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Matchball Der 1. FC Magdeburg will am Samstag in die 2. Liga aufsteigen

Von Anika Berger 20.04.2018, 22:01
In „Silkes Zolleck“ zapft Silke Grunert nicht nur zu den Heimspielen Bier für die FCM-Fans.
In „Silkes Zolleck“ zapft Silke Grunert nicht nur zu den Heimspielen Bier für die FCM-Fans. Anika Berger

Magdeburg - Wenn Silke Grunert an diesen Samstag im Juni 2007 denkt, kommen ihr immer noch die Tränen. Plötzlich ist es wieder da, das Gefühl von damals - das Gefühl, als der 1. FC Magdeburg beim Spiel gegen St. Pauli die letzte von drei Chancen verpasste, in die zweite Bundesliga aufzusteigen.

Fast elf Jahre später sitzt die 60-Jährige auf einer schlichten Holzbank im Biergarten ihrer Kneipe „Silkes Zolleck“, fingert eine Zigarette aus der halbleeren Packung, schließt die Augen und flüstert in sich hinein: „Wenn wir mal in der zweiten Liga sind.“

Aufstieg wäre für den FCM der größte Erfolg seit 1974

An diesem Samstag könnte er wahr werden, Silke Grunerts Traum. Dann kann der 1. FC Magdeburg mit dem Aufstieg den größten Erfolg der Vereinsgeschichte seit 1974 feiern.

Die Begeisterung darüber wird in Magdeburg aber noch gezügelt. So versuchte auch Trainer Jens Härtel das Siegerlächeln zu zähmen, das am Dienstag um 20.49 Uhr über seinen Mund huschte.

Gerade hatte der Schiedsrichter das Spiel gegen Carl Zeiss Jena abgepfiffen, da war es plötzlich da und nicht leicht im Zaum zu halten. Schließlich gilt es, die Konzentration hochzuhalten. Denn mindestens ein Schritt ist noch zu gehen.

Magdeburg zweifelt nicht mehr am Aufstieg

Ernsthafte Zweifel daran, dass der Aufstieg gelingt, hat wohl kaum noch jemand. So ließ sich Stürmer Christian Beck schon nach dem Sieg gegen Wiesbaden am vergangenen Wochenende hinreißen, zu sagen: „Wenn wir uns jetzt noch den Aufstieg versauen, können wir mit dem Fußball aufhören.“

Nur noch zwei Punkte – also ein Sieg oder zwei Unentschieden - muss der FCM in den verbleibenden vier Spielen der Saison sammeln. Schon am Samstag kann der Aufstieg beim Heimspiel gegen SC Fortuna Köln klargemacht werden.

„Natürlich wollen wir gleich den ersten Matchball verwerten und den Aufstieg gebührend zu Hause feiern“, sagt Jens Härtel.

Aufstieg am Samstag - Magdeburg wartet schon lange

Seit 1974 wartet die Stadt an der Elbe auf so einen Fußballerfolg. Damals holte sich der 1. FC Magdeburg den Europapokal der Pokalsieger. Unter Trainer Heinz Krügel, der die Mannschaft zwischen 1966 und 1976 trainierte und nach dem heute auch der Platz vor dem Stadion benannt ist, feierte der Verein goldene Zeiten.

Einer, der dabei war, ist Jürgen Sparwasser. Er schoss 1974 das entscheidende Tor zum Sieg der DDR-Auswahl gegen die BRD bei der Weltmeisterschaft. Der gebürtige Halberstädter verfolgt heute von seinem Wohnort in Hessen aus die Spiele des FCM. „Einmal Blau-Weiß, immer Blau-Weiß. Da hängt das Herz dran“, erklärt er am Telefon.

Dass es diesmal klappt, daran zweifelt er nicht. „Die Wende hat viele Vereine in den Ruin getrieben und Magdeburg hatte nun eine lange Lernphase. Die einzigen, die den Aufstieg von Anfang an richtig wollten, waren die Fans. Was sie auf die Beine stellen, ist sensationell. Die haben es verdient.“

FCM-Legenden wollen im Stadion den Aufstieg feiern

Fan und FCM-Legende zugleich ist auch Wolfgang „Paule“ Seguin. War er es doch, der am 8. Mai 1974 beim Europapokal der Pokalsieger gegen den AC Mailand nach einem Eigentor der Italiener das entscheidende 2:0 machte.

Der 72-Jährige, der heute in Stendal wohnt, hängt bis heute an dem Verein. „Ich bin und bleibe Blau-Weiß.“ Doch auch er ist noch zurückhaltend, sagt nur: „Ich bin sehr optimistisch.“ So optimistisch, dass Wolfgang Seguin schon einen Schritt weiter denkt: „Ich würde mich freuen, wenn sie mal in der ersten Liga sind. Aber wir träumen jetzt noch nicht so weit.“

Am Samstag verfolgt er das Spiel von der Tribüne aus. Ein seltsamer Tag werde das, weil am Morgen zuerst für die Beerdigung von FCM-Urgestein Rolf Tyll die halbe Mannschaft von 1974 zusammenkomme und die Kameraden von damals dann gemeinsam im Stadion den Aufstieg feiern wollen. „Jürgen Pommerenke, Manfred Zapf, Klaus Decker. Die, die können, kommen.“

FCM-Aufstieg wäre auch das Werk der Fans

Über 40 Jahre sind sie her, diese goldenen Zeiten. 40 Jahre, in denen auf den letzten FDGB-Pokalsieg 1983 Abstiege und eine Insolvenz folgten. 40 Jahre, in denen viele Fans ihrem Verein trotzdem treu blieben.

Einer von ihnen ist Uwe Märtens. Er war 12 Jahre alt, als der FCM als einzige DDR-Mannschaft überhaupt den Europapokal gewann. Seitdem geht es für ihn nicht mehr ohne den Verein. Märtens geht zu allen Heim- und möglichst vielen Auswärtsspielen.

Der große, kräftige Mann, der beruflich Baumärkte in ganz Deutschland umbaut, ist einer, der auch dann noch dem Verein treu bleibt, wenn es nicht gut läuft. Einer, der auch in Abstiegsjahren zu allen Auswärtsspielen fährt. Einer, der im Urlaub die FCM-Flagge dabei hat. Einer, der mit seiner 100 Mann starken Tippgemeinschaft Fußballreisen unternimmt - alle ausgestattet mit FCM-Schal, -Trikot und -Koffer.

FCM-Fans: Aufstieg ist der große Traum

Und Märtens hat sich sogar extra eine Brille mit dem Logo des 1. FC Magdeburg anfertigen lassen. Eigentlich trägt er die nur an Spieltagen. Seit drei Wochen setzt er sie nicht mehr ab. „Der Aufstieg ist mein großer Traum“, sagt er.

Uwe Märtens ist derjenige, der Kneipen-Betreiberin Silke Grunert mit dem Fußball-Virus angesteckt hat. „Er kam immer und hat erzählt. Irgendwann bin ich dann mal mitgegangen“, erinnert sich die hagere Frau mit den knallorangenen Haaren. Seitdem verpasst sie kein Heimspiel und ist oft auswärts dabei.

„FCM-Zone“ liest jeder, der über den Biergarten ihr Lokal betritt. Die holzvertäfelten Wände im Gastraum sind geschmückt mit FCM-Erinnerungen: Ein Foto von Enkelin Eni als Einlaufkind, FCM-Uhr und -Schal, ein aktuelles Mannschaftsbild mit allen Unterschriften und ein unterschriebenes Trikot, das Stürmer Christian Beck sogar persönlich vorbeigebracht hat - als Überraschung nach dem Aufstieg in die dritte Liga.

Wirtin der FCM-Kneipe fiebert am Samstag mit

„Silkes Zolleck“ ist für viele die FCM-Kneipe schlechthin. „Mutti“, wie Silke Grunert von anderen Fans oft genannt wird, hisst zu jedem Heimspiel die blau-weiße Fahne, holt den extra in Vereinsfarben eingefärbten Schnaps raus und bestellt einen Bierwagen, den sie auf dem Parkplatz vor dem kleinen Eckhaus positioniert.

Ihre Kneipe verlässt sie immer erst eine halbe Stunde vor Anpfiff mit einer Piccolo-Flasche Sekt, fährt die zwei Haltestellen bis zum Stadion und eilt auf die Tribüne. Dank eines selbst gemachten Liederbuches, kennt sie fast alle Fangesänge.

„Wir haben die schönsten Lieder“, sagt sie. Silke Grunert liebt die Gänsehaut, wenn Tausende singen, das Gemeinschaftsgefühl im Stadion, aber auch in ihrer Kneipe. „Wir waren hier schon 60 Leute und haben auf der Straße getanzt.“

Dass in der zweiten Liga nun wohl auch mehr „Fußballtouristen“ unter den Fans sein werden, ist es ihr wert: „Wir machen alles mit, solange wir noch können.“

Oberbürgermeister: Aufstieg wäre gut für Magdeburg

Dass eine Zweitliga-Mannschaft gut für Magdeburg ist, davon ist Oberbürgermeister Lutz Trümper überzeugt. „Fußball hat einen Werbeeffekt. Zweitliga-Spiele werden überregional zu sehen sein. Das macht die Stadt bekannter.“

An einer Aufstiegsparty werde gearbeitet. Der Umbau, der die MDCC-Arena zweitligatauglich machen soll, ist längst geplant.

Dort wird auch Silke Grunert am Samstag auf der Tribüne jubeln und singen. Wie immer wird sie bis kurz vorher noch zapfen. Die achtfache Menge an Bier hat sie für diesen Tag bestellt.

Doch nach dem Spiel will sie- anders als sonst - vielleicht nicht gleich wieder in ihre Kneipe stürmen, sondern sich an einem der Stände ein neu bedrucktes Zweitliga-Trikot kaufen.

„Alle sind kribbelig. Jetzt haben wir es verdient. Wenn es geklappt hat, dann hängen wir uns in den Armen und heulen.“ Diesmal wären es dann Freudentränen. (mz)

Fotos vom FCM sind in Magdeburg in der Bauzaungalerie der Wohnungsbaugenossenschaft Otto von Guericke zu sehen. Sie werden für wohltätige Zwecke versteigert.
Fotos vom FCM sind in Magdeburg in der Bauzaungalerie der Wohnungsbaugenossenschaft Otto von Guericke zu sehen. Sie werden für wohltätige Zwecke versteigert.
uli lücke
1974 gewann der FCM den Europapokal der Pokalsieger: links Jürgen Sparwasser, rechts Manfred Zapf.
1974 gewann der FCM den Europapokal der Pokalsieger: links Jürgen Sparwasser, rechts Manfred Zapf.
imago
Die Chancen stehen gut, dass die Magdeburger Fans an diesem Wochenende den Aufstieg in die zweite Liga feiern können.
Die Chancen stehen gut, dass die Magdeburger Fans an diesem Wochenende den Aufstieg in die zweite Liga feiern können.
björn possiencke