es immer seltener zu Gewalt. Die allermeisten Stadionbesucher und Fußballfans bekommen von solchen Vorfällen wenig direkt mit. Das Ganze bekommt eine andere Dynamik, wenn Ultragruppen zweier sowieso schon verfeindeter Fanszenen, wie beispielsweise Halle und Magdeburg, aufeinandertreffen. Zwischen denen kommt es immer wieder zu solchen Situationen, auch wenn man die genaue Anzahl der Vorfälle nicht beziffern kann. Es gibt eine enorm hohe Dunkelziffer. Solange die Polizei nicht direkt vor Ort ist, werden solche Geschehnisse fast nie zur Anzeige gebracht.
Wie kann es dazu kommen, dass rivalisierende Fangruppen aufeinander losgehen und es Verletzte oder sogar Tote gibt?
Robert Claus: Gerade An- und Abreisewege zu Spielen sind sehr sensibler Punkte. Dort treffen immer wieder verfeindete Fangruppen aufeinander und es kommt zu spontanen Gewaltausbrüchen. Deshalb werden die Verkehrswege vor Spielansetzungen auch zwischen den Verbänden, der Polizei und der Bahn koordiniert. Man hat das Problem erkannt, wird aber einzelne Vorfälle nie verhindern können.
Drohen nach so einem Ereignis wie nun zwischen HFC- und FCM-Fans entsprechende Racheakte?
Robert Claus: Die Vermutung ist nicht ganz falsch. Die Gefahr, dass danach eine Eskalationskette losgeht, ist tatsächlich da. Wir wissen aus Erfahrung, dass solche Vorfälle in der Regel nicht unbeantwortet bleiben – gerade in Fanszenen, die gewalttätige Fans in ihren Reihen haben, was bei Halle und Magdeburg jeweils der Fall ist. Das heißt aber natürlich nicht, dass etwas passieren muss. Gerade jetzt sind Institutionen wie die Fanprojekte, die Vereine und auch die Polizei gefragt zu vermitteln und die Lage zu deeskalieren.
Robert Claus, Jahrgang 1983, ist Soziologe und Fanforscher. Er war Mitglied der Ende 2015 eingestellten Kompetenzgruppe "Fankulturen und Sport bezogene Soziale Arbeit" (KoFaS) und Mitarbeiter am Institut für Sportwissenschaften der Universität Hannover. Im Rahmen seiner Arbeit beschäftigt sich Claus unter anderem mit dem Thema Fangewalt und Präventionsarbeit im Fußball.
Wie deeskaliert man denn in so einem Fall?
Robert Claus: Da geht es viel um Beziehungsarbeit. Im besten Fall haben Verein und Fanszene ohnehin einen guten Draht zueinander und man vertraut sich. Es muss jetzt vermittelt werden, dass eine gewalttätige Reaktion keine Lösung ist, nicht mal eine kurzfristige. Und dafür braucht es Gespräche. Unserer Erfahrung nach, zeigt sich in solchen Situationen, wie belastbar die Netzwerke und das Verhältnis zwischen den Beteiligten ist.
Mal aus der vermeintlichen Täterperspektive betrachtet: Ist man sich dort bewusst, dass so ein Vorfall der Schritt zu weit gewesen sein könnte?
Robert Claus: Wenn solche Gruppen aufeinandertreffen, geht es immer um Konkurrenz und Macht. Es geht darum, sich zu beweisen und zu zeigen: Wir sind gerade die stärkeren im Haus. Das kann eine Eigendynamik bekommen und ausarten zu physischer Gewalt und Bedrohung. Das heißt: Im Moment ist den Meisten erstmal wichtig, Hoheit und Macht über die Situation zu haben. Im Nachhinein, das wissen wir aus Interviews mit Beteiligten, wird Einzelnen dann schon klar, dass sie zu weit gegangen sind und die Situation nicht mehr in der Hand hatten.