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Winnenden-Prozess Winnenden-Prozess: Amoklauf möglicherweise einem Videospiel nachempfunden

Von Gabriel Dominguez 23.11.2010, 18:04
Bei dem Amoklauf hatte der 17-jährige Tim K. am 11. März 2009 in der Realschule in Winnenden und bei seiner anschließenden Flucht 15 Menschen und dann sich selbst erschossen. (FOTO: DPA/ARCHIV)
Bei dem Amoklauf hatte der 17-jährige Tim K. am 11. März 2009 in der Realschule in Winnenden und bei seiner anschließenden Flucht 15 Menschen und dann sich selbst erschossen. (FOTO: DPA/ARCHIV) dpa

Stuttgart/dapd. - Die Tat sei ähnlich wie in einem derVideospiele abgelaufen, die der Amokläufer Tim K. jahrelang gespielthabe, sagte sein bester Freund am Dienstag auf Nachfrage desVorsitzenden Richters im Prozess gegen den Vater von Tim K. vor demLandgericht Stuttgart. In Spielen wie «Counter-Strike», die der17-jährige Täter seit der siebten Klasse oft stundenlang gespielthabe, gehe es unter anderem darum, Türen aufzumachen, zu schießenund Geiseln zu nehmen. Dabei seien die Lieblingswaffen des17-Jährigen - ein Maschinengewehr und eine Beretta-Pistole - ähnlichder Tatwaffe gewesen, fügte der 18-Jährige hinzu, der mit Tim K.seit der zweiten Klasse befreundet war. Am Nachmittag hatte dieStaatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren gegen die Betreuerin derFamilie von Tim K. unter anderem wegen des Verdachts derFalschaussage eingeleitet.

Der Vater von Tim K. muss sich seit Mitte September vor Gerichtverantworten, weil er laut Anklage seinem Sohn Zugriff auf eineerlaubnispflichtige Schusswaffe sowie Munition ermöglicht hat. Der17 Jahre alte Schüler hatte am 11. März 2009 bei einem Amoklauf inWinnenden und seiner anschließenden Flucht in Wendlingen 15 Menschenund anschließend sich selbst getötet. Viele der Opfer starben durchKopfschüsse. Die Tatwaffe hatte er aus dem Schlafzimmer der Elternentwendet.

Zwtl.: «Tim war regelrecht süchtig nach Videospielen»

Der 18-Jährige Freund betonte, Tim K. sei beim Videospielen«richtig aufgegangen». Er habe bei seinen Spielfreunden oft damitangeben, dass er der beste Spieler sei, weil er seine Gegner imSpiel oft mit einem Kopfschuss getötet habe. In einer polizeilichenVernehmung vom März 2009, mit der der Vorsitzende Richter RainerSkujat den Zeugen während der Vernehmung konfrontierte, hatte derFreund zudem angegeben, Tim K. sei in der neunten und zehnten Klasseregelrecht süchtig nach Gewaltvideospielen gewesen.

Der Freund beteuerte, er habe von der Amoktat nichts gewusst.Seinen Worten zufolge hat Tim K. keine Hinweise darauf gegeben, dassirgendetwas nicht stimme. Sogar einen Tag vor der Bluttat, als erden Amoktäter zum letzten Mal traf, sei ihm nichts Außergewöhnlichesaufgefallen.

Zwtl.: Widersprüche über den Zugang zum Waffentresor

Der 18-Jährige verwies bei seiner Vernehmung zudem auf einenBesuch im Hause des Angeklagten zwischen 2006 und 2007, bei dem ersich die Waffen des Vaters aus einem im Wohnzimmer stehendenWaffentresor ansehen durfte. Allerdings machte er widersprüchlicheAussagen darüber, wer den Waffentresor aufmachte. Während derpolizeilichen Vernehmung von März 2009 soll er ausgesagt haben, TimK. habe ihm «richtige Waffen» zeigen wollen und habe den Tresorgeöffnet. Vor Gericht konnte sich der 18-Jährige jedoch nicht mehran diese Details erinnern.

Zwtl.: Betreuerin nimmt belastende Aussage zurück

Am Nachmittag hatte die Betreuerin der Familie des Amokläufersihre frühere Zeugenaussage zurückgenommen, die Eltern seien überMordfantasien ihres Sohnes informiert gewesen. Unter Tränen sagtedie ehrenamtliche Helferin, die die Familie des Amokläufers nochMonate nach der Tat betreute, sie habe sich erst nach der Vernehmungam 11. November wieder daran erinnert, dass die Eltern von denMordfantasien ihres Sohnes erst am 4. August 2009, also rund fünfMonate nach der Tat, aus einem psychiatrischen Gutachten erfahrenhätten. Eine Kopie dieses Gutachtens habe sie von den Eltern von TimK. bekommen und zusammen mit anderen Akten aus dem Prozess bis heuteaufbewahrt. Mit der Übergabe der Akten hätten die Eltern ihrEntsetzen und ihr Zorn über die Falschaussagen im Gutachten zumAusdruck bringen wollen, sagte die Betreuerin.

Die Staatsanwaltschaft leitete daraufhin ein Verfahren wegenversuchter Strafvereitelung und des Verdachts der Falschaussagegegen die Frau ein. Die Frau müsse entweder bei ihrer ersten oderbei ihrer zweiten Aussage die Unwahrheit gesagt haben, sagte dieStaatsanwaltschaft zur Begründung. Zudem sollte die Wohnung derNotfallseelsorgerin von der Polizei nach relevanten Akten durchsuchtwerden.

Zwtl.: Befangenheitsantrag gegen Psychiater angenommen

Zuvor hatte die Kammer einen Befangenheitsantrag der Verteidigunggegen einen psychiatrischen Sachverständigen für begründet erklärt.Der Chefarzt der Kinder- und Jugendpsychiatrie des KlinikumsStuttgart, der mit der Erstellung eines Persönlichkeitsprofils desAmokläufers beauftragt war, wurde somit vom Prozess ausgeschlossen.Hintergrund für den Antrag war, dass der Psychiater entgegen einerVereinbarung mit der Staatsanwaltschaft zur Erstellung desGutachtens eines der Opfer des Amoklaufs psychologisch betreute. DieVerteidigung hatte erklärt, dieser Vorgang lasse Zweifel an derUnparteilichkeit und Unbefangenheit des Chefarztes aufkommen. DasGutachten sollte darüber Aufschluss geben, ob der Angeklagte denAmoklauf oder ein ähnliches Tötungsdelikt hätte vorhersehen könnenbeziehungsweise müssen.

16 Blumen - zur Erinnerung an die Opfer und den Täter von Winnenden (FOTO: DPA)
16 Blumen - zur Erinnerung an die Opfer und den Täter von Winnenden (FOTO: DPA)
dpa