Transrapid Transrapid: Eine Katastrophe, die niemand versteht

Osnabrück/dpa. - Der inzwischen pensionierte Betriebsleiter stehtsichtlich noch immer unter dem Eindruck der Katastrophe. Er habe sichnie vorstellen können, dass es zu einem solchen Unglück je kommenkönnte, sagt er unter Tränen. Am 22. September 2006 kamen auf derTransrapid-Teststrecke im emsländischen Lathen 23 Menschen ums Leben.Gut anderthalb Jahre später liest Oberstaatsanwalt Hubert Feldkamp amDienstag zum Prozessauftakt vor dem Landgericht Osnabrück die Namendieser 23 Opfer vor. Als eine Magnetschwebebahn mit 170Stundenkilometern auf einen Werkstattwaggon raste, saßen Mitarbeiterder Teststrecke und zahlende Gäste in den Waggons. Beschäftigte vonPflegediensten aus Papenburg, beispielsweise. Sie waren auf einemBetriebsausflug.
Für den Tod dieser Menschen und für die zum Teil schwerenVerletzungen von elf weiteren Fahrgästen müssen sich zwei 67 und 50Jahre alte Männer verantworten, die als Betriebsleiter der Anlagenach Auffassung der Ankläger für die Sicherheit der Testanlageverantwortlich waren. Sie sind wegen fahrlässiger Tötung undfahrlässiger Körperverletzung angeklagt. Gegen den Fahrdienstleiter,der die Fahrt trotz eines 50 Tonnen schweren Hindernisses auf derStrecke freigegeben hatte, wird nicht verhandelt. Das Verfahren istvorläufig eingestellt. Der Mann ist seit dem Unglückselbstmordgefährdet.
Warum das Unglück geschah, soll dieser Prozess klären. Verstehenkönnen es die Opfer, Hinterbliebenen und auch die Mitarbeiter derTestanlage bis heute nicht. Das wird deutlich, als sich der ältereder beiden Angeklagten äußert und ihm dabei die Tränen kommen. DieRangiermanöver seien eingeübt gewesen, sagt er. SämtlicheBetriebsvorschriften seien so ausgelegt gewesen, dass auch bei einemFehler eines Menschen noch Sicherungs- und Kontrollinstanzen griffen.Das habe mehr als zwanzig Jahre lang problemlos funktioniert.
Die Leitstandmitarbeiter hätten den auf der Strecke stehendenWerkstattwagen bemerken müssen. Und auch der beim Unglück getöteteZugführer hätte das drei Meter hohe Hindernis erkennen müssen.Trotzdem sei er eine Minute lang auf den Werkstattwagen zugefahren,ohne zu bremsen. «Wenn mir vorher jemand gesagt hätte, dass einsolches Unglück möglich ist, ich hätte den Betrieb sofortstillgelegt», sagt der 67-Jährige erregt.
Möglicherweise ist ein Streit im Leitstand der Teststreckeunmittelbar vor dem Unglück Hintergrund der Katastrophe. Von dieserAuseinandersetzung berichten beide Angeklagten, die diesen Vorfallaber nicht persönlich erlebt haben. Beide waren zum Unglückszeitpunktgar nicht im Emsland.
Ein Mitarbeiter des Leitstandes habe ihm wenige Tage nach demUnglück davon erzählt, berichtet der Pensionär. Die drei Personenseien zwar unmittelbar vor der Katastrophe auf dem Leitstand gewesen,hätten aber allem Anschein nach für fünf, sechs oder sieben Minutenihre Arbeit nicht getan. «Sie haben praktisch alle Regeln missachtet,die zu beachten waren», sagt er. Worum es in der Auseinandersetzungging, wird an diesem Verhandlungstag nicht geklärt. Möglicherweisestritten die Kollegen um ein spontan angeordnetes zusätzlichesVersuchs-Vorhaben.
Der Fahrdienstleiter sei für die Fahrtfreigabe verantwortlichgewesen, betont Oberstaatsanwalt Feldkamp. Der bei dem Unglück umsLeben gekommene Fahrzeugführer hätte nicht losfahren dürfen. Denbeiden Betriebsleitern wirft er jedoch vor, das Setzen einersogenannten Fahrwegsperre nicht verbindlich im Betriebsregelwerk derTestanlage vorgeschrieben zu haben. Sie hätte die Kollisionverhindert. Die beiden Angeklagten weisen die Vorwürfe zurück.
Die Zuhörer reagieren überrascht auf die Information über denStreit. Für einen der Anwälte der Nebenklage, die die Opfer undAngehörigen in dem Prozess vertreten, stellt diese Aussage sogar eine«überraschenden Wende» dar. Auf seine Nachfrage, ob der Unfallvermeidbar gewesen wäre, hätte es die verbale Auseinsetzung nichtgegeben, sagt der Angeklagte: «Es ist schon denkbar, dass ein solcherStreit die Beteiligten abgelenkt hat, dass sie die komplette Welt umsich herum vergessen haben.»
