Missbrauchsvorwürfe Turn-Skandal: Trainer freigestellt - DOSB fordert Aufklärung
Die Missbrauchsvorwürfe am Turn-Bundesstützpunkt in Stuttgart schlagen weiter hohe Wellen. Personelle Konsequenzen gibt es bereits. Folgen auch finanzielle? DOSB und Kultusministerium äußern sich.
Stuttgart - Der Turn-Skandal am Bundesstützpunkt in Stuttgart zieht erste personelle Konsequenzen nach sich, die Forderungen nach einer genauen Aufklärung nehmen zu. Die von ehemaligen Turnerinnen erhobenen Vorwürfe seien „besorgniserregend“, teilte der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur mit. Womöglich drohen dem Schwäbischen Turnerbund (STB) als Hausherr des betroffenen Kunstturnforums sogar finanzielle Folgen in Form einer Fördermittelkürzung.
Zwei Übungsleiter vorläufig freigestellt
Angeführt von den früheren Auswahl-Turnerinnen Tabea Alt und Michelle Timm hatten jüngst mehrere Sportlerinnen Missstände am Stützpunkt in Stuttgart öffentlich gemacht. Angeprangert wurden „systematischer körperlicher und mentaler Missbrauch“ sowie katastrophale Umstände. Auch aktive Sportlerinnen äußerten sich. Lara Hinsberger berichtete unter anderem, sie sei „wie ein Gegenstand behandelt“ worden. Die deutsche Rekordmeisterin Elisabeth Seitz forderte eine Aufarbeitung der Geschehnisse. Der Deutsche Turner-Bund (DTB) und der STB kündigten eine Untersuchung an.
Mittlerweile sind zwei Übungsleiter vorläufig bis zum 19. Januar freigestellt worden. Der „Stuttgarter Zeitung“ und den „Stuttgarter Nachrichten“ zufolge soll zudem eine Kommission gegründet werden, die mit allen Beteiligten - Turnerinnen, Eltern, Trainern und Verbandsverantwortlichen - spricht.
Seit Donnerstag läuft im Kunstturnforum wieder der Trainingsbetrieb. Ab dem kommenden Dienstag werden auch Bundestrainer Gerben Wiersma und Nachwuchsbundestrainerin Claudia Schunk dort Einsätze übernehmen.
Klare Ansage aus dem Kultusministerium
Man habe die Turnerbünde gebeten, in die angekündigte Selbstüberprüfung und Aufarbeitung der Vorwürfe einbezogen zu werden, teilte das für den Sport zuständige Kultusministerium Baden-Württemberg mit. „Die unverrückbare Prämisse der Landesförderung“ sei, „dass internationale Wettbewerbsfähigkeit nicht über der körperlichen und psychischen Unversehrtheit der Athletinnen und Athleten stehen darf“, hieß es weiter. „Verstoßen Sportorganisationen gegen diesen Grundsatz, können Landesmittel zurückgefordert werden.“
Laut seiner Mitteilung will sich das Ministerium „auch auf nationaler Ebene gemeinsam mit der Sportministerkonferenz weiter dafür einsetzen, dass im Leistungssport individuellen und strukturellen Faktoren personaler Gewalt entgegengewirkt wird, und dem Thema Gewalt im Sport mit einer noch stärkeren Sensibilisierung begegnet wird“.
Safe Sport Code soll Sportler besser schützen
Auch der DOSB forderte eine Aufklärung des Skandals von Stuttgart. „Diese Situation zeigt einmal mehr, wie wichtig die Verabschiedung des Safe Sport Codes durch die DOSB-Mitgliederversammlung war und wie wichtig eine zügige Umsetzung in den Mitgliedsverbänden und Strukturen des organisierten Sports ist“, erklärte der nationale Dachverband.
Mit dem Safe Sport Code soll interpersonale Gewalt im Sport auch unterhalb der Strafrechtsschwelle rechtssicher geahndet und sanktioniert werden können. Der DTB verabschiedete ihn erst im vergangenen November.
Der Fall in Stuttgart zeige zudem „erneut, wie essenziell es für Sportlerinnen und Sportler ist, dass es vom Sport unabhängige Ansprechstellen für alle Formen von Gewalt gibt - sei es körperliche, psychische oder sexuelle Gewalt“, sagte Kerstin Claus, Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM), der dpa. Verbände und DOSB stünden „in der Pflicht, sich am Aufbau dieser externen Meldestelle zu beteiligen“.