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Wunschkind von Leihmutter ausgetragen Wunschkind von Leihmutter ausgetragen: Der hohe Preis des Glücks

Von Christina Wittich 13.10.2018, 15:28
Deutsche Gesetze zwingen Paare mit unerfüllbarem Kinderwunsch in die Illegalität der internationalen Leihmuttervermittlungsszene.
Deutsche Gesetze zwingen Paare mit unerfüllbarem Kinderwunsch in die Illegalität der internationalen Leihmuttervermittlungsszene. imago

Halle (Saale) - Es gibt eine Tochter, die hat drei Mütter. Von der einen hat sie ihr dunkelbraunes Haar und ihre weiche Haut. Von der anderen das Gefühl der Geborgenheit, den Klang eines Herzens. Von der Dritten bekommt sie ein Zuhause, Liebe, zwei Brüder und eine Schwester. Hier lebt auch ihr Vater.

Die Tochter heißt Leela. In zwei Monaten wird sie acht Jahre alt, und Leela ist nicht ihr richtiger Name. Leelas Existenz ist zurückzuführen auf menschliches Kalkül. Das Mädchen wurde von einer indischen Leihmutter ausgetragen und in Neu Delhi zur Welt gebracht. Ihre biologische Mutter ist ebenfalls Inderin. Doch Leelas soziale Mutter ist eine zierliche Deutsche Mitte 50.

Bilder stammen aus den Akten der indischen Klinik, die Leela gezeugt hat

Leela, ihr Vater und ihre deutsche Mutter sitzen an einem langen Holztisch in einer 11.000-Seelen-Gemeinde im Westen Deutschlands. Auf dem Tisch liegen die Fotos zweier Frauen im Sari. Die Bilder stammen aus den Akten der indischen Klinik, die Leela gezeugt hat.

Matthias Becker ist ein hagerer Mann Mitte 40, der sagt, es sei eine Bauchentscheidunge gewesen, dieses Kind zu bekommen. Er möchte nicht erkannt werden, ebenso wenig seine Frau, die hier Sandra heißen soll. Um Leela nach Hause zu holen, haben sie sich strafbar gemacht. Ginge es nach deutschem Recht, dürfte Leela nicht am Tisch sitzen.

Tut sie aber. Sie ist ein aufgewecktes Kind, das seine eigene Geschichte kennt. „Wenn ich das den Großen sage, dass ich drei Mamas habe, dann lachen die nur“, sagt sie. „Aber wieso ich drei Mamas habe, das weiß ich auch nicht so genau.“

Eltern haben sich beraten lassen von einem Psychologen

Die Eltern seufzen kurz. Sie haben sich beraten lassen von einem Psychologen. Der riet von Geheimhaltung ab. Um sich mit sich selbst wohlzufühlen, müssen Kinder um ihre Herkunft wissen. Also machen die Beckers mit, wenn Leela fremden Frauen sagt: „Die Mama, die hat mich ja gar nicht geboren. Ich habe drei Mamas.“

Die Dienste einer Leihmutter in Deutschland in Anspruch zu nehmen, ist illegal. „Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer es unternimmt, bei einer Frau, welche bereit ist, ihr Kind nach der Geburt Dritten zu überlassen, eine künstliche Befruchtung durchzuführen oder auf sie einen Embryo zu übertragen.“ Die Drohung richtet sich an Ärzte. Leihmutter und Eltern bleiben straffrei.

Probleme erwachsen, wenn sie das Kind als ihr eigenes Baby nach Deutschland bringen

Probleme erwachsen ihnen allerdings, wenn sie das Kind als ihr eigenes Baby nach Deutschland bringen. Deutschland erkennt beispielsweise von indischen Leihmüttern geborene Kinder deutscher Wunscheltern nicht als Deutsche an. Die Botschaft stellt dem Kind keine Papiere aus. Das Kind ist damit staatenlos und kann das Land nicht verlassen.

In genau diese Situation war auch Familie Becker geraten. Erst Monate nach ihrer Geburt empfing Sandra Becker ihre indische Tochter am Flughafen. So lange hatte es gedauert, bis sie einen Weg gefunden hatten, das Mädchen aus dem Land zu bringen. Zuletzt hatte sie Leela als Neugeborenes gesehen. Zwei Monate nach der Geburt musste Sandra Becker zurück nach Deutschland. Dort warteten ihre leiblichen Kinder. Ihr Mann blieb noch etwas länger und besorgte eine Nanny und eine Wohnung. Alle zwei Wochen flog er danach immer wieder für ein paar Tage nach Indien. „Das kann sich ein Gesetzgeber nicht anmaßen, die Menschen so leiden zu lassen“, sagt Matthias Becker knapp.

„In unserer globalisierten Welt gibt es Möglichkeiten, die deutschen Einschränkungen zu umgehen.“

Wegen Fällen wie diesem hat es sich Rechtsanwalt Thomas Oberhäuser zum Ziel gesetzt, die Gesetzeslage zu ändern. Seine Aufgabe besteht darin, dem Kind die Einreise zu ermöglichen und die Vaterschaft zu bestätigen. Schwieriger sei es, „die Wunschmutter auch als Mutter anerkennen zu lassen“, sagt er. In den USA geschieht das durch eine Gerichtsentscheidung, die in Deutschland bestätigt werden muss. „In unserer globalisierten Welt gibt es Möglichkeiten, die deutschen Einschränkungen zu umgehen.“

Für das Geld, das sie erhält, unterzieht sich die Leihmutter einer Hormonbehandlung. Sie stimuliert den eigenen Zyklus und bereitet ihren Körper auf eine Schwangerschaft vor. In den meisten Fällen setzen die behandelnden Ärzte ihr ein bis zwei befruchtete Eizellen einer anderen Frau ein. Eine rechtliche Absicherung: Es ist schwieriger, Ansprüche auf ein Kind zu erheben, das nicht verwandt ist. Direkt nach der Geburt gibt sie das Baby ab.

Das enge Korsett des Embryonenschutzgesetzes

Das enge Korsett des Embryonenschutzgesetzes führt dazu, dass in Deutschland offiziell keine Frau das Kind für jemand anderen austrägt. Stattdessen findet ein reger Tourismus statt in Länder Europas, Asiens oder in die USA. Je transparenter das Verfahren, desto aufwendiger und teurer ist es. Ethik kostet. Im Internet werden die Angebote teils aggressiv beworben.

Matthias Becker nahm einen Kredit auf, um sich sein Kind leisten zu können. Insgesamt mehr als 130.000 Euro habe er am Ende bezahlt, um Leela in sein Leben zu holen. 25.000 Euro sollte die Leihmutter bekommen. Die Beckers stockten auf 40.000 Euro auf. Jedes Jahr reist Matthias Becker nach Indien, um die Frau zu besuchen. Jedes Mal bringt er ihr Geld mit. „Das ist auch für unser Gewissen“, sagt seine Frau.

Leelas Leihmutter hatte einen Monat vor Termin per Kaiserschnitt entbunden

Leelas Leihmutter hatte einen Monat vor Termin per Kaiserschnitt entbunden. 20 Minuten später lag das Baby in den Armen seiner deutschen Mutter. Durch Zufall trafen die Beckers die Inderin ein paar Tage später noch einmal auf dem Krankenhausflur. Eine Krankenschwester dolmetschte deren Frage, ob sie das Kind einmal anschauen möchte, um Abschied zu nehmen. Sie wollte.

Inzwischen dürfen Wunscheltern ihre Kinder nicht mehr in Indien in Auftrag geben, wenn die Leihmutterschaft in ihrem eigenen Land verboten ist. Immer wieder gab es Berichte über Frauen, die ihren Vertrag nicht einmal lesen konnten und ihn dennoch unterschrieben. Und Probleme mit Eltern, die ihre Kinder nicht abholten. So betrachtet hatte Familie Becker noch Glück.

Anwalt würde am liebsten das amerikanische Modell in Deutschland eingeführt sehen

Anwalt Thomas Oberhäuser würde am liebsten das amerikanische Modell in Deutschland eingeführt sehen: Agenturen werben, untersuchen und vermitteln Leihmütter und Eizellspenderinnen. „Wenn die Frau wirklich in der Lage ist, frei zu entscheiden, dann ist es schwer, zu sagen, dein freier Wille ist weniger wert als unsere Grund- und Wertvorstellung“, sagt er.

Leela Becker hat am Ende das Land mit dem Pass eines anderen deutschen Kindes verlassen. Plötzlich gab es ein indisches Mädchen in dem kleinen deutschen Ort. Offiziell weiß niemand von dessen Herkunft. Auf dem Amt gab Sandra Becker an, die Mutter zu sein, niemand fragte genauer nach. Zwei Jahre lang habe sie sich nicht ins Rathaus getraut, sagt sie, weil sie sich geschämt habe, so offensichtlich gelogen zu haben. Enge Freunde und die Familie kennen die Wahrheit. Ansonsten antworten die Beckers nur vage, sie hätten ein Kind adoptiert. Sie leben ein offenes Geheimnis.