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Polizei Weiter viele Hinweise auf gefährdete Kinder in Niedersachsen

Vernachlässigung, Gewalt, Misshandlung: Vielen Kindern in Niedersachsen geht es nicht gut, wie neue Zahlen belegen. Und viele Fälle bleiben unentdeckt, vermutet der Kinderschutzbund.

Von dpa Aktualisiert: 11.08.2023, 13:08
Ein Blaulicht leuchtet auf dem Dach eines Streifenwagens der Polizei.
Ein Blaulicht leuchtet auf dem Dach eines Streifenwagens der Polizei. Christoph Soeder/dpa/Symbolbild

Hannover - Die Zahl der Hinweise auf gefährdete Kinder in Niedersachsen ist erneut gestiegen. Wie das Landesamt für Statistik am Freitag mitteilte, wurden im Jahr 2022 insgesamt 17.448 Verfahren zur Einschätzung einer Kindeswohlgefährdung gezählt. Das sind fast 300 mehr als im Vorjahr. Zwar ging die Zahl der Fälle, in denen tatsächlich eine Kindeswohlgefährdung festgestellt wurde, in derselben Zeit von 4350 auf 3980 zurück. Damit gab es aber immer noch rund 1000 Kindeswohlgefährdungen mehr als noch im Jahr 2017.

Die Verfahren zur Einschätzung möglicher Gefährdungen bezogen sich etwas häufiger auf Jungen (52 Prozent) als auf Mädchen. Die Altersgruppen waren fast gleichermaßen vertreten, von Babys und Kleinkindern bis drei Jahren bis zu 14- bis 17-jährigen Teenagern.

Etwa die Hälfte der Kindeswohlgefährdungen wurde als akut eingestuft. Am häufigsten ging es dabei um Vernachlässigung (1169 Fälle), gefolgt von körperlicher (660 Fälle) und psychischer Misshandlung (697 Fälle). Sexuelle Gewalt (121 Fälle) wurde vergleichsweise selten festgestellt. In einem einzelnen Verfahren können jeweils mehrere Arten der Kindeswohlgefährdung vermerkt werden.

Der Kinderschutzbund ist besorgt und verweist auch auf die Kriminalstatistik der Polizei. Dort seien im Jahr 2022 insgesamt 3516 Fälle von Kindesmisshandlung in Niedersachsen erfasst worden. Das sei etwas weniger als im Vorjahr, allerdings sei von einer hohen Dunkelziffer auszugehen, sagte Anja Stiller vom Kinderschutz-Zentrum in Hannover.

So zeige eine Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen (KFN), die auch leichte Fälle berücksichtigte, dass jedes dritte Kind im Land von Elterngewalt betroffen sei. Zudem steige die Zahl der Inobhutnahmen seit 2020 kontinuierlich an. „Doch unabhängig davon, ob die Zahlen sinken oder steigen, jeder Fall ist einer zu viel“, betonte Stiller. Über die Gründe der Entwicklung lasse sich derweil nur spekulieren.

Bereits im Juli hatten die Landesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege und der Kinderschutzbund Vorschläge gemacht für eine neue Kinderschutzstrategie des Landes. In dem Papier wird unter anderem ein Landesbeauftragter für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs vorgeschlagen. Außerdem sollten der Kinderschutz einen noch höheren Stellenwert in der Ausbildung von Fachkräften wie Erzieherinnen bekommen und Beratungsangebote ausgebaut werden.

SPD und Grüne haben 2022 in ihrem Koalitionsvertrag angekündigt, eine Kinderschutzstrategie zu entwickeln und landesrechtliche Vorschriften in einem neuen Kinderschutzgesetz zu bündeln.

„Jedes Kind und jeder Jugendliche hat ein Recht darauf, geschützt und ohne den Einfluss von Gewalt aufzuwachsen“, sagte die Sozial-Staatssekretärin Christine Arbogast am Freitag. Sie erklärte mit Blick auf die neue Statistik, die Menschen seien heute sensibler und meldeten sich bei möglichen Gefährdungen „deutlich häufiger bei den Behörden“ als in früheren Zeiten. Jedem noch so kleinen Verdacht nachzugehen, sei richtig und wichtig.