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Freie Sicht Wie DDR-Pilot Heinz-Dieter Kallbach vor 35 Jahren im Guinness-Buch landete

Am 23. Oktober 1989 flog Pilot Heinz-Dieter Kallbach eine ausrangierte Interflug-Maschine nach Stölln. Obwohl der Flug ihm einen Eintrag in das Gunness-Buch brachte, stand dieser lange auf der Kippe.

Von Jeanette Bederke Aktualisiert: 11.06.2024, 16:38
Heinz-Dieter Kallbach, Pilot, zeigt ein schwarz-weiß Foto vom 23.10.1989, das ihn und die damalige Bürgermeisterin von Stölln, Sybille Heling, zeigt.
Heinz-Dieter Kallbach, Pilot, zeigt ein schwarz-weiß Foto vom 23.10.1989, das ihn und die damalige Bürgermeisterin von Stölln, Sybille Heling, zeigt. Foto: ZB

Bad Saarow/Stölln - Es war keine Not-, sondern eine echte Punktlandung. Am 23. Oktober 1989 brachte Pilot Heinz-Dieter Kallbach eine ausrangierte Interflug-Maschine sicher nach Stölln. Der tollkühne Flieger landete damit auch im Guinness-Buch der Rekorde.

Wer die 35 Jahre alten Filmaufnahmen betrachtet, hält unwillkürlich den Atem an: Da landet eine mächtige IL-62 der DDR-Fluggesellschaft Interflug auf einer viel zu kurz wirkenden, holperigen Graslandebahn auf dem Segelflugplatz am Gollenberg in Stölln (Havelland). Kann sie rechtzeitig zum Stehen gebracht werden?

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Erst nachdem die riesige Staubwolke verflogen ist, wird sichtbar: Die Maschine ist heil, den Insassen nichts passiert.

„Hätten wir gebremst, hätten sich Räder und Flugzeug in den Boden gegraben, wir uns vielleicht überschlagen. Wir mussten mit minimaler Geschwindigkeit aufsetzen und deshalb schon in der Luft den Umkehrschub aktivieren“, erzählt Heinz-Dieter Kallbach, der damals hinter dem Steuer saß und mit drei weiteren Besatzungsmitgliedern das Flugzeug sowjetischer Bauart punktgenau landete.

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Flieger-Legende Kallbach: „Wir brauchten freie Sicht und etwas Gegenwind.“

„Wir brauchten freie Sicht und etwas Gegenwind. Das passte am 23. Oktober“, sagt der tollkühne Pilot von damals, mit mittlerweile 83 Jahren.

Seine Fluglizenz galt bis 2020. Damit war er wohl der dienstälteste Flugkapitän Deutschlands. Heute lebt er in einer Seniorenresidenz in Bad Saarow (Oder-Spree). Ausbilder an Flugsimulatoren in Strausberg (Märkisch-Oderland) und Berlin-Schönefeld ist er aber immer noch.

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Die Interflug-Maschine sollte in Stölln den Flugpionier Otto Lilienthal ehren

Zu DDR-Zeiten konnten sich Kommunen um ausrangierte Interflug-Maschinen bewerben, erinnert sich Kallbach. So tat es auch Stölln, jenes Örtchen im Havelland, von dem aus Flugpionier Otto Lilienthal Ende des 19. Jahrhunderts etliche Flugversuche gestartet hatte. Bei seinem letzten war er dort 1896 abgestützt und gestorben. Um ihn zu ehren, sollte ein Flugzeug als Museum her.

„Vorsitzender des damaligen Otto-Lilienthal-Komitees war der Generaldirektor der Interflug“, erinnert sich Kallbach, der selbst damals Chefpilot der IL-62-Staffel bei der DDR-Fluggesellschaft war. Er wurde mit der Aufgabe betraut. Die Maschine für einen Transport von Berlin-Schönefeld erst auseinander- und in Stölln wieder zusammenzubauen, wurde als zu teuer abgelehnt.

Landebahn war zu kurz: Flugzeug muss um acht Tonnen leichter werden

Also blieb nur der Luftweg. Knackpunkt: Die IL-62 braucht normalerweise eine 2500 Meter lange Betonpiste zum Landen, in Stölln gab es aber nur die 850 Meter Wald-und-Wiesen-Landebahn. Kallbach, früher auch Testpilot für diesen Flugzeugtyp, stellte physikalische Berechnungen an.

„Das passte zunächst hinten und vorne nicht. Die Maschine war mit 83 Tonnen einfach zu schwer“, sagt er. „Acht Tonnen mussten ausgebaut werden - die hinteren Triebwerke, das Stützfahrwerk mit dem schweren Getriebe, die Ballastbehälter unter dem Cockpit.“

Er habe mit der Aktion gegen sämtliche Luftfahrtvorschriften verstoßen. Es gab viele einmalige Sondergenehmigungen, über die der erfahrene Pilot noch heute staunt.

Kallbach: „Das passte zunächst hinten und vorne nicht."

Während andere ihn für verrückt erklärten, nahm der in der Lausitz aufgewachsene Sohn einer Arbeiterfamilie die Herausforderung an. Nicht ohne Vorsichtsmaßnahmen: Die Punktlandung am 23. Oktober 1989 war der immerhin dritte Versuch. Zuvor hatte zweimal das Wetter nicht mitgespielt.

„Das hat Kallbach damals schon genial gemacht. Er ist ein mutiger, kluger Typ, aber kein Draufgänger. Er weiß genau, was er tut“, lobt Elmar Giemulla, Experte für Luftverkehrsrecht an der Technischen Universität Berlin. Die Aktion war so spektakulär, dass Kallbach damit im Guinness-Buch der Rekorde landete. „Nach mir hat das ja keiner mehr versucht“, sagt der 83-Jährige.

Kallbachs Erlebnisse als Pilot füllen mittlerweile ein ganzes Buch. Denn die spektakuläre Flugzeug-Landung bei Stölln war längst nicht seine einzige tollkühne Aktion.

„Mayday über Saragossa“ sind die Erinnerungen an seine Zeit als Pilot für die Fluggesellschaft Germania. Als er im Jahr 2000 einen vollbesetzten Ferienflieger von Teneriffa nach Berlin zurückfliegen wollte, war ein potenzieller Selbstmörder im Cockpit aufgetaucht:

Ein Mann würgte Kallbach, um vollbesetzten Flieger zum Absturz zu bringen

Der würgte den Piloten, um die Boing 737 zum Absturz zu bringen. Trotz minutenlangen Kampfes und mit schweren Verletzungen landete Kallbach die Maschine sicher.

Von sich reden machte der gebürtige Essener auch ein Jahr später, als er einen DC-3-Rosinenbomber von Coventry nach Berlin überführte. Echte Notlandungen hatte Kallbach übrigens nie, abgesehen von zweimal brennenden Triebwerken. Oder einem Motorausfall ganz am Anfang seiner Piloten-Laufbahn, als er mit 18 Jahren bei der Nationalen Volksarmee der DDR gerade das Fliegen erlernte.

Fünf Mal zum Mond und zurück

Insgesamt hat Heinz-Dieter Kallbach über die Jahre 33.871 Flugstunden gesammelt. Diese entsprechen in Kilometern knapp 538 Erdumrundungen oder fünf Mal zum Mond und zurück.
Am 26.06.2022 beendete er nach 64 Jahren und 21 Tagen seine aktive Fliegerkarriere. In all den Jahren ist er in 126 Ländern gestartet und gelandet.