Forschung im Nordwesten Weniger Versuchstiere, doch immer noch Experimente mit Affen
In der medizinischen Grundlagenforschung gelten Tierversuche als unverzichtbar. Neue Wirkstoffe für Medikamente werden meist an Mäusen getestet. Aber warum gibt es Versuchsreihen mit Primaten?

Hannover - Es ist eine ethische Frage: Dürfen gesunde Affen operiert werden, um ihnen Elektroden in den Kopf einzusetzen für die wissenschaftliche Forschung? Für Tierversuche gibt es strenge gesetzliche Regelungen. Zur Entwicklung von Kosmetika oder Hygieneprodukte sind Tierversuche inzwischen in Deutschland komplett verboten. Während das Deutsche Primatenzentrum Göttingen die Unverzichtbarkeit von Affenversuchen für die Hirnforschung betont, halten viele Tierschützer sie für überflüssig.
Insgesamt ist die Zahl der in Niedersachsen genehmigten Tierversuche im vergangenen Jahr leicht zurückgegangen. Wie das Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (Laves) auf dpa-Anfrage mitteilte, erhielten 211 von 238 Anträgen eine Genehmigung. Im Jahr 2023 waren noch 252 Versuchsanträge gestellt und 229 genehmigt worden.
Nach Angaben einer Laves-Sprecherin werden manche Anträge nur in Teilen genehmigt oder aber an strenge Auflagen geknüpft. 2024 seien zudem 150 Tierversuche beziehungsweise Haltungen von Versuchstieren kontrolliert worden. Bei Beanstandungen gebe es Nachkontrollen oder es würden verwaltungsrechtliche Schritte eingeleitet.
Tests von neuen Wirkstoffen für Medikamente
Tierversuche stehen in der Kritik, weil sie häufig zu Leid oder zum Tod von Tieren wie beispielsweise Mäusen, Ratten, Kaninchen oder Fischen führen. Aus Sicht der Medizin sind sie unverzichtbar in der Grundlagenforschung. Getestet werden unter anderem neue Wirkstoffe für Medikamente sowie die Giftigkeit von Chemikalien.
Mittlerweile wurden Alternativen entwickelt. Das niedersächsische Wissenschaftsministerium fördert einen Forschungsverbund, der es sich zum Ziel gesetzt hat, Tierversuche zu ersetzen beziehungsweise zu reduzieren sowie die Belastung der eingesetzten Tiere zu minimieren.
Der Verein Ärzte gegen Tierversuche hält die Zahl der Tierversuche trotz des Rückgangs der Genehmigungen für viel zu hoch. Die Organisation kritisiert unter anderem Hirnversuche an Affen, wie sie an der Universität Bremen und am Deutschen Primatenzentrum Göttingen betrieben werden.
Kritiker: Hirnversuche an Affen „grausam und irrelevant“
„Solche Versuche sind nicht nur grausam für die Tiere, sondern auch völlig irrelevant für Menschen“, sagt Gaby Neumann, Sprecherin von Ärzte gegen Tierversuche. Viel aussagekräftiger seien Technologien, die auf menschlichen Daten oder Zellen basierten, zum Beispiel Computermodelle oder Multi-Organ-Chips. Zudem könnten bei Studien mit gesunden Menschen und Patienten auch elektrophysiologische oder bildgebende Verfahren genutzt werden.
Am Deutschen Primatenzentrum komme ein „breiter Methodenmix aus tierversuchsfreien Methoden und Tierversuchen“ zum Einsatz, sagt Sprecherin Susanne Diederich. Für den wissenschaftlichen und medizinischen Fortschritt seien Tierversuche mit Primaten unerlässlich.
Primatenzentrum: Versuche mit „geringstmöglicher Belastung“
Der Sprecherin zufolge ist neurowissenschaftliche Forschung ein Schwerpunkt des Zentrums. Die Forscher beschäftigen sich mit neurologischen und neuropsychiatrischen Krankheiten und Therapien. Sie entwickeln etwa Neuroprothesen für Patienten mit sensorischen oder motorischen Ausfällen. Teils seien Operationen erforderlich, jedoch würden die Tierversuche mit der „geringstmöglichen Belastung“ durchgeführt.
Bei den Affenversuchen an der Universität Bremen geht es ebenfalls um Hirnforschung. Im Frühjahr 2024 entschied das Verwaltungsgericht Bremen im Eilverfahren, dass diese Versuche vorläufig weiterlaufen können, aber keine neuen Affen operiert werden dürfen, um Elektroden einzusetzen. Das Gesundheitsressort hatte dem Kognitionsforscher der Uni zuvor keine neue Genehmigung erteilt, dagegen ging er juristisch vor.
„Aufgrund des laufenden Verfahrens können wir dazu keine Informationen geben“, sagte eine Sprecherin der Gesundheitssenatorin. Laut Verwaltungsgericht Bremen hat die Freie Hansestadt Bremen bisher keine Beschwerde gegen die Entscheidung im Eilverfahren erhoben.
Laut Urteil des Verwaltungsgerichts setzt der Wissenschaftler seit 1997 Affen für Versuche ein. Makaken werden konditioniert, um Aufgaben zu lösen. Der Kopf des Affen ist bei dem Versuch fixiert - wenn er eine Aufgabe löst, erhält er Flüssigkeit und kann trinken. Elektroden messen dabei seine Hirnaktivität.
Fast drei Viertel aller Versuchstiere sind Mäuse
Insgesamt wurden in Bremen im vergangenen Jahr laut Wissenschaftsressort drei neue Tierversuchsanträge genehmigt, 2023 waren es noch sechs Anträge. Drei Viertel der eingesetzten Tiere seien 2023 Fische gewesen.
Bundesweite Zahlen für 2024 liegen bisher nicht vor. 2023 wurden laut Bundesinstitut für Risikobewertung rund 1,46 Millionen Wirbeltiere und Kopffüßer bei Tierversuchen eingesetzt - knapp 16 Prozent weniger als im Vorjahr. Demnach waren 73 Prozent Mäuse, 11 Prozent Fische, 7 Prozent Ratten, 4,6 Prozent Kaninchen und 1,4 Prozent Vögel.
Die Organisation Ärzte gegen Tierversuche spricht von etwa 3,5 Millionen Versuchstieren im Jahr 2023. Zu den 1,46 Millionen Tiere kommen demnach noch mehr als 670.000 Tiere, die zu wissenschaftlichen Zwecken getötet wurden, um zum Beispiel an ihren Organen zu forschen. Zudem gab es fast 1,3 Millionen Tiere, die für wissenschaftliche Zwecke gezüchtet, aber nicht verwendet wurden. Diese würden ebenfalls meist getötet, sagt Neumann.