Stephanie-Prozess in Dresden Stephanie-Prozess in Dresden: Lange Chronik des Grauens
Dresden/MZ. - Staatsanwältin Liane Pospischil kommt nicht weit. Gerade hat sie begonnen, mit ruhiger, klarer Stimme die Anklage zu verlesen. Im Saal 0.84 des Dresdner Landgerichts ist die Rede davon, dass der 36-jährige Angeklagte schon lange vorher den Plan geschmiedet hat, ein Mädchen zu entführen, in seine Wohnung zu verschleppen und zu missbrauchen.
Die Staatsanwältin sagt, dass der Angeklagte Mario M. das spätere Opfer bereits sechs bis acht Wochen vor jenem Tag im Januar beobachtet hat. Dass er schließlich der damals 13-jährigen Stephanie am 11. Januar in Dresden-Striesen auflauerte. Dass er sie in seinen roten Kastenwagen zerrte, dass er ihr den Mund zuhielt und drohte, sie umzubringen. Und wie er sie zwang, in eine Holzkiste zu klettern, die er später in seine Wohnung trug.
Es ist still im Verhandlungssaal, sehr still, als sie davon redet, wie er Stephanie in seiner Wohnung knebelte mit einem Socken und Klebeband. Wie er das Mädchen, das in Todesangst war, nach seinem Namen fragte und nach seinem Alter, bevor er es erst einmal in dem Holzgefängnis zurückließ. Und wie er sie später das erste Mal sexuell missbrauchte. "Er hat wiederholt damit gedroht, sie umzubringen, um den Widerstand zu brechen", sagt Pospischil. "Er drohte damit, sie an die Hunde zu verfüttern oder am Bett festzuschließen und verhungern zu lassen."
Weiter kommt die Staatsanwältin nicht mit der Schilderung des Grauens. Fünf Minuten hat sie geredet, als der Angeklagte mit rotem Kopf aufspringt. Es sieht aus, als wolle der kleine untersetzte Mann mit dem türkisfarbenen Hemd und der Glatze weglaufen aus diesem Saal, in dem er sich für die ihm vorgeworfenen Sexualverbrechen verantworten muss. Es sieht aus, als passe dem einschlägig vorbestraften M. nicht, dass ihm öffentlich der Prozess gemacht wird. Sein Verteidiger Andreas Boine hatte zuvor versucht, die Öffentlichkeit auszuschließen. Er sagt, dass es in der Anklageschrift um sexuelle Details geht. Er spricht von schutzwürdigen Interessen des Angeklagten, von einem Kern des Persönlichkeitsrechts und von einer unzumutbaren Belastung für seinen Mandanten. Genützt hat das nichts. Das Gericht unter Vorsitz von Richter Tom Maciejewski lehnt den Antrag ab.
Es dauert eine Weile, bis die Beamten Mario M. in Handschellen in den Haftkeller abführen können. Er wehrt sich dagegen, dass man ihm Fesseln anlegt. Er bleibt nicht still stehen, zappelt herum. Erst als ihn die Beamten in den Schwitzkasten nehmen, ist der Spuk vorüber. Gesagt hat der Angeklagte kein einziges Wort.
Auch später, als der Prozess weiter geht und er wieder im Saal sitzt, bleibt er zunächst stumm und schaut nach unten auf den Tisch. In Pausen stellt er sich mit dem Gesicht zur Wand, auf Fragen zu seiner Person antwortet er stockend und leise. Es sieht nicht so aus an diesem ersten Prozesstag, als tue dem Angeklagten irgendetwas wirklich Leid. Grinsend betritt er am Morgen den Gerichtssaal. Später steht er lachend in einem Vorzimmer zum Saal.
Fast eine Stunde dauert es nach der Unterbrechung noch, bis die Staatsanwältin fertig ist mit der Verlesung der Anklageschrift, mit der Chronik des Grauens. Der Angeklagte hat einen Teil der Handlungen mit der Videokamera aufgenommen. Deshalb haben die Ermittler teilweise auf die Minute genau aufgelistet, was er der Schülerin angetan hat. Wie er das Kind zwang, vor ihm zu posieren. Wie er es missbrauchte, mehrfach täglich.
"Der Angeklagte hat Stephanie als eine Art Sexsklavin betrachtet", sagt die Staatsanwältin. Am Nachmittag dann wird der Angeklagte hinter verschlossener Tür zu den Vorwürfen vernommen. Dieses Mal gibt das Gericht dem Antrag auf Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Sein Verteidiger Andreas Boine hatte zuvor ein umfassendes Geständnis angekündigt.
Stephanie konnte nach 36 Tagen endlich befreit werden. Die Schülerin hatte bei nächtlichen Spaziergängen mit ihrem Peiniger heimlich geschriebene Zettel fallen lassen, Hilferufe auf Papier. Ein Passant fand einen der Zettel und alarmierte die Polizei.