Australien Wie Austern der Umwelt helfen
Köstlich oder eklig? An Austern scheiden sich die Geister. Klar ist: Im Meer haben die Muscheln eine wichtige Funktion. Zu Besuch auf einer australischen Austernfarm.
Sydney - Das Boot gleitet in der Nähe des Ortes Mooney Mooney durch das stille Wasser des Hawkesbury River. Nur ein kleines Schild an einem Pfeiler verrät, dass sich unter der Oberfläche eine Austernfarm befindet. Sie gehört Sheridan Beaumont und ihrer Familie, die hier, etwa 45 Minuten nördlich von Sydney, auch Touren für Touristen anbieten.
„Wer möchte ein paar Baby-Austern halten?“, fragt Beaumont ab diesem Tag und zieht zwei lange Behälter aus dem Wasser, in dem sich etliche kleine Austern befinden. Die Besucher, alle im wasserdichten Angler-Overall mit angenähten Gummistiefeln – greifen vorsichtig zu. Beaumont erklärt, dass die Meerestiere in Austernbeuteln und -flößen, die im Wasser treiben, herangezogen werden, bis sie groß genug sind, um verkauft zu werden.
Angebaut werden die heimischen Sydney Rock Oysters (Crassostrea commercialis), aber auch Pazifische Austern (Crassostrea gigas), die weltweit am häufigsten kultivierte Austernart. Sie stammt ursprünglich aus den Küstengewässern des westlichen Pazifiks, wurde aber inzwischen über große Teile der Welt als Zuchtauster verbreitet. Auch in Europa wird die Pazifische Auster seit Jahrzehnten in Aquakulturen verwendet, hat sich seitdem entlang der Küsten stark ausgebreitet und konkurriert mit heimischen Arten um Platz und Nahrung.
Unter Feinschmeckern gilt die Sydney Rock Oyster wegen ihres zarten Fleisches und dem starken Geschmack als besondere Delikatesse. Im Bundesstaat New South Wales ist sie die beliebteste Art überhaupt: Sie macht hier etwa 80 Prozent der Austernzucht aus. Australienweit sind aber auch Pazifische Austern sehr beliebt. Im Gegensatz zur Sydney Rock Oyster, die drei bis vier Jahre brauche, bis sie verkauft werden kann, erreiche diese Art die geeignete Größe bereits nach ein bis zwei Jahren, heißt es.
Schon die Ureinwohner mochten Austern
In New South Wales ist die Austernzucht die wichtigste Aquakultur: Jährlich werden etwa 106 Millionen Austern im Wert von mehr als 35 Millionen australischen Dollar (etwa 21,2 Millionen Euro) produziert. Seit über 100 Jahren werden die Meerestiere in Buchten und Wasserläufen gezielt großgezogen.
Auch die australischen Ureinwohner sollen die proteinreiche Köstlichkeit seit jeher von Felsen eingesammelt und verzehrt haben - das berichtete zumindest Captain James Cook, der 1788 mit der Flotte „First Fleet“ in Botany Bay, einer Bucht im heutigen Stadtgebiet Sydneys, landete.
Der Verzehr von Austern ist auch der Höhepunkt von Beaumonts Tour: Die Gäste knacken frische Austern und essen sie mit etwas Zitronensaft, dazu gibt es ein Glas Sekt. „Wir sind an dem Punkt angekommen, an dem pro Wochenende etwa 400 Leute kommen, das ist unglaublich“, erzählt die Austernzüchterin.
Das Tourismusangebot ist für die 37-Jährige mittlerweile das zweite Standbein: Der Austernverkauf hat sich in den letzten Jahren als schwierig erwiesen. Ursache sind vor allem der Klimawandel und damit einhergehende Naturkatastrophen.
Tod durch Fluten und Buschfeuer
„Wir haben riesige Säcke, alle voll mit toten Muscheln, eingesammelt“, erinnert sich Beaumont an ein Hochwasser im März 2022. Etwa 800.000 Austern seien damals gestorben. Die Fluten verunreinigten das Gewässer nicht nur mit Dreck, auch die Salzkonzentration im Fluss veränderte sich, was zum Sterben der Meerestiere führte.
Auch Buschfeuer, die in Australien immer wieder große Ausmaße annehmen, können die Schalentiere gefährden: Als Down Under im „Black Summer“ 2019/2020 gegen verheerende Flammen ankämpfen musste, gelangte die Asche bis zum Hawkesbury River und verstopfte die Kiemen der Austern.
Austern filtern Wasser und sorgen für mehr Licht
Die Klimakrise hat nicht nur ökonomische Folgen: Für die Qualität der Küstengewässer sind Austern enorm wichtig. „Muscheln sind Filtrierer und deswegen generell sehr gut für die Wasserqualität“, sagt Marina Richardson, Meeresbiologin mit dem Schwerpunkt Austernriffe an der Griffith University in Brisbane. „Sie filtern überschüssige Nährstoffe sowie Schadstoffe aus dem Wasser.“
Als Filtrierer werden Meerestiere bezeichnet, die ihre Nahrung aus dem Wasser herausfiltern – auch verschiedene Arten von Fischen, Korallen und Röhrenwürmern gehören dazu. Austern filtern Dutzende Liter Wasser täglich. Dabei nehmen sie auch Schadstoffe und andere Partikel auf, die zusammen mit Nahrungsresten als sogenannter Scheinkot ausgeschieden werden. „Sie sind sozusagen die Nieren der Wasserwege“, sagt Richardson.
„Austern sorgen auch dafür, dass mehr Licht zur Verfügung steht“, erläutert die Biologin weiter. Durch das von Austern gefilterte Wasser erreiche mehr Sonnenlicht den Meeresboden, was das Wachstum von Seegras und anderen Pflanzen unterstütze. Seegras ist wiederum für den Kampf gegen die Klimakrise gut: Studien zufolge kann die Pflanzenart große Mengen Kohlenstoff binden und damit den CO2-Gehalt der Atmosphäre vermindern.
Lebensraum für andere Arten
Australische Meeresbiologen bemühen sich darum, ursprüngliche Austernriffe zu schützen und zerstörte Riffe wiederherzustellen. Dabei geht es auch um den Erhalt der Artenvielfalt der Region: Austernriffe bieten Lebensraum für zahlreiche Tier- und Pflanzenarten. Auf ihnen siedeln sich zum Beispiel neben anderen Muschelspezies auch Seepocken und Seeanemonen an, die wiederum eine Nahrungsquelle für Fische sind.
Anhand der Gesundheit von Austern lässt sich zudem ganz allgemein der Zustand des Wassers ablesen: „Sie sind eine Art Alarmsignalgeber“, sagt Beaumont, die die Muschelfarm in dritter Generation betreibt. „Wenn eine Auster zu sterben beginnt, weiß man, dass etwas nicht stimmt.“