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Zu Unrecht in Psychatrie Zu Unrecht in Psychatrie: Gustl Mollath mit Verfassungsbeschwerde erfolgreich

Von Elke Richter 05.09.2013, 13:01
Gustl Mollath
Gustl Mollath dpa Lizenz

Karlsruhe/DPA - Gustl Mollath hat mit seiner Beschwerde vor dem höchsten deutschen Gericht Erfolg gehabt. Nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts saß der Nürnberger in den vergangenen zwei Jahren verfassungswidrig in der Psychiatrie. Das Gericht gab am Donnerstag einer Beschwerde des 56-Jährigen statt. Die Karlsruher Richter werfen ihren Kollegen in Bayern vor, ihre Entscheidungen nicht gut genug begründet, sondern sich mit knappen, allgemeinen Aussagen begnügt zu haben. Zehn Tage vor der Landtagswahl nutzte die Opposition diese Steilvorlage zu einem erneuten Angriff auf Justizministerin Beate Merk (CSU).

Mollath war 2006 auf gerichtliche Anordnung in die Psychiatrie eingewiesen worden, weil er seine Frau misshandelt und Autoreifen zerstochen haben soll. Er selbst sah sich stets als Opfer eines Komplotts seiner Ex-Frau und der Justiz, weil er auf Schwarzgeldgeschäfte bei der HypoVereinsbank hingewiesen habe.

Mollath wird von seiner Frau wegen Körperverletzung angezeigt. Er soll sie im August 2001 mindestens 20-mal geschlagen haben. Außerdem habe er sie gebissen, getreten und bis zur Bewusstlosigkeit gewürgt. Mollath bestreitet die Vorwürfe.

Die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth erhebt Anklage wegen gefährlicher Körperverletzung und Freiheitsberaubung.

Die Hauptverhandlung beginnt vor dem Amtsgericht Nürnberg. Ein Gutachter attestiert Mollath gravierende psychische Störungen.

Mollath erstattet Strafanzeige gegen seine Frau, die als Vermögensberaterin bei der HypoVereinsbank arbeitet, weitere Mitarbeiter und 24 Kunden der Bank. Vorwurf: Steuerhinterziehung, Schwarzgeld- und Insidergeschäfte. Die Anzeige wird später von der Staatsanwaltschaft abgelegt, weil die Angaben zu unkonkret seien.

Ein Gutachter bescheinigt Mollath wahnhafte psychische Störung und paranoide Symptome. Das Landgericht Nürnberg spricht ihn wegen Schuldunfähigkeit frei, ordnet aber seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, weil er eine Gefahr für die Allgemeinheit darstelle.

Der Bundesgerichtshof verwirft Mollaths Revision.

Die bayerische Justizministerin Beate Merk (CSU) sagt im Landtag, Mollaths Strafanzeige wegen der Bankgeschäfte seiner Frau sei „weder Auslöser noch Hauptanlass noch überhaupt ein Grund für seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gewesen“. Seine Vorwürfe hätten keinen begründeten Anfangsverdacht ergeben.

Ein interner Revisionsbericht der HypoVereinsbank aus dem Jahr 2003 wird publik. Danach traf ein Teil von Mollaths Vorwürfen zu. Die Freien Wähler fordern Merks Rücktritt und einen Untersuchungsausschuss.

Merk will den Fall Mollath komplett neu aufrollen lassen und ordnet einen Wiederaufnahmeantrag wegen möglicher Befangenheit eines Richters an.

Die Staatsanwaltschaft beantragt die Wiederaufnahme wegen Tatsachen, die dem Gericht bei der Verurteilung 2006 noch nicht bekannt gewesen seien. Entscheiden muss das Landgericht Regensburg.

Im bayerischen Landtag tritt der Untersuchungsausschuss zusammen, der den Fall durchleuchten soll.

Das Landgericht Regensburg lehnt eine Entscheidung über Mollaths Unterbringung vor Prüfung des Wiederaufnahmeantrags ab.

Der Untersuchungsausschusses geht zu Ende. SPD, Grüne und Freie Wähler bescheinigen Merk und den Ermittlern schwere Fehler und verlangen die Entlassung der Ministerin. CSU und FDP sehen keine Fehler bei Merk.

Nach dem Landgericht Regensburg weist auch das Oberlandesgericht Nürnberg einen Befangenheitsantrag von Mollaths Anwalt gegen einen Richter ab.

Das Landgericht Regensburg weist die Anträge zur Wiederaufnahme des Mollath-Prozesses zurück.

Das Oberlandesgericht Nürnberg hebt die Regensburger Entscheidung auf. Das Gericht ordnet die Wiederaufnahme des Strafverfahrens sowie die sofortige Freilassung Mollaths an.

Anfang August wurde er zwar entlassen, dennoch hielt das Verfassungsgericht die nachträgliche Überprüfung der Entscheidungen für wichtig - „denn diese waren Grundlage eines tiefgreifenden Eingriffs in sein Grundrecht auf Freiheit der Person“. Das Oberlandesgericht Nürnberg hatte angeordnet, dass das Verfahren neu aufgerollt werden muss und Mollath frei kommt.

Mollaths Verfassungsbeschwerde richtete sich gegen Beschlüsse des Landgerichts Bayreuth und des Oberlandesgerichts Bamberg aus dem Jahr 2011, nach denen er weiter in der Psychiatrie bleiben musste. Nach Ansicht der Karlsruher Richter verletzen diese Mollaths Grundrecht auf Freiheit in Verbindung mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. „Die in den Beschlüssen aufgeführten Gründe genügen nicht, um die Anordnung der Fortdauer der Unterbringung des Beschwerdeführers zu rechtfertigen.“ Der Fall wurde deshalb zur erneuten Entscheidung ans Oberlandesgericht Bamberg zurückverwiesen.

Die Karlsruher Richter bemängelten unter anderem, dass die Gerichte in Bayreuth und Bamberg nicht konkret genug dargelegt hätten, warum von Mollath auch künftig eine Gefahr ausgehe. Auch sei Entlastendes zugunsten Mollaths nicht erkennbar berücksichtigt worden (Az.: 2 BvR 371/12).

Rechtsanwalt Michael Kleine-Cosack, der Mollath vor dem Verfassungsgericht vertreten hatte, übte harte Kritik an Ministerin Merk und der Justiz in Bayern. Die Richter hätten Mollath mit „unverantwortlicher Leichtfertigkeit“ eingewiesen und trotz neuer Erkenntnisse mit „stupendem Starrsinn an ihren Fehlentscheidungen festgehalten“. Der Beschluss aus Karlsruhe sei aber auch eine „Ohrfeige“ für Merk. Sie habe zu lange an den unhaltbaren Unterbringungsentscheidungen festgehalten.

Auch die bayerische Opposition reagierte prompt: Die Entscheidung sei eine „schallende Ohrfeige“ für Merk und die CSU, hieß es von der SPD. Grünen-Fraktionschef Martin Runge kritisierte: „Auch kam es in den Verfahren vor bayerischen Gerichten zu krachenden Rechtsfehlern bis hin zur Rechtsbeugung.“ Die Freien Wähler sprachen von einer Klatsche für die bayerische Justizministerin.

Merk selbst bewertete die Entscheidung des Verfassungsgerichts hingegen als Beweis für das Funktionieren des Rechtsstaats. „Richter kontrollieren Richter. Auch in diesem Zusammenhang hat man gesehen, dass diese Kontrolle der Gerichte funktioniert“, sagte sie.

Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) will wegen des Falls Mollath nun so schnell wie möglich schärfere Vorschriften für die Zwangsunterbringung in der Psychiatrie. „Das Risiko, zu lange zu Unrecht in der psychiatrischen Unterbringung zu landen, ist zu hoch.“