Klage wegen Wortentzug Streit um Rederecht – Abgeordneter gewinnt vor Gericht
Kurz nach der Wahl eskalierte ein Konflikt in der Bürgerschaft. Die Präsidentin entzog einem Abgeordneten das Wort. Zu Unrecht, entschied nun das Gericht. Was das für künftige Debatten bedeutet.

Bremen - Die Bremische Bürgerschaftspräsidentin Antje Grotheer (SPD) hat dem Abgeordneten Jan Timke das Wort entzogen und damit seine Rechte verletzt. Der Eingriff in das Rederecht sei verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt, urteilte der Staatsgerichtshof. Die Klage hatte Timke, der Bremer Fraktionsvorsitzender von Bündnis Deutschland ist, eingereicht.
Eklat bei der Wahl des Bremer Senats
Gleich in der zweiten Sitzung nach der Wahl im Juli 2023 kam es in der Bremischen Bürgerschaft zum Eklat: Die Präsidentin griff erneut zur Glocke und ermahnte Timke. „Ich rufe Sie jetzt ein drittes Mal zur Sache zur Ordnung und weil ich es Ihnen vorher gesagt habe, entziehe ich Ihnen hiermit das Wort.“
In der Debatte sollte es um die Wahl des Bremer Senats gehen, Timke beschäftigte sich zunächst mit der Geschichte der Linkspartei. Aus Sicht der Präsidentin schweifte er damit vom Thema ab und so zog sie nach mehreren Hinweisen die Konsequenz.
In der Geschäftsordnung der Bremischen Bürgerschaft heißt es dazu in Paragraf 52: „Die Präsidentin oder der Präsident kann Rednerinnen und Redner, die nicht zur Sache sprechen, zur Sache rufen.“ Der nächste Paragraf regelt, dass nach zwei Sach- oder Ordnungsrufen mit Hinweis auf die Folgen das Wort entzogen werden muss.
Gericht sieht Recht des Abgeordneten verletzt
Der Bremer Fraktionsvorsitzender von Bündnis Deutschland wehrte sich gegen den Wortentzug vor Gericht – und bekam nun recht. Zwar verfüge die Präsidentin bei der Leitung der Sitzung über einen weiten Spielraum, stellte der Staatsgerichtshof fest. Doch in diesem Fall habe sie ihre Kompetenz überschritten und das Rederecht des Abgeordneten verletzt.
Nach Auffassung des Gerichts muss der Opposition gerade bei der Wahl des künftigen Senats Raum gegeben werden – selbst wenn Reden polemisch sind oder historische Bezüge gestellt werden.
Außerdem ist die Präsidentin laut Staatsgerichtshof verpflichtet, alle Abgeordneten gleichzubehandeln. Sie habe jedoch nicht eingriffen, als andere Rednerinnen und Rednern über die Demokratie im Allgemeinen, die Politik des ehemaligen Senats oder über zukünftige Projekte sprachen. Im Vergleich dazu könne auch Timke ein mittelbarer Bezug zum Thema nicht abgesprochen werden, urteilte das Gericht. Die Entscheidung fiel mit fünf zu zwei Stimmen.
Timke fordert öffentliche Entschuldigung
Nach dem Urteil fordert Timke Konsequenzen. „Ich erwarte jetzt von der Präsidentin in der nächsten Sitzung der Bremischen Bürgerschaft eine öffentliche Entschuldigung“, sagte der Fraktionsvorsitzende. Es ist bereits das dritte Mal, dass der Politiker vor den Staatsgerichtshof zog – jedes Mal mit Erfolg. „Das zeigt ganz einfach, dass Oppositionspolitiker es immer schwerer haben im Parlament und wir immer häufiger vor Gericht gehen müssen, um unsere Grundrechte als Abgeordnete wahrzunehmen.“
Die Bürgerschaftspräsidentin sieht in dem Urteil in erster Linie eine Klarstellung. „Das Gericht sieht offenbar den Spielraum der Abgeordneten in der Rede weiter, als ich das getan habe vor anderthalb Jahren“, sagte Grotheer. „Und darauf werden wir jetzt selbstverständlich in der Sitzungsleitung reagieren.“ Das Präsidium werde sich mit der Entscheidung des Gerichts auseinandersetzen, im Parlament entsprechend handeln und weiterhin im Einzelfall entscheiden. Nur eins schließt sich gleich aus: „Es gibt keine offizielle Entschuldigung.“