1. MZ.de
  2. >
  3. Panorama
  4. >
  5. Titanic: Titanic: Brennend ins Eis

Titanic Titanic: Brennend ins Eis

Von christian Satorius 06.04.2012, 20:17
Der Luxusdampfer «Titanic», der 1912 vor der kanadischen Küste sank. Die Titanic ist das weltweit bekannteste Schiff, über ihren Untergang wurden 3000 Bücher geschrieben, eine zweistellige Zahl an Filmen gedreht und dutzende Dramen und Musicals aufgeführt. (Foto: dpa)
Der Luxusdampfer «Titanic», der 1912 vor der kanadischen Küste sank. Die Titanic ist das weltweit bekannteste Schiff, über ihren Untergang wurden 3000 Bücher geschrieben, eine zweistellige Zahl an Filmen gedreht und dutzende Dramen und Musicals aufgeführt. (Foto: dpa) pa

Halle (Saale)/MZ. - Vor 100 Jahren, in der bitterkalten Nacht des 14. April 1912, kollidiert der Luxusdampfer RMS Titanic, das damals größte Schiff der Welt, um 23 Uhr 40 Schiffszeit auf der Jungfernfahrt im Nordatlantik mit einem gigantischen Eisberg von wahrscheinlich 300 000 Tonnen Gewicht. Keine drei Stunden später, um kurz nach zwei Uhr, bricht die Titanic auseinander und reißt eineinhalbtausend Menschen in den Tod. Unter ihnen einige der wohlhabendsten ihrer Zeit.

Der abschließende Bericht der britischen Untersuchungskommission kommt zu dem Schluss, dass "überhöhte Geschwindigkeit" die Ursache des Unglücks ist. Als Konsequenz aus der Katastrophe wird die vorgeschriebene Anzahl der Rettungsboote in der Schifffahrt erhöht. Die Titanic ist inzwischen zu einem regelrechten Mythos geworden und so halten sich bis heute zahlreiche Irrtümer über Wasser.

Etwa der der Unsinkbarkeit. "Ich kann mir keinen Umstand vorstellen, der ein solches Schiff scheitern ließe!" sagt der Kapitän der Titanic Edward John Smith. Auch die Fachzeitschrift "The Shipbuilder" lobt die Titanic: "Der Kapitän kann durch einfaches Betätigen eines elektrischen Schalters augenblicklich alle Schotten schließen und damit sein Schiff praktisch unsinkbar machen".

Die Konstrukteure dagegen nehmen das Wort "unsinkbar" nie in den Mund. Sie wissen: Selbst das Fluten zweier der neuartig abgeschotteten Abteilungen hätte die Schwimmfähigkeit gewährleistet. In der Unglücksnacht laufen allerdings ganze sechs Abteilungen voll Wasser. Dafür ist die Konstruktion nicht ausgelegt.

Eine derartige Katastrophe ist bis dahin schlicht und einfach unvorstellbar. Immerhin ist es den Schottwänden zu verdanken, dass die Titanic noch lange Zeit relativ ruhig im Wasser liegt, so dass Rettungsmaßnahmen durchgeführt werden können.

Noch ein Mythos: Die Titanic verlässt Belfast am 2. April 1912 in Richtung Southhampton mit 1 880 Tonnen Kohle an Bord, die die Dampfmaschinen mit ihren über 50 000 PS bis dahin befeuern sollen. Schon damals gibt es laut Aussagen überlebender Heizer im Kohlebunker Nr. 10 einen Schwelbrand. Auch als der Luxusliner Tage später in Southhampton wieder ablegt, hat man es noch nicht geschafft, dass Feuer vollständig zu löschen. Das gelingt erst am Samstag, den 13. April. Der Schiffsinspektor Maurice Harvey Clarke schreibt später in seinem Bericht: "Über ein bedenkliches Feuer wäre ich unterrichtet gewesen."

Das Feuer ist also gerade erst verloschen, als die Titanic in Seenot gerät. Doch hat es größere Schäden an den Schottwänden angerichtet? Das bleibt bis heute ungeklärt. Denn auch die Legende, dass der Eisberg ein 90-Meter-Loch in den Rumpf gerissen habe, ist kaum zu halten. Am 1. September 1985 entdecken Jean-Louis Michel und Robert Ballard das Wrack der Titanic in 3 803 Metern Tiefe. Andere Expeditionen folgen, bei denen die Wrackteile auch auf Beschädigungen untersucht werden. 1996 bestätigt ein spezielles Sonarsystem die Berechnungen, die schon der Konstrukteur Edward Wilding 1912 vornahm: Sechs Löcher klaffen im Rumpf der Titanic. Und alle zusammen haben nur eine Größe von 1,18 Quadratmetern. Schon Wilding stellte vor hundert Jahren fest, das durch diese 1,18 Quadratmeter 400 Tonnen Wasser pro Minute eindringen können. Bei einem 90-Meter-Loch wäre die Titanic auf der Stelle versunken wie ein Stein. Ein weiterer populärer Irrtum ist auch der über den Stahl der Titanic, der angeblich durch das extrem kalte Wasser von null Grad Celsius und weniger ermüdet gewesen sei. Exakt der gleiche Stahl findet beispielsweise auch im russischen Eisbrecher Krassin Verwendung, der 1916 in Newcastle gebaut wird und bis 1989 im Einsatz ist. Ohne je Schäden durch "brüchigen" Stahl zu erleiden. Allerdings fällt schon dem Konstrukteur Edward Wilding 1911 eine mögliche Schwachstelle auf, als er einen Schaden am zum Verwechseln ähnlichen Schwesterschiff Olympic begutachtet: Die Löcher für die Nietverbindungen der Olympic wie auch der Titanic sind gestanzt. Bei diesem Vorgang können aber Mikrorisse entstehen, die das Material in unmittelbarer Umgebung schwächen. Als Konsequenz werden die Löcher für die Nieten der RMS Queen Mary 1936 gebohrt und nicht mehr gestanzt.

Allerdings sind sich heutige Fachleute einig: Selbst moderne Schweißverbindungen hätten den enormen Kräften, die bei der Kollision mit dem Eisberg aufgetreten sind, nicht standgehalten.

Waren aber nicht doch die Ruder des Riesenschiffes zu klein? Nun, in der Tat haben einige vergleichbare Schiffe größere Ruder als die Titanic. Diese müssen allerdings damals auch im Gegensatz zur Titanic militärischen Anforderungen genügen, da sie für den Kriegsfall als Hilfskreuzer eingeplant sind. Die Titanic aber ist nicht für eine militärische Nutzung vorgesehen.

Immerhin hat die Titanic wenigstens das erste "SOS" der Geschichte gesendet, heißt es. Fälschlicherweise. Denn zu Beginn des 20. Jahrhunderts sendeten in Not geratene Schiffe den Notruf "CQD", was mit "An alle: Seenot" übersetzt werden kann. Dieses Notsignal wird bereits am 1. Juli 1908 offiziell ersetzt durch das heute noch gebräuchliche "SOS", was als "Save Our Souls" bekannt wird. Das erste "SOS" der Geschichte sendet aber nicht die Titanic, sondern schon am 10. Juni 1909 die Slavonia, die vor den Azoren auf Grund läuft.

Sicher scheint, dass der Alarm für Panik auf der Titanic sorgte. Doch in Wahrheit gibt es gar kein Alarmsystem an Bord, mit dem man alle Passagiere hätte alarmieren oder informieren können, weder elektrische Alarmglocken, noch Sirenen oder Lautsprecher. Selbst die Schiffsglocke wird Überlebenden zu Folge damals nicht geläutet. Vielmehr muss das Personal jeden Schiffsgast mehr oder weniger einzeln unterrichten.

Panik? Da die Kollision mit dem Eisberg von den meisten Passagieren nur als leichtes Rütteln wahrgenommen wird, und das Schiff lange Zeit stabil im Wasser liegt, glauben viele Passagiere an eine Übung, als sie aufgefordert werden, die Schwimmwesten anzulegen. Zu diesem Zeitpunkt entstehen auch die meisten Anekdoten, die uns heute überliefert sind: Die über John Jacob Astor, einen der reichsten Männer an Bord, der, als vom Eisberg einige Eisstücke auf Deck fallen, sagt: "Ich hatte Eis bestellt, aber das hier ist wirklich ein wenig übertrieben."

Von Panik keine Spur, schließlich gilt das größte Schiff der Welt damals vielen Passagieren ja als "unsinkbar". Überliefert sind auch die Worte Benjamin Guggenheims, der mit seinem Kammerdiener Victor Giglio im allerfeinsten Zwirn an Deck tritt und sagt: "Wir sind angemessen gekleidet und bereit, wie Gentlemen unterzugehen."

So wurde Geschichte geschrieben, angeblich auch, weil der Erste Offizier William M. Murdoch dem Eisberg dilettantisch und zu spät ausgewichen sei. Doch die britische Untersuchungskommission kam in ihrem Gutachten zu dem Schluss, dass Murdoch ganz im Gegenteil ein Ausweichmanöver wie im Lehrbuch eingeleitet hatte. Reginald Lee, der sich zum Zeitpunkt der Kollision im Ausguck befindet, sagte später vor der Kommission aus, die Titanic habe schon mit dem Ausweichmanöver begonnen, lange bevor er und sein Kollege Frederick Fleet die Eisbergwarnung an die Brücke weitergegeben hatten. Da im Ausguck keine Ferngläser vorhanden sind und es noch kein Sonarsystem und auch kein Radar gibt, ist der Eisberg in der stockdunklen Nacht erst sehr spät zu erkennen. Auch die Eiswarnungen anderer Schiffe werden damals nur höchst unvollständig weitergeleitet. So können sich weder Kapitän Smith noch einer seiner Offiziere ein richtiges Bild von der Gefahrensituation machen.

Bleibt aber wenigstens Fakt, dass der Untergang der Titanic das größte Schiffsunglück aller Zeiten ist? Nun, 1 517 Menschen sterben beim Untergang der RMS Titanic. Das ist schrecklich, aber nicht die größte Schiffskatastrophe aller Zeiten. Das schwerste Unglück der zivilen Seefahrt ereignet sich erst am 20. Dezember 1987, als die Fähre Dona Paz mit dem Tanker Vector kollidiert und 4 375 Tote zu beklagen sind. Im Krieg gibt e noch schwerere Katastrophen. Am 30. Januar 1945 wird Wilhelm Gustloff von einem sowjetischen U-Boot versenkt. Das Schiff reißt mehr als 9 000 Menschen in den Tod.

Noch Schlimmeres lässt sich aus der Antike berichten: Als 1281 die mongolische Invasionsflotte Kublai Khans vor Japan in einem Sturm versinkt, finden 70 000 Menschen den Tod. Nur eine Katastrophe auf hoher See fordert noch mehr Opfer: Bis zu 100 000 Menschen starben, als 255 vor unserer Zeitrechnung die römische Kriegsflotte im Mittelmeer in einem Sturm unterging.