Bundestagswahl Warum die Linke bei der Wahl in Berlin punkten kann
Die Linke lässt bei der Bundestagswahl die gesamte Konkurrenz in Berlin hinter sich. Nur: Wie hat sie das geschafft? Liegt es an Gregor Gysi oder an den hohen Mieten?

Berlin - In Berlin haben sich viele verwundert die Augen gerieben, als die Ergebnisse der Bundestagswahl in der Hauptstadt bekannt wurden. Die CDU von Regierungschef Kai Wegner liegt nur auf Platz zwei, herbe Verluste gibt es für die SPD, vor allem aber ein starkes Ergebnis für die Linke, die in Berlin lange auf dem absteigenden Ast zu sein schien.
Für die Linke gilt der Überraschungseffekt ganz besonders. Dass sie bei einer Bundestagswahl in Berlin ganz vorn landet, ist eine Premiere. „Historisch“, wie Linke-Landesvorsitzender Maximilian Schirmer es nennt. Im Vergleich zur Wahl 2021 samt der Teilwiederholung 2024 verdoppelte die Partei ihren Stimmenanteil fast auf 19,9 Prozent. Das ist fast jeder fünfte Wähler in Berlin.
Auch bei den Erststimmen punktete die Linke: Von den zwölf Berliner Wahlkreisen gewann sie vier – mehr als alle anderen. CDU und Grüne holten je drei, AfD und SPD je einen. Und nicht nur das: Im legendären Wahlkreis in Friedrichshain-Kreuzberg, der zuletzt immer wieder an die Grünen ging, lag diesmal Linke-Kandidat Pascal Meiser vorn. In Neukölln gewann mit Ferat Koçak zum ersten Mal in einem Westbezirk der Stadt ein Linker die meisten Erststimmen.
Schwerdtner siegt in Lichtenberg
Bundesvorsitzende Ines Schwerdtner siegte in Lichtenberg. Gregor Gysi hat im Wahlkreis Treptow-Köpenick ein Dauerabo auf Platz eins. Diesmal erreichte der 77-Jährige nach Angaben der Bundeswahlleitung 41,8 Prozent der Erststimmen. Der zweitplatzierte AfD-Kandidat kam auf weniger als die Hälfte. In der Hauptstadt haben die Linken diesmal mitgenommen, was sie kriegen konnten.
Aber warum? Waren es die richtigen Themen, mit denen die Partei in den Wahlkampf gezogen ist? Lag es an den Kandidaten? War es Zufall? Der Berliner Politikwissenschaftler Thorsten Faas findet, die Partei habe im Wahlkampf jedenfalls vieles richtig gemacht.
Und sie sei nicht mit der Ampel-Regierung verbunden, was für Wähler im progressiven Spektrum ein entscheidender Punkt gewesen sei. Dazu seien sie die einzige Kraft, die bei der sehr sichtbaren Migrationsdebatte dezidiert andere Positionen vertreten habe als auch SPD und Grüne
Silberlocken und Social Media
Außerdem habe sie eine klassisch linke Politik vertreten, sowohl gesellschaftspolitisch als auch ökonomisch etwa mit der Forderung, es dürfe keine Milliardäre mehr geben oder mit dem Slogan „Tax the Rich“ (besteuert die Reichen), den der Linke-Bundesvorsitzende Jan van Aken regelmäßig auch per T-Shirt präsentierte.
„Das war sehr konsistent“, sagte Faas. Der Linke sei es gelungen, ihre Inhalte auch sehr erfolgreich zu transportieren, nicht nur, aber auch über Social-Media-Kanäle, die von van Aken und Spitzenkandidatin Heidi Reichinnek geschickt bespielt würden. Bei vielen jungen Menschen seien die beiden echte Superstars.
„Die Silberlocken haben andere Segmente der Wählerschaft angesprochen“, sagte Faas mit Blick auf den oft selbstironischen Wahlkampf der drei gestandenen Linke-Politiker Gysi, Bodo Ramelow und Dietmar Bartsch inklusive vieler gemeinsamer Auftritte und Gesangseinlagen. „Die Kampagne hat tatsächlich funktioniert, weil sie auf mehreren Kanälen passgenau die richtige Ansprache geschafft hat“, sagte Faas.
Laut Wahlanalysen der Meinungsforschungsinstitute Infratest dimap und Forschungsgruppe Wahlen wurde die Linke bei Frauen unter 30 Jahren zur stärksten Kraft, während junge Männer überwiegend AfD wählten.
„Das hat sehr viel mit Social Media, vor allem mit Tiktok, zu tun“, so der Psychologe und Generationenforscher Rüdiger Maas. Mehr als die Hälfte der jungen Wähler nutze soziale Medien als Hauptinformationsquelle.
Bei der Europawahl vergangenen Juni sei nur die AfD dort stark präsent gewesen. Reichinnek und Gysi von der Linken hätten jedoch in den vergangenen Monaten stark aufgeholt und hohe Reichweiten erzielt.
Linke wirft Schwarz-Rot unsoziale Politik vor
Berlins Linke-Landeschef Schirmer würde bei all dem nicht widersprechen, sieht als Grund für den Erfolg aber vor allem die Konzentration auf die richtigen Themen und zwar die, die wehtun: „Es haben alle an einem Strang gezogen, weil wir nur ein einziges Ziel vor Augen hatten, die dringenden Probleme der Menschen in Berlin zu lösen, und das waren steigende Preise und steigende Mieten“, sagte er. Das sei bei den Menschen angekommen.
Das Berliner Wahlergebnis strafe die unsoziale Politik der schwarz-roten Landesregierung ab. „Wir nehmen das als Auftrag mit, weiter genau an diesen Problemen dranzubleiben.“ Der Staat ziehe sich immer mehr aus Gegenden in Berlin zurück, wo er dringend gebraucht werde. Dort gebe es kaum noch soziale Angebote, kaum noch Begegnungsstätten oder Beratungsstellen, so der Linke-Landesvorsitzende.
„Wir als Partei haben gesagt, wir werden diese Stadt nicht dem sozialen Kahlschlag überlassen, sondern genau dort hingehen, wo die Probleme der Menschen am dringendsten sind. Und das haben wir getan.“