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Überlingen am Bodensee Überlingen am Bodensee: Kette von Ursachen für Flugzeugunglück verantwortlich

19.05.2004, 09:51
Die Flugzeugkatastrophe von Überlingen (Foto: dpa)
Die Flugzeugkatastrophe von Überlingen (Foto: dpa) dpa

Braunschweig/Stuttgart/Zürich/dpa. - Technische Mängel sowiemenschliche Fehler bei der Schweizer Flugsicherung skyguide und inder russischen Unglücksmaschine sind die Ursachen desFlugzeugzusammenstoßes von Überlingen. Das geht zwei Jahre nach derTragödie mit 71 Todesopfern aus dem am Mittwoch in Braunschweigveröffentlichten Abschlussbericht der Bundesstelle fürFlugunfalluntersuchung (BFU) hervor.

Die Flugsicherung skyguide zeigte sich bestürzt über das Versagenihres Sicherheitssystems in der Unfallnacht und bat die Familien derOpfer um Verzeihung. Die Hinterbliebenen forderten eine angemesseneEntschädigung. Ihr Anwalt kündigte eine Klage gegen dieamerikanischen Hersteller des Warnsystems und einer defektenTelefonanlage an, sollten sich die Unternehmen nicht an denEntschädigungen beteiligen.

Am 1. Juli 2002 war eine Tupolew aus der russischen TeilrepublikBaschkirien mit einer Fracht-Boeing des Kurierdienstes DHL in elfKilometern Höhe zusammengeprallt. «Auch dieser Unfall hat sichereignet, weil viele Ereignisse und Umstände, Handlungen undUnterlassungen zusammentrafen, die für sich allein betrachtetmanchmal eine nur geringe Bedeutung für die Flugsicherheit hättenhaben können», heißt es im Bericht zu dem Zusammenstoß. Unter anderemhabe das skyguide-Sicherheitssystem große Lücken. Außerdem war dierussische Crew im Umgang mit ihrem automatischen Kollisions-WarngerätTCAS an Bord nicht ausreichend vertraut. Die Fachleute betonten aber:«Die BFU klärt keine Schuld- und Haftungsfragen!»

Dem 123 Seiten langen Bericht zufolge hatte skyguide seit Jahrengeduldet, dass nur ein Lotse in der verkehrsarmen Nachtzeit imKontrollraum arbeitet. Es müssten aber mindestens zwei Lotsen imArbeitsraum anwesend sein, forderten die BFU-Experten. Außerdem wardas skyguide-Warnsystem in der Unglücksnacht ohne Wissen des Lotsenwegen technischer Arbeiten nur zum Teil funktionsfähig.

Wegen eines nicht laufenden Warnprogramms war sich der Lotse zudemder drohenden Gefahr nicht bewusst - und gab der russischen Tupolewdie Anweisung zum Sinkflug, die der Pilot ausführte. Im Cockpit hättedieser jedoch dem TCAS-Warnsystem folgen sollen, das ihn zum Steigenaufforderte. «Damit hätte der Unfall sicher vermieden werden können»,sagte BFU-Untersuchungsleiter Jörg Schöneberg. Denn das TCAS-Systemhatte der Boeing parallel einen Sinkflug vorgegeben. Nach TCAS wärendann beide Maschinen sicher übereinander hinweg geflogen.

Die zum Unglückszeitpunkt gültigen Vorschriften für das Warngerätseien teilweise lückenhaft und missverständlich gewesen, heißt esweiter. Die BFU habe deshalb mehrere Sicherheitsempfehlungen zumUmgang mit dem TCAS-System herausgegeben. «Zu allen Ursachen gibt esEinflussfaktoren, die die Sachlage zusätzlich erschwert haben», sagteSchöneberg weiter. Durch die technischen Arbeiten waren zum Beispieldie Telefonleitungen gestört. Ein Lotse aus Karlsruhe, der dieKatastrophe auf seinem Bildschirm kommen sah, hatte elf Malvergeblich versucht, mit seinem Zürcher Kollegen Kontakt aufzunehmen.

Der Dienst habende skyguide-Fluglotse war im Februar dieses Jahresin Zürich umgebracht worden. Der russische Tatverdächtige, der inUntersuchungshaft sitzt, hatte bei dem Unglück seine Familieverloren.

Die Hinterbliebenen der Opfer haben nach eigenen Angaben bislanglediglich von der Versicherung der betroffenen russischenFluggesellschaft umgerechnet knapp 3000 Euro pro Opfer erhalten.Einen inneren Frieden werden sie ihrer Sprecherin Julia Fedotowazufolge auch nach einem Gerichtsurteil zur Schuld an derFlugzeugkollision nicht finden. «Die seelische Wunde bleibt für immeroffen», sagte Fedotowa der dpa. Sie hatte bei dem Unglück ihre 15-jährige Tochter verloren.