Erinnerungen Winter: Wie die DDR durch eine Eisfront 1978/79 lahmgelegt wurde
Halle (Saale) - Der Winter macht um Sachsen-Anhalt momentan einen großen Bogen. Weihnachten fihl eher zu mild aus. Doch vor genau 40 Jahren sah es ganz anders aus. Den Jahreswechsel 1978/79 werden die Menschen, die ihn bewusst erlebt haben, wohl nie vergessen. Sieben Meter hoch türmten sich etwa auf Rügen die Schneewehen. Die Versorgung der Bevölkerung geriet in Gefahr.
Erinnern Sie sich noch?
Winter 1978/79: Insel Rügen für gut eine Woche abgeschnitten
Innerhalb weniger Stunden fielen die Temperaturen von milden fünf auf minus 20 Grad. Auf der Insel Rügen, auf der rund 3000 Urlauber ihre Weihnachtsferien verbrachten, erstarrte im Laufe des 29. und 30. Dezember 1978 für rund eine Woche das öffentliche Leben. Straßen wurden unpassierbar, rund 40 Dörfer waren nicht mehr erreichbar, Telefon- und Stromleitungen brachen unter der Last der Schneemassen.
Bis zu sieben Meter hohe Schneewehen türmten sich auf den Straßen. Die Bewohner mussten aus der Luft mit Brot und Decken versorgt werden. Der Winter vor 38 Jahren wurde im Norden und Osten Deutschlands zum schlimmsten seit dem Krieg.
Sibirische Kälte im Winter 1978/79: DDR-Industrie kam zum Erliegen
Wie ein Blizzard überzog die Eisfront mit sibirischer Kälte zunächst den Norden und später den gesamten Osten Deutschlands. Züge blieben für Tage im Schnee stecken. Die Braunkohletagebaue um Leipzig – Lebensader der DDR-Industrie – kamen fast vollständig zum Erliegen, unzählige Schweine und Rinder verendeten in der Kälte. „Dieser Winter damals, der hat uns kalt erwischt“, erinnerte sich ein Bergmann aus dem Braunkohlewerk Röblingen (Mansfeld-Südharz) später.
Ein Bergmann aus Röblingen erinnert sich an den Winter 1978/79 in der DDR: „Es war ein Wettlauf mit der Zeit“
Der Abraum war hart wie Beton, in Waggons fror die Kohle sofort wieder fest. Tausende Studenten, Landwirte und Soldaten mussten helfen, mit Düsentriebwerken wurden Gleise und Waggons aufgetaut. „Es war ein Wettlauf mit der Zeit“, so der Bergmann - und mit der Parteiführung im Nacken, nachdem im Regierungsviertel das Licht ausgegangen war.
Winter 1978/79: Die DDR versinkt im Schnee
Lokführer Erwin Heger, der im Juli 2016 im Alter von 87 Jahren verstarb, hatte sich 2011 in einem MZ-Gespräch an den Jahrhundertwinter erinnert. Damals sei er mit seinem Personenzug zwischen Aken und Köthen im Schnee steckengeblieben.
Winter in der DDR: Der „größte Feind des Sozialismus“
„Die Strecke war im Winter sowieso schwierig zu fahren“, sagte er. An jenem Tag aber habe sein Zug samt Passagieren drei Stunden festgesessen, bis ihn drei aneinander gekoppelte Loks herausziehen konnten. Der Winter – der „größte Feind des Sozialismus“ – brachte für Erwin Heger noch andere Herausforderungen.
So musste er mit einer Dampflok zwei Tage lang das Krankenhaus in der Dessauer Landstraße in Aken – heute eine Einrichtung der Arbeiterwohlfahrt – sowie eine Halle des Magnesitwerkes beheizen. Das Heizhaus war angesichts von minus 20 Grad ausgefallen.
Notstromaggregate im Einsatz: In Halle fuhren im Winter 1978/79 nur 40 Prozent der Busse
In Halle (Saale) und Umgebung fuhren zeitweise nur 40 Prozent der Busse, weil der Diesel gelierte. Bäckereien standen still, weil ihnen Strom fehlte. Im Kreiskrankenhaus Bernburg mussten Notstromaggregate eingesetzt werden.
Die Versorgung mit Wasser, Strom und Wärme war quasi überall im heutigen Sachsen-Anhalt unterbrochen. Die „Freiheit“ schrieb damals, Anfang Januar 1979: „Zu vorübergehendem Totalausfall der Wasserversorgung kam es im Südteil des Kreises Wittenberg, im Kreis Naumburg, in Teilen der Stadt Quedlinburg sowie in elf Gemeinden des Kreises Nebra.“
Für die Wirtschaft war der Eiswinter 1978/79 ein schwerer Rückschlag. Mindestens fünf Menschen starben in der DDR (17 Tote waren es in der BRD), wie viele Menschen tatsächlich umgekommen sind, ist bis heute unklar.
Die Leiche eines Mannes wurde erst im Mai 1979 nach dem Abtauen der Schneemassen gefunden. Die Rüganer können die Katastrophe bis heute nicht vergessen. „Ich hatte mit dem Leben abgeschlossen“, erinnert sich zum Beispiel Birgit Rau.
DDR-Führung verkannte das Ausmaß des Katastrophen-Winters 1978/79
Besonders dramatisch: Als viele Rüganer bereits ums Überleben bangten, verkannte die DDR-Führung noch lange das Ausmaß der Katastrophe. Erst am 3. Januar schickte sie Panzer auf die Insel Rügen, die eine Woche von Bahn-, Schiffs- und Straßenverkehr abgekoppelt war.