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Windgetriebene Frachtschiffe Windgetriebene Frachtschiffe: Flettners Rotor

Von FRANK GROTHELÜSCHEN 06.08.2010, 15:28

Halle/MZ. - "Da brüllen wir ein dreifaches Hurra! auf die Buckau, das Erzeugnis deutschen Erfindergeistes, ein dreifaches Hurra! auf Flettner, den Erbauer, und machen unserer Erregung in dem Deutschlandlied Luft", notiert der Reporter der "Hamburger Nachrichten". Viele der Augenzeugen sind sich sicher, die Zukunft des Schiffbaus vor sich zu haben. Die Geschichte weiß es besser: Für Jahrzehnte bleibt das Rotorschiff des Anton Flettner eine kuriose Fußnote der Seefahrt. Nun aber, angesichts von Klimawandel und knapper werdender Ölressourcen, greifen Experten das Patent wieder auf.

1923 erfährt Flettner, ein umtriebiger Erfinder, von den Versuchen des Göttinger Strömungsforschers Ludwig Prandtl. Dieser hat rotierende Zylinder im Windkanal vermessen und ist auf verblüffende Auftriebswerte gestoßen, deutlich mehr als bei einer Flugzeugtragfläche.

Flettner ist fasziniert und lässt sich das Phänomen erklären: Bläst der Wind gegen einen ruhenden Zylinder, etwa einen Schornstein, teilt sich der Luftstrom gleichmäßig und fließt um beide Seiten gleich schnell. Versetzt man aber die Säule mit einem Motor in Rotation, bewegt sich die eine Zylinderseite mit dem Luftstrom, die andere dem Luftstrom entgegen. Die Folge: Auf der einen Seite fließt die Luft deutlich schneller als auf der anderen. Dadurch entsteht wie ähnlich bei einer Flugzeugtragfläche ein Sog: Links bildet sich ein Unterdruck, rechts ein Überdruck. Dadurch verspürt der rotierende Zylinder einen kräftigen Schub - im Prinzip zehn Mal mehr als ein gleich großes Segel. Allerdings muss der Zylinder laufend von einem Elektromotor in Schwung gehalten werden, sonst gibt es keinerlei Vortrieb. Also: Nicht etwa der Wind dreht die Zylinder, es ist ein Motor.

Flugs meldet der Erfinder die Idee als "Flettner-Rotor" zum Patent an. Dann lässt er am Berliner Wannsee ein Spielzeugschiff zu Wasser - ausstaffiert mit einem 50 Zentimeter hohen, von einem Uhrwerk gedrehten Papierzylinder. Später rüstet er ein altes Segelschiff auf Rotoren um: Die "Buckau" erhält zwei 16 Meter hohe und knapp drei Meter dicke Stahlblechzylinder, in Drehung versetzt von 15-PS-Elektromotoren.

Ende 1924 folgt die Jungfernfahrt. Bei idealem Wind stoppt der Kapitän den Hauptmotor und setzt die Zylinder in Bewegung. Sofort nimmt die Buckau Fahrt auf und kommt auf sieben Knoten - mehr als vorher mit den Segeln. Über Nacht ist Flettner berühmt. Manche rechnen damit, dass binnen Jahresfrist die halbe Handelsflotte mit den genialen Zylindern ausstaffiert ist.

Während die "Buckau" für Schaufahrten genutzt wird, lässt die Reichsmarine ein Schiff bauen, das die Wirtschaftlichkeit des Flettner-Rotors beweisen soll: Die "Barbara" trägt drei Aluminiumrotoren, die die als Hauptantrieb dienenden Dieselmotoren unterstützen. Ab 1926 transportiert das Schiff Stückgut auf dem Mittelmeer. Die Bilanz ist positiv: Der Zusatzantrieb beschleunigt das Schiff von 10 auf 13,5 Knoten, verbraucht pro Stunde aber nur zwei Kilogramm Treibstoff.

Dann kommt die Weltwirtschaftskrise. Die Reichsmarine vermag das Rotorschiff weder zu betreiben noch zu verchartern. Die Barbara kommt unter den Hammer, ihre Rotoren werden demontiert. Als gewöhnlicher Frachter befährt sie noch 40 Jahre lang die Weltmeere. "Technisch hat alles vorzüglich funktioniert", sagt Claus Wagner, pensionierter Ingenieur von der Hamburger Werft Blohm + Voss. "Was den Erfolg des Rotorschiffs verhindert, ist der Beginn des Ölzeitalters."

Heute aber, angesichts von Klimawandel und steigenden Ölpreisen, könnte Flettners Patent vor einer Renaissance stehen. Auf einigen Booten dreht sich zu Testzwecken wieder ein Rotor. Und zurzeit erprobt der Windenergiehersteller Enercon sein "E-Ship 1" - ein 130 Meter langes und mit vier jeweils 27 Meter hohen Segelrotoren ausgestattetes Schiff, der große und wuchtige Windrad-Komponenten transportieren und dabei bis zu 40 Prozent Treibstoff sparen soll.

Ein ähnliches Patent hat die Hamburger Firma SkySails entwickelt: einen Zugdrachen, der das Schiff hinter sich herzieht. 300 Meter hoch in der Luft fliegt der Drachen Schlangenlinien und bewegt das Schiff kräftig nach vorn. Gelenkt wird der Drachen von einem Autopiloten unterhalb des Schirms. Das Potenzial scheint enorm. Würde man 60 000 Schiffe mit SkySails ausrüsten, ließen sich angeblich pro Jahr 150 Millionen Tonnen CO einsparen.

Ob sich die Kosten von einigen 100 000 Euro pro Drachen rechnen, dürfte vor allem vom Ölpreis abhängen. Wirksamer politischer Druck fehlt, es ist kein Gesetz in Sicht, das die Reeder dazu veranlasst, die CO-Emissionen ihrer Schiffe zu senken.