Zeitgeschichte Zeitgeschichte: Staatsfeind Zirkel
Halle (Saale)/MZ. - Stefan Gruhner war noch nicht ganz im Schulalter, als sich sein Heimatland aus der Weltgeschichte verabschiedete. Unter Stasi-Bespitzelung und Grenzregime, Schere im Kopf und Mangelwirtschaft gelitten haben kann der 26-Jährige aus dem Landkreis Saale-Ohrla kaum. Und doch tut es Gruhner weh, dass die Symbole der zweiten deutschen Diktatur die zwei Jahrzehnte seither einfach überlebt haben. Da tragen junge Leute T-Shirts mit dem Stasi-Logo und der Aufschrift "Einzelkämpfer", das DDR-Staatsemblem mit Hammer, Zirkel und Ährenkranz schmückt Trainingsjacken und Umhängetaschen ziert gar das Unrechtszeichen des Sowjetstaates. Für Stefan Gruhner und seine Freunde von der Jungen Union in Thüringen sind das unhaltbare Zustände. Auf dem Parteitag der CDU letzte Woche in Leipzig brachten sie den Antrag ein, das geltende Verbot von Hakenkreuz, Hitlergruß und SS-Runen auf die Verbreitung und Verwendung von Symbolen aus der Zeit der DDR auszuweiten. Betroffen sein sollten erstmal nur "besonders verbrecherische" Zeichen der DDR-Zeit. Eine richtige Liste gibt es noch nicht, doch das Logo der Stasi gehöre auf jeden Fall zu den Symbolen, die "aufgrund der Grausamkeiten, für die sie stehen", verboten werden sollten, meint Conrad Clemens, Chef der Jungen Union in Berlin.
Clemens war acht, als das Regime in Ost-Berlin seinen letzten Atem aushauchte. Manfred Kriegel schon 45. Aber der Mann aus Rehmsdorf bei Zeitz sieht die Sache genauso wie der Jungchristdemokrat aus Berlin Neukölln. "Eine Diktatur, bleibt eine Diktatur, egal ob rot oder braun", glaubt er. Nicht nur die Uniformen der beiden Diktatoren hätten sich sehr geähnelt, "sondern auch der Umgang mit andersdenkenden Menschen war derselbe", sagt der einstige Reichsbahn-Stellwerksmeister, der nach einem Fluchtversuch in Halle und Bautzen im Gefängnis saß. "Ich habe die sozialistische Diktatur am eigenen Leib erfahren", sagt er und fragt sich oft, wie "ich all die schönen Ossi-Partys die überall gefeiert werden, meinen Enkeln erklären kann". Für Kriegel ist die Angelegenheit klar. Wer den untergegangenen Osten so feiert, die alte FDJ-Bluse noch einmal anzieht, um freien Eintritt abzustauben, feiert das Unrecht, verklärt und verherrlicht das DDR-System. "Darüber freuen sich unbelehrbare Altgenossen wie Margot Honecker in Chile", schimpft Manfred Kriegel.
Aber nicht mehr lange, wenn es nach der CDU geht. Die hat ihre Bundestagsfraktion auf Antrag ihrer Jugendorganisation beauftragt zu prüfen, welche Möglichkeiten es gibt, gegen die Ikonen des Realsozialismus vorzugehen. Auch ein Verbot von NVA- und SED-Logo müsse diskutiert werden, findet Conrad Clemens. Dabei könnten Verbreitung und Verwendung von FDJ-Hemden, NVA-Hosen oder Kampfgruppen-Mützchen ja einfach mit einer Geldstrafe geahndet werden. Wehret den Anfängen: DDR-Nostalgie könne harmlos sein, aber es müsse auch klare Grenzen geben.
Die gab es schließlich schon zu DDR.-Zeiten, gerade was Verbreitung und Verwendung von allerlei Symbolen anbelangt. Die Schwurfinger in den Farben der US-Flagge etwa erinnern heute noch eine ganze Generation daran, wie schnell so ein linientreuer Lehrer die mühsame Näharbeit eines ganzen Abends mit einer stumpfen Papierschere von der Jeansjacke getrennt hat. Überhaupt Jeansjacke: Als hätten die Gruhners und Clemens’ schon in den 70ern regiert, galt der Bann, der demnächst die Eins-Strich-kein-Strich-Jacke aus dem Erbe der NVA treffen soll, damals den klassenfeindlichen Produkten aus dem Hause Levi Strauss und Wrangler.
Ein großes, gemütliches Gefühl von Heimat stellt sich da bei Michael Woizik ein, der in Staßfurt einen Laden ausschließlich für die Hinterlassenschaft der Arbeiter- und Bauernrepublik betreibt. Auf 5 000 Quadratmetern bietet der gebürtige Hallenser Baumwoll-Fahnen und Nylon-Kittelschürzen, Ata-Scheuermittel aus volkseigener Herstellung, Kinderjüpchen aus dem VEB Kiwa Ebersbach, Pittiplatsch-Puppen, Ersatzteile für den Kleincomputer KC85 und wattierte NVA-Tarnhosen an. Verherrlichung? Verklärung? Woizik ist sich keiner Schuld bewusst. "Ich habe meine Jugend in diesem Land verbracht", sagt er, "und daran werde ich mich ja wohl noch erinnern dürfen." Die DDR habe schlechte Seiten gehabt, das wisse jeder, der in ihr gelebt habe. "Aber dass man deshalb nicht über die positiven Dinge reden darf, die es auch gab, glaube ich nicht."
Die Kunden des 37-Jährigen, der dank einiger großer Funde an alten DDR-Waren den Sprung in die Selbstständigkeit schaffte, sehen das so ähnlich. Blödsinn sei ein Verbot, meint eine Frau. Wo anfangen, wo aufhören, sagt ein Mann. "Das hatten wir doch gerade erst, dass alles verboten wird, was nicht ins Raster passt", glaubt ein Dritter, bekannte Muster wiederzuerkennen.
Die DDR und ihre Symbole, sagt Michael Woizik, seien wahrscheinlich nur ein Ablenkungsmanöver. Aller paar Jahre tauche die Idee auf, aller paar Jahre verschwinde sie auch wieder. "Da können sich mal alle richtig aufregen", argwöhnt er, "dann guckt wenigstens keiner dorthin, wo wirklich was Wichtiges passiert."
Es ist ein Kampf um die Deutungshoheit, der da in nicht unbedingt größer werdenden Abständen geführt wird. Die DDR ist verschwunden, aber manchen in den Köpfen ihrer ehemaligen Bürger immer noch viel zu präsent. "Also führt man einen Krieg gegen Bilder", glaubt ein Nutzer im Forum eines großen Versandhändlers für Motiv-T-Shirts.
Das große Missverständnis, dem vehemente Verbotsforderer wie der Historiker und Stasi-Gedenkstättenchef Hubertus Knabe erliegen, besteht in der Annahme, dass 18-Jährige mit dem Tragen eines "Konsum"-T-Shirts ein Bekenntnis zum SED-Staat ablegen wollen. Doch wo Diskogänger zu einem Puhdys-Klassiker oder den Beats des DJ-Duos Ostblockschlampen tanzen, geht es nicht um Politik und Weltanschauung, nicht um die Sehnsucht nach Stacheldraht und Pionierappell. Sondern um die Art Spaß, die gebürtige Westdeutsche gleichen Alters haben, wenn der Discjockey den Schlagerpop von Andreas Dorau auflegt und sie im Che-Guevara-T-Shirt die Tanzfläche stürmen.
Che geht, das dem Logo der terroristischen Rote Armee Fraktion nachempfundene Motiv "Ring Deutscher Makler" auch. Aber ein Hemd mit der Aufschrift "Deutsche Volkspolizei", ein Duschbad namens "Held der Arbeit" und die Bekennerfahne "Ich fahre Trabant" nicht? Doch, vielleicht auch, denn selbst die engagiertesten Verfechter eines Verbotes haben bisher noch nicht festgelegt, welche Symbole als "besonders verbrecherisch" gelten sollen. Wobei diese in der CDU kursierende Formulierung natürlich nahelegt, dass sie, stammen sie nur aus der DDR, alle mehr oder weniger "verbrecherisch" sind.
Ob das reicht, vom alten Signet der Ost-CDU bis hin zum noch heute aktuellen "D" des Fußballvereines Dynamo Dresden, das einstmals das Logo der Sportvereinigung der DDR-Sicherheitskräfte inklusive Stasi war, wirklich konsequent alles zu verbieten, scheint unsicher. Und eine Klärung wird wohl auch noch Jahrzehnte Zeit brauchen: Das Tragen des Symbols der FDJ etwa wurde mit dem Verbot der Organisation durch die Bundesregierung im Sommer 1951 in allen Ländern der alten Bundesrepublik unter Strafe gestellt.
Auf dem Gebiet der früheren DDR gilt das Verbot bis heute nicht. Ob das Tragen oder Zeigen des FDJ-Symbols unter Strafe steht, weiß denn auch niemand so richtig, wie das Bundesamt für Verfassungsschutz auf Nachfrage des Betreibers einer der DDR gewidmeten Internetseite klarstellte: "Inwieweit sich die Verbotsverfügung aus dem Jahre 1951 auch auf die FDJ der ehemaligen DDR bezieht und das Verwenden von Symbolen der FDJ strafbar ist, ist bisher gerichtlich nicht abschließend geklärt."