Gegen Wohnknappheit Wustermark bei Berlin: Neues Leben im Olympischen Dorf von 1936

Wustermark - Mehr als 80 Jahre haben tiefe Spuren hinterlassen: Der Putz fällt von den Wänden, viele Fenster sind mit Brettern zugenagelt und manch eine Kachel ist zerbrochen. Doch das Speisehaus der Nationen, eines der Hauptgebäude im Olympischen Dorf von 1936, ist mit seiner geschwungenen Front und den großen Terrassen noch gut zu erkennen. Künftig sollen hier 100 Wohnungen angeboten werden, die angesichts der Wohnungsknappheit in Berlin auch dringend benötigt werden.
Wustermarks Bürgermeister zum Bauvorhaben: „Wir haben über Jahre hart gekämpft.“
Wustermarks Bürgermeister Holger Schreiber (parteilos) spricht von der Krönung seines Schaffens als Gemeindeoberhaupt. „Wir haben über Jahre hart gekämpft.“ Seit rund 25 Jahren zerfielen die noch stehenden Häuser auf dem 50 Hektar großen Gelände am westlichen Stadtrand von Berlin. Ihm war klar, dass das Dorf nur mit Führungen, ohne eine wirtschaftliche Nutzung nicht zu halten ist. Nun soll mit einer denkmalgerechten Sanierung und dem Bau neuer Reihenhäuser genau an den Stellen, wo vor Jahrzehnten abgerissene Sportheime standen, neues Leben ins Olympische Dorf einziehen. 2019 oder 2020 könnten die ersten Bewohner einziehen, hofft Schreiber.
Die Nazis hatten das Quartier 1934/36 als Unterkunft für bis zu 4000 Athleten errichtet. Von Anfang an war vorgesehen, dass nach den Spielen die Wehrmacht das Gelände nutzt. So wurde das Speisehaus der Nationen gleich so gebaut, um es später als Lazarett zu nutzen. Nach dem Zweiten Weltkrieg übernahm die sowjetische Armee das Gelände, riss einen Teil der Häuser ab und errichtete stattdessen mehrere Plattenbauten. Seit die Truppen 1994 Deutschland verließen, lag das Dorf brach.
Olympischen Dorf von 1936: Mehrere Bauten auf dem parkähnlichen Gelände erhalten
Doch mehrere Bauten sind auf dem parkähnlichen Gelände erhalten, darunter auch die historische Turnhalle oder das Schwimmbad. „Das war eine Bauqualität, die gehalten hat“, sagt Staatssekretär Gunther Adler aus dem Bundesbauministerium am Dienstag beim ersten Spatenstich. Beachtlich sei auch, dass das Dorf damals innerhalb von nur zwei Jahren hochgezogen worden sei.
Der Bund unterstützt den ersten Bauabschnitt, bei dem 450 Wohnungen auf rund einem Fünftel des Geländes entstehen, als national bedeutsames Stadtentwicklungsprojekt. Der Projektentwickler Terraplan will rund 50 Millionen Euro investieren, die Wohnungen dann vermieten und verkaufen. „Wir brauchen mehr Wohnraum in Deutschland“, sagt Adler. Die Preise will der Investor moderat halten: Mieten von weniger als zehn Euro pro Quadratmeter seien das Ziel.
Die „positive Story“ der Olympischen Spiele von 1936 soll im Vordergrund stehen
An die dunklen Seiten der Olympischen Spiele von 1936 wird bei diesem Spatenstich nicht erinnert. Dass die Nazis den Sport für Propaganda nutzten, sich friedfertig zeigen und ihre Rassenideologie verstecken wollten, wird nicht thematisiert. Hier solle die „positive Story“ der Olympischen Spiele von 1936 im Vordergrund stehen, sagt Bürgermeister Schreiber, der mittelfristig bis zu 3000 neue Einwohner für möglich hält. Immerhin: Auf dem Gelände ist auch das Jesse-Owens-Haus erhalten und zeigt eine Ausstellung. Der erfolgreichste Sportler der Spiele von 1936 hatte als Schwarzer und Publikumsliebling die Rassenpolitik der Nazis ad absurdum geführt.
Georg Frank, Dezernatsleiter im Landesamt für Denkmalschutz, sagt: „Wir haben immer darauf hingewiesen, dass die Gebäude aus den 1930er Jahre erhalten bleiben.“ Dies sei in den Gesprächen mit Kommune und Investor aber auch unstrittig gewesen. Er gehe davon aus, dass den zukünftigen Bewohnern bewusst sei, auf welch historisch bedeutsamem Gelände sie dann wohnten.
Aber wie war das damals, als die Sportler dort wohnten? Fritz Wandt kennt das Gelände ganz genau. Der heute 93-Jährige hatte damals als zwölfjähriger Junge Autogramme von den Sportlern gesammelt. Stolz zeigt er sein kleines Büchlein mit 60 Unterschriften von Sportlern aus aller Welt. Das Autogramm-Sammeln sei damals streng verboten gewesen, erinnert er sich. Aber er habe sich nicht dran gehalten. Von Sportlern aus Indien oder auch der Schweiz war er beeindruckt. Heute sei er froh, dass das Gelände wieder genutzt werde. „Ich habe mir immer gewünscht, dass das Olympische Dorf mal aus dem Dornröschenschlaf wachgeküsst wird.“ (dpa)