Verstorbener FCM-Fan 1.FC Magdeburg-Fan Hannes verstorben: Wie geht es jetzt weiter?
Magdeburg/Halle (Saale) - Um 23.55 Uhr am Samstagabend steigt Hannes S. in Haldensleben in die Regionalbahn 16431. Er ist der 1. Oktober und der Fan des 1. FC Magdeburg ist auf dem Heimweg nach Barleben. Im Zug trifft er auf eine große Fangruppe des FCM-Erzrivalen Hallescher FC, es kommt zu einer Auseinandersetzung. Hannes S. betätigt die Not-Entriegelung, öffnet die Tür und stürzt aus dem fahrenden Zug. Durch den Aufprall erleidet er schwere Kopfverletzungen, denen er am Mittwoch im Magdeburger Klinikum erliegt.
Der Fall, der nun seinen traurigen Tiefpunkt fand, lässt bislang viele Fragen unbeantwortet.
Welche Auswirkungen hat der Vorfall auf die Rivalität der beiden Fanszenen?
Der Tod des FCM-Fan ist der Tiefpunkt einer ganzen Reihe von Vorfällen zwischen beiden Lagern in den vergangenen Jahren. Die HFC-Ultragruppe Saalefront solidarisierte sich mit Hannes S., nachdem seine lebensgefährlichen Verletzungen bekannt wurden. Am Mittwoch riefen die Ultras des 1. FC Magdeburg „zur Besonnenheit aller Clubfans“ auf, um „jegliche Verschärfungen der aktuellen Situation zu verhindern!“
Dennoch bereitet sich Polizei auf eine verschärfte Sicherheitslage für das nächste Drittliga-Derby vor. Am 26. November reist der HFC nach Magdeburg. „Wir sehen die Gefahr, dass es Magdeburger Fans geben könnte, die sagen: Auge um Auge, Zahn um Zahn“, so Frank Küssner, Sprecher der Polizeidirektion Nord. Dass es in den Fanlagern gäre, registriere man – dafür spreche auch die Agitation im Internet. „Ohnehin wäre die Partie ein Sicherheitsspiel – das gilt nun erst recht“, sagte Küssner. Es sei davon auszugehen, dass die reguläre Polizeieinsatzstärke – in der Regel knapp tausend Mann – an diesem Tag erhöht werde. Auch mit der Bundespolizei, die für die Sicherheit auf Bahnstrecken zuständig ist, werde es Absprachen geben.
Doch bereits vor dem Derby wird Sachsen-Anhalts Polizei möglicherweise gefordert. Im Vorfeld des eigentlich wenig brisanten Landespokalspiels des FCM bei Merseburg 99 am 12. November prüft die Polizei nach MZ-Informationen derzeit, ob die Sicherheitsvorkehrungen verstärkt werden müssen. Statt dem Revier könnte die übergeordnete Polizeidirektion Halle die Einsatzführung übernehmen – wie auch bei Sicherheitsspielen. Von Seiten der Polizei heißt es dazu, „die Gespräche mit dem Veranstalter laufen.“ Doch für eine abschließende Entscheidung sei es derzeit zu früh. Eine Rolle für den Einsatz wird auch spielen, ob und wo der Hallesche FC an dem Wochenende zum Pokalspiel antritt.
Wie konnte es überhaupt soweit kommen?
Hannes S. stieg in Begleitung dreier Bekannter in die Bahn, allerdings durch verschiedene Türen. Laut einem Polizeisprecher konnten die Drei bei ihrer späteren Vernehmung nicht sagen, weshalb das Opfer aus dem Zug stürzte. Erschwert werden die Ermittlungen auch durch ungenaue Videoaufnahmen aus der Regionalbahn. Diese zeigen nicht den Bereich, in dem Hannes S. die Tür öffnete. Daher ist weiterhin unklar, ob der Barlebener selbst sprang oder sogar gestoßen wurde.
Wieso hielt die Bahn nicht sofort an, nachdem die Tür bei laufender Fahrt geöffnet wurde?
Auch dieser zweite wichtige Aspekt ist noch unklar. Die Deutsche Bahn und der Triebwagen-Hersteller Siemens Mobility gaben an, dass der Zugführer beim Betätigen der Not-Entriegelung ein Signal bekommt und der Zug sofort zum Halten kommt. In diesem Fall fuhr die Bahn jedoch ohne Unterbrechung in Richtung Magdeburg weiter. Eine Gruppe junger Männer fand das Opfer erst eine Stunde später zufällig im Gleisbett.
Zwei Fans starben zuvor bei Fan-Auseinandersetzungen in Deutschland: 1982 der Werder Bremen-Fan Adrian Maleika, 1988 Frank Bayer, ein Anhänger des 1. FC Saarbrücken.
Bei Fußball-Veranstaltungen in Sachsen Anhalt wurden in den letzten Jahren folgende Gewalttaten durch die Polizei registriert:
2014: 80 Rohheitsdelikte, 65 Körperverletzungen, sieben Landfriedensbrüche
2015: 111 Rohheitsdelikte, 88 Körperverletzungen, 14 Landfriedensbrüche
2016 (bisher): 79 Rohheitsdelikte, 52 Körperverletzungen, zwölf Landfriedensbrüche.
Welche Rolle spielten die HFC-Fans?
Die Gruppe von über 50 Leuten, laut Polizei überwiegend Mitglieder der HFC-Ultragruppen Saalefront und Domfalken Merseburg, war auf dem Heimweg vom Auswärtsspiel in Köln. Hannes S. attackierten sie, weil er nach MZ-Informationen ein T-Shirt der Magdeburger Fangruppe „Block U“ trug. Die Polizei beschreibt sie als „gewaltbereiten Mob“.
Nachdem der 25-Jährige aus dem Zug stürzte, soll die Gruppe verhindert haben, dass die Begleiter telefonisch Hilfe alarmieren konnten. Allerdings sollen sie auch einen zweiten FCM-Fan vom Sturz aus der Bahn abgehalten haben. Die Polizei hat mittlerweile 28 Zuginsassen identifiziert. Ob sich Teile der HFC-Fangruppe später verantworten müssen, ist völlig unklar. Sollten Täter ermittelt werden, wäre laut Staatsanwaltschaft Magdeburg eine Anklage wegen gefährlicher Körperverletzung mit Todesfolge möglich. Die Polizei ermittelt zurzeit gegen Unbekannt.
Wieso waren die HFC-Fans ohne Polizei unterwegs?
Nach MZ-Informationen war die Gruppe sowohl auf der Hin- als auch auf der Rückfahrt ohne Polizeibegleitung unterwegs. Auch das Fanprojekt Halle, das die Fahrten ansonsten begleitet, war aufgrund fehlenden Personals nicht anwesend.
Polizeilich auffällig wurde die Gruppe auf dem Rückweg bereits im niedersächsischen Gifhorn. Dort sollen Einzelpersonen einen Fahrgast geschlagen haben, woraufhin die örtliche Polizei alarmiert wurde und Personalien aufnahm. Laut zuständiger Bundespolizei habe sich die Lage jedoch schnell beruhigt, weshalb auf eine Begleitung verzichtet worden sei.
Wie laufen die Ermittlungen jetzt weiter?
Zuständig ist eine siebenköpfige "Ermittlungsgruppe Hannes", bestehend aus Beamten der Polizeidirektionen Nord in Magdeburg, Süd in Halle, sowie der Bundespolizei. In Zusammenarbeit mit der Staatsanwaltschaft wurde entschieden, keine weiteren Details zu den laufenden Ermittlungen mehr zu veröffentlichen. Allerdings sucht die Polizei weitere Zeugen, die den Vorfall im Zug zwischen Wolfsburg und Magdeburg beobachteten. Hinweise nimmt die Polizeidirektion Nord entgegen: 0391-546-5196.