Jens Härtel 1. FC Magdeburg: Wie Trainer Jens Härtel sein Glück beim FCM gefunden hat

Magdeburg - Über eine Stunde vergeht, bis Jens Härtel zum ersten Mal kurz auf seine Armbanduhr schielt. Etwas ungeduldig schiebt er die Kaffeetasse auf dem majestätischen Rundtisch hin und her. So ein langes Interview ist für seine Verhältnisse etwas Besonderes. In der Vorzeige-Loge des Magdeburger Stadions hat er lange ausgehalten. Doch nun rückt das zweite Training des Tages immer näher.
„Ich brauche diese mediale Aufmerksamkeit nicht“, hatte er zu Beginn des Gesprächs erklärt. „Ich muss mich nicht jeden Tag im Fernsehen sehen.“ Sich selber sprechen hören? „Schrecklich“ für ihn. Und ziemlich sympathisch, so schön normal.
Auf den Straßen Magdeburgs wird Härtel erkannt. Andauernd. Von jedem. „Ob das ältere Frauen, jüngere Männer oder kleine Kinder sind - diese Stadt lebt den FCM“, sagt er, der Trainer des Klubs. „Ein bisschen ist es wie früher, der regionale Stolz ist zurück.“ Getreu dem Motto: „Das sind unsere Farben, das ist unser Verein, dafür stehen wir.“ Und dafür steht er, Jens Härtel, das Gesicht des Erfolgs.
Jens Härtel: "Ich bin einfach zufrieden"
Als der heute 47-Jährige noch tagsüber im Autohaus arbeitete und nach Feierabend den Fünftligisten Germania Schöneiche aus Brandenburg trainierte, hätte er sich solch einen Werdegang kaum träumen lassen. Elf Jahre ist das her. Mittlerweile hat Jens Härtel den schlafenden Riesen aus Magdeburg zum Leben erweckt.
2011 hat er seine Fußballlehrer-Lizenz gemacht - neben heutigen Trainergrößen wie Markus Weinzierl, Roger Schmidt oder Markus Gisdol. Der Mann mit den breiten Schultern aus Rochlitz in Sachsen hätte allen Grund, verdammt stolz auf sich zu sein. „Es war ja nicht abzusehen, dass sich das so entwickeln würde“, sagt er selbst. Trotzdem: „Stolz ist der falsche Ausdruck. Ich bin einfach zufrieden, dass ich bei meinen Stationen Fußspuren hinterlassen habe.“
Jens Härtel: „Da, wo ich im Moment bin, bin ich genau richtig“
Jens Härtel war Co-Trainer in Babelsberg, Chef beim Berliner AK und der U 19 von RB Leipzig. Seit 2014 arbeitet der frühere Abwehrspieler, seine beste Zeit hatte Härtel bei Union Berlin, in Magdeburg. Die Blau-Weißen hat er nach 25 Jahren zurück in den Profifußball geführt. Der Trainer und seine Mannen sorgten mit Platz vier in der vergangenen Drittliga-Saison bundesweit für Aufmerksamkeit.
Sogar die „Zeit“ widmete ihm ein ausführliches Porträt. Dort hieß es: „Trainer Jens Härtel könnte in der Bundesliga arbeiten, aber er hat ein Problem.“ Er komme aus dem Osten, würde dort trainieren, wo es „selten Sieger gibt“. Nur die Wahrheit, sagt Jens Härtel, ist: „Da, wo ich im Moment bin, bin ich genau richtig.“ Den großen Ruhm, die Bundesliga als Bühne zur Selbstdarstellung braucht dieser Mann nicht, um glücklich zu sein.
Und wenn ihm jemand anbieten würde, mit Ralph Hasenhüttl zu tauschen? Der wurde im Sommer immerhin neuer Cheftrainer bei RB Leipzig, dem neuen Erstligisten aus dem Osten. „Diesen Wunsch habe ich nicht“, sagt Jens Härtel. „Umso höher man kommt, desto mehr Geld fließt. Desto schwieriger wird es, weil einige Spieler in erster Linie an sich denken. Da wundere ich mich bei manchen jungen Kollegen schon, die gar nicht wissen, was sie erwartet. Der Druck ist viel höher.“
Jens Härtel: "Mein Glaube und meine Familie sind eine gute Basis"
Top-Trainer leben oft nah am Burnout. Manche zerbrechen an den harten Mechanismen des Fußball-Geschäfts. „Es ist wichtig, die Dinge im Privatleben abzufedern. Bei vielen Trainern scheitern Ehen, weil sie eine Fernbeziehung führen“, sagt Jens Härtel. „Man muss gucken, was einem wichtig ist, wo die Anker im Leben sind.“ Der 47-Jährige hat das längst erkannt. Er ist ausgeglichen, mit sich im Reinen. „Mein christlicher Glaube und meine Familie sind für mich eine gute Basis, um mein Leben auszurichten.“
Sein ältester Sohn fängt bald mit dem Studium an, der jüngere macht in zwei Jahren das Abitur. Seine Frau arbeitet seit März dieses Jahres ebenfalls in Magdeburg. Härtel hat in der Landeshauptstadt Sachsen-Anhalts eine kleine Wohnung. Doch das Haus der Familie steht im brandenburgischen Michendorf, südlich von Potsdam.
„Arbeitsam, fleißig und bodenständig“, wenn Mario Kallnik nach den Stärken seines Cheftrainers gefragt wird, sprudelt es nur so aus ihm heraus. „Er verkörpert diese Tugenden hervorragend.“ Der Manager hat Härtel 2014 an die Elbe gelotst, mit ihm den Wiederaufschwung aus der Regionalliga organisiert. Manchmal ein steiniger Weg. „Ich habe die Jungs am Anfang überfordert“, erkennt Jens Härtel im Blick zurück. „Ich wollte zu viel, dabei mussten wir uns einfach auf das Wesentliche konzentrieren.“
Jens Härtel: „Ich habe die Jungs am Anfang überfordert“
Seit seinem Amtsantritt hat Jens Härtel mit seinem Team eine Magdeburger Fußball-DNA entwickelt: robust, zweikampforientiert, emotional. Der FCM attackiert. Er kämpft. Nicht immer schön, aber oft erfolgreich. „Da ist es mir auch wurscht, dass unsere Spielweise nicht jedem gefällt“, erklärt Härtel. „Der FCM ist nun mal nicht Bayern München. Die Leute ticken hier anders und deshalb muss vielleicht auch der Fußball ein bisschen anders sein.“ Arbeiterfußball funktioniert in der Arbeiterstadt.
Und Jens Härtel, dessen Vertrag bei den Blau-Weißen bis zum Sommer 2017 gilt, sorgt dafür, dass alle schön auf dem Boden bleiben. 45 Punkte – so lautet auch vor dem Heim-Auftakt am Sonntag gegen Fortuna Köln wieder das Saisonziel. Sicherer Klassenerhalt. Dann weitersehen.
„Wir behalten die Realitäten im Auge“, sagt der FCM-Coach. „Ich weiß, dass es auch Trainerkollegen gibt, die mit der Trompete durch die Stadt laufen und große Ziele verkünden. Das können sie auch machen. Aber ich muss bei mir bleiben. Wenn ich etwas nicht fühle, merkt die Mannschaft das sofort.“ Authentizität ist ihm wichtig.
Jens Härtel: „Es gibt genug verrückte Leute in dieser Stadt"
Als er aufsteht, wirft Jens Härtel einen flüchtigen Blick in die MDCC-Arena. Noch ist sie menschenleer. Doch er weiß, dass sich das bald wieder ändern wird. „Das ist ja auch das, was diesen Verein ausmacht und warum er überhaupt noch existiert“, sagt er, „weil es genug verrückte Leute in dieser Stadt gibt, die sich mit dem FCM identifizieren.“
So wie er es tut. „Mir ist nie etwas leicht gefallen, mir hat nie jemand etwas auf dem Silbertablett serviert - weder als Spieler, noch als Trainer. Ich musste mir alles hart erarbeiten. Und dafür stehe ich“, sagt Jens Härtel und erhebt sich vom großen Rundtisch. Er wirkt glücklich. Endlich geht es wieder auf den Trainingsplatz. (mz)
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