Prozess Trotz Freispruchs vor Gericht: Urteil zu Gesetzesreform
Ne bis in idem - nicht zweimal in derselben Sache. Nach diesem Rechtsgrundsatz kann nicht erneut angeklagt werden, wer für denselben Vorwurf schon einmal freigesprochen wurde. In Deutschland wurde das Gesetz für schwere Taten geändert. Doch war das verfassungskonform?
Karlsruhe - Das Bundesverfassungsgericht urteilt am Dienstag (10.00 Uhr), ob eine gesetzliche Neuregelung zur Wiederaufnahme von Strafverfahren nach einem Freispruch gültig ist. Hintergrund ist eine umstrittene Änderung der Strafprozessordnung, nach der rechtskräftig abgeschlossene Verfahren zuungunsten des Angeklagten in schweren Fällen wie Mord nun noch einmal aufgerollt werden können, wenn neue Tatsachen oder Beweismittel auftauchen (Az. 2 BvR 900/22).
Konkreter Anlass für die Prüfung durch das höchste deutsche Gericht ist der Mordfall Frederike aus Niedersachsen. Ein Mann wird verdächtigt, 1981 die 17-Jährige aus Hambühren vergewaltigt und erstochen zu haben. Das konnte ihm damals nicht nachgewiesen werden. 1983 wurde er rechtskräftig freigesprochen. Nach einer neuen DNA-Untersuchung könnte er aber der Täter sein. Ihm soll der Prozess gemacht werden, doch er legte Verfassungsbeschwerde ein.
Die Karlsruher Richterinnen und Richter stoppten den Prozess am Landgericht Verden. Der Mann kam bis auf weiteres auf freien Fuß. Das Verfassungsgericht verlängerte im Sommer die Außervollzugsetzung des Haftbefehls und kassierte Auflagen. Unter anderem hatte der Mann sich zweimal wöchentlich bei der Staatsanwaltschaft melden müssen und durfte seinen Wohnort nicht ohne Erlaubnis verlassen.
Bei der mündlichen Verhandlung im Mai hatte Frederikes Schwester über ihren Anwalt emotionale Worte an den Zweiten Senat gerichtet: „Ihr Tod verjährt nicht in unserer Familiengeschichte“, sagte der ehemalige Bundesanwalt Wolfram Schädler im Namen seiner Mandantin, die nicht nach Karlsruhe gekommen war.
Jahrelang hatte ihr Vater für eine Gesetzesreform gekämpft. Unter anderem stellte er eine Petition ins Internet, die rund 180 000 Menschen unterschrieben. Der Kampf sei mit dem Tod ihres Vaters nicht vorbei, ließ Frederikes Schwester vortragen. Zeit schaffe keinen Frieden, der Schmerz werde nicht weniger. Die Familie hoffe auf Ruhe.